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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Mehr SUV-Verkäufe statt Klimaschutz

Johanna Büchler, Expertin für Klimaschutz im Verkehr bei der Deutschen Umwelthilfe
Johanna Büchler, Expertin für Klimaschutz im Verkehr bei der Deutschen Umwelthilfe Foto: Finke/DUH

Ein Plan, mit dem in Europa noch neue Verbrennerautos vom Band rollen werden, nachdem die 1,5-Grad-Grenze überschritten ist, kann nicht als Klimaschutzerfolg gelten. Dass das Votum des EU-Parlaments zu den CO2-Flottengrenzwerten dennoch als solcher bewertet wird, zeigt den Einfluss der fossilen Lobby, meint Johanna Büchler von der Deutschen Umwelthilfe.

von Johanna Büchler

veröffentlicht am 14.06.2022

aktualisiert am 28.12.2022

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In einer vielbeachteten Abstimmung hat sich das EU-Parlament vergangene Woche für ein Ende der Neuzulassungen von Pkw mit Verbrennungsmotor in der EU 2035 ausgesprochen. Von Grünen und Klimabewegten wird die Entscheidung zumeist als Meilenstein und Erfolg für den Klimaschutz verbucht. In Anbetracht des Lobby-Tsunamis, mit dem Öl-, Auto- und Agrospritindustrie in den vergangenen Wochen die Europaabgeordneten überrollten, um den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor zu torpedieren, ist die Erleichterung nur allzu verständlich.

Aber wenn in der Öffentlichkeit der Eindruck hängenbleibt, dass mit dem Votum des EU-Parlaments ein wichtiger, vielleicht sogar entscheidender Erfolg für den Klimaschutz errungen wurde, dann ist das hochgefährlich – denn es verstellt den Blick darauf, dass die Entscheidung meilenweit am klimapolitisch Notwendigen vorbeigeht

Das EU-Parlament hat sich mit seinem Votum im Wesentlichen dem Vorschlag der EU-Kommission zur Revision der europäischen CO2-Flotttengrenzwerte für Pkw (und leichte Nutzfahrzeuge) angeschlossen. Dieser sieht eine Absenkung des CO2-Ausstoßes von Neuwagen um 15 Prozent 2025 und um 55 Prozent 2030 vor.

Angeblich harte Grenzwerte nur business as usual

Als „harte“ Grenzwerte und „drastische“ CO2-Einsparungen werden diese Vorgaben bisweilen dargestellt – dabei bedeuten sie faktisch weitgehend business as usual für den Rest des Jahrzehnts: Die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs in der EU würden auch in acht Jahren noch über dem Niveau von 1990 liegen. Der fossile Ölverbrauch würde kaum sinken. Die Autohersteller könnten mit der Elektrifizierung bis 2030 mehr oder weniger pausieren beziehungsweise hätten den Spielraum, parallel zu einem wachsenden Absatz von E-Autos die Emissionen ihrer Verbrennermodelle im Laufe des Jahrzehnts massiv zu steigern und noch mehr hochemittierende SUV zu verkaufen.

Stagnation beim fossilen Ölverbrauch, Stagnation bei den CO2-Emissionen – die europäischen und deutschen Klimaziele rücken damit in weite Ferne: Das 2030-EU-Klimaziel von minus 55 Prozent gegenüber 1990 kann nicht eingehalten werden, wenn der Straßenverkehr – verantwortlich für rund 20 Prozent aller Emissionen – gar nichts beiträgt. In Deutschland steuert der der Verkehrssektor darauf zu, die gesetzlichen Klimaziele im Zeitraum 2022 bis 2030 um mehr als 270 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente zu verfehlen – mehr als die jährlichen CO2-Emissionen Spaniens. Stillstand bei der Antriebswende zementiert diesen Pfad. 

Erst recht pulverisieren wir damit die 1,5-Grad-Grenze. Das laufende Jahrzehnt ist laut IPCC das entscheidende, um die Erderhitzung noch auf ein halbwegs verträgliches Maß zu begrenzen. Dazu müssen die Emissionen in den 2020er-Jahren in allen Sektoren massiv gesenkt werden. Stagnation in diesem Jahrzehnt bedeutet Scheitern beim Klimaschutz. Und Verbrennerausstieg 2035 bedeutet: Die Welt könnte die kritische 1,5-Grad-Grenze bereits überschreiten, während in Europa noch munter neue Verbrenner vom Band rollen. 

Dass dieser Plan nun trotzdem vielen als Klimaschutzgewinn gilt, ist ein Erfolg der fossilen Lobby. Eine Allianz aus Öl-, Agrosprit- und wichtigen Teilen der Autoindustrie hat in den vergangenen Wochen alles daran gesetzt, den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor auf den Sankt-Nimmerleinstag zu verschieben. Gleichzeitig sollten die CO2-Flottengrenzwerte durch die Anrechnung vermeintlich grüner Kraftstoffe wie Agrosprit oder E-Fuels ausgehöhlt werden. Die entsprechenden Anträge fanden im EU-Parlament letztlich keine Mehrheit, den medialen und öffentlichen Diskurs rund um die Revision der CO2-Flottengrenzwerte und den Verbrennerausstieg haben sie trotzdem massiv beeinflusst.

Und unter ihrem Eindruck wird nun auch das Ergebnis der Abstimmung bewertet. Sukzessive verschiebt die fossile Lobby dabei unsere kollektive Messlatte dafür, was einen Klimaschutzerfolg konstituiert, immer weiter nach unten – am Ende ist man froh, dass nur knapp die Hälfte des EU-Parlaments an das Märchen vom „klimaneutralen Verbrennungsmotor“ glaubt. 

Kleine Schritte in die richtige Richtung reichen nicht aus

Aber wir dürfen uns den Blick nicht vernebeln lassen – denn die Physik auf der anderen Seite ist nicht verhandelbar. Die Uhr tickt, unser verbleibendes CO2-Budget schrumpft jeden Tag, und der relevante Maßstab ist die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens – unsere beste Chance, das Klima zu stabilisieren, bevor irreversible Kipppunkte erreicht sind. Daran müssen alle Klimaschutzmaßnahmen gemessen werden.

Winning slowly is the same as losing“, wie es der profilierte US-Umweltaktivist Bill McKibben ausdrückt. Kleine Schritte in die richtige Richtung sind angesichts des immensen Zeitdrucks nicht genug. Wenn sie in der öffentlichen Wahrnehmung die Illusion nähren, dass wir beim Klimaschutz vorankommen, sind sie sogar nachgerade gefährlich.

Man kann hoffen, dass das Votum des EU-Parlaments für den Verbrennerausstieg eine Signalwirkung entfaltet und eine beschleunigte Eigendynamik weg vom Verbrennungsmotor anstößt. Dafür sprechen die Marktentwicklung und Ankündigungen der Hersteller. Aber eine Regulierung, die dem Markt hinterherhinkt und von der man hoffen muss, dass sie nicht allzu bremsend wirkt – das ist kein Erfolg. Eine Regulierung, die trotz der eskalierenden Klimakrise und eines brutalen Angriffskrieges in Europa den größten fossilen Ölverbraucher der EU – den Straßenverkehr – bis 2030 weitermachen lässt wie bisher – das sollte niemandes Maßstäben genügen. 

Ende des Monats wird sich der EU-Rat zu den CO2-Flottengrenzwerten positionieren. Die Bundesregierung und die EU-Mitgliedstaaten müssen dafür dringend ihren Klima-Maßstab geraderücken und auf eine deutliche Verschärfung des Vorschlags pochen.

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