Scholz gegen Merz. Mehr als zwölf Millionen Menschen haben das parallel in ARD und ZDF ausgestrahlte TV-Duell am 9. Februar gesehen. Anderthalb Stunden haben der Amtsinhaber (66 Jahre) und sein aussichtsreichster Herausforderer (69 Jahre) auf die Fragen der Journalistinnen mehr oder weniger präzise geantwortet und sich mehr oder weniger sachlich verbal aneinander abgearbeitet.
Aus Zuschauersicht unbefriedigend war das im Duell stark verengte Themenspektrum. Große Zukunftsthemen kamen zu kurz: Bildung, Künstliche Intelligenz, Digitalisierung, Infrastruktur, Klimaschutz, Wohnen, Energieeffizienz und – was zu befürchten war – die Mobilität der Zukunft. Migration schlägt Mobilität. Das war auch im zweistündigen Quadrell am Sonntag bei RTL mit 7,5 Millionen Zuschauern so, und das war praktisch im gesamten Wahlkampf so.
Die Mobilität der Zukunft hat aber sehr viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Denn der Verkehr ist nach wie vor das Klima-Sorgenkind Nummer eins, wird zunehmend zur sozialen Frage, und der Sanierungsbedarf der Infrastruktur hat mittlerweile nicht nur schwindelerregende Dimensionen erreicht – er bremst uns alle auf unseren täglichen Wegen und ist an Küchentischen wie Kneipentischen das Aufregerthema.
Verspätungen und Zugausfälle nerven uns alle, zu Recht natürlich. Alle wünschen sich einen pünktlichen, zuverlässigen Schienenverkehr, der preislich attraktiv ist und dicht getaktet. Und den wollen wir nicht nur, den brauchen wir auch: Denn die Nachfrage steigt trotz allem, was gerade im Argen liegt.
Im Wahlkampf nur Organisations- und Finanzfragen
In Deutschland hat der Schienenpersonenverkehr den Einbruch der Corona-Jahre längst überwunden und verzeichnet Rekordzahlen. Die Verkehrsleistung im Schienengüterverkehr hat sich seit Mitte der 1990er-Jahre fast verdoppelt. Unser Land ist auch darauf angewiesen, dass die Schiene künftig noch deutlich mehr Verkehr übernimmt. Dabei geht es nicht nur um Klimaziele und Energieeffizienz. Ein größerer Marktanteil der Schiene ist ein zentraler Baustein für einen wettbewerbsfähigen Logistikstandort und für den Zusammenhalt von Stadt und Land durch gute und bezahlbare Mobilitätsangebote.
Vor dem Hintergrund schmerzt es besonders, dass die voraussichtliche Kanzlerpartei im Wahlkampf beim Verkehr lediglich Organisations- und Finanzfragen ins Schaufenster stellt, aber nicht sagt, wo sie verkehrspolitisch hinwill. Wie die Deutsche Bahn organisatorisch aufgestellt sein sollte oder wie Finanzierungskreisläufe aus Mauteinnahmen verändert werden müssten, mag Fachleute interessieren. Über eigene Ziele oder Verbesserungen für die Menschen sagt das aber wenig bis gar nichts aus. Genau wie das permanente Infragestellen des Deutschlandtickets.
Die Reise in eine verkehrspolitisch bessere Zukunft setzt voraus, dass man erst einmal weiß, wohin man will; was in Zukunft besser werden soll. Sonst wäre das etwa so, als hätte man seine Möbel in einen Umzugstransporter geladen, ohne überhaupt zu wissen, wohin man fahren will.
Schlimmer noch: Eine reine Instrumenten-Debatte, die nicht in verkehrspolitische Ziele eingebettet ist, verbaut Gestaltungsmöglichkeiten. Schließlich entfalten Wahlkampfversprechen eine Eigendynamik, die man später eventuell bereut.
Finanzierungskreislauf am Bedarf vorbei
Die von der Union propagierte Rückkehr zum geschlossenen Finanzierungskreislauf „Straße finanziert Straße“ ist so ein Beispiel, das in die falsche Richtung geht. Der Bund müsste die Lkw-Mauteinnahmen dann zu 100 Prozent in die Bundesfernstraßen investieren. Was das bedeutet, zeigt folgendes Rechenbeispiel: Der Bund kalkuliert für das Jahr 2024 mit 15 Milliarden Euro Einnahmen aus der Lkw-Maut. In den Erhalt der Bundesfernstraßen investierte er aber lediglich sechs Milliarden Euro. Bleiben zusätzliche neun Milliarden Euro ausschließlich für Bundesfernstraßen.
Diese neun Milliarden Euro zusätzlich zu den sechs Milliarden für den Erhalt der Bundesfernstraßen auszugeben, sprengt den Bedarf. Also müssten mit der Differenz neue Autobahnen und Bundesstraßen gebaut werden. Volkswirtschaftlich günstigere Alternativen wie der Ersatz 100 Jahre alter Schleusen an Bundeswasserstraßen oder die Modernisierung der Schieneninfrastruktur dürfen dann mit dem Geld nicht mehr finanziert werden. Eine absurde Selbstfesselung der Politik und klimapolitisch ein Schuss in den Ofen.
Die Menschen und die Wirtschaft haben nichts von der Instrumenten-Debatte, sie wollen eine intakte Infrastruktur, mehr Züge und ein besseres Angebot. Am meisten Sinn ergibt da ein verkehrsträgerübergreifend abgestimmtes, funktionierendes Verkehrssystem, in dem begrenzte Finanz-Ressourcen des Staates bestmöglich wirken können.
Struktur muss der Strategie folgen
Die Allianz pro Schiene fordert deshalb in ihrem „Fahrplan Zukunft“, der drei Tage nach der Bundestagwahl am 26. Februar veröffentlicht wird, von der neuen Bundesregierung klare verkehrspolitische Ziele samt Umsetzungsstrategie – und dazu eine belastbare mehrjährige Finanzierung. Wenn diese Strategie steht, dann können wir in der Bundespolitik Strukturdebatten führen. Die Struktur muss immer der Strategie folgen. Instrumente und Finanzierungskreisläufe brauchen Ziele. Was in der Wirtschaft gilt, sollte hier auch in der Politik gelten.
Bis 2030 in Deutschland den Marktanteil des Schienengüterverkehrs von jetzt 20 auf dann 25 Prozent zu erhöhen, wäre ein geeignetes verkehrspolitisches Ziel für die neue Koalitionsvereinbarung. Oder den Marktanteil des Schienenpersonenverkehrs von jetzt zehn auf dann 15 Prozent zu steigern. Oder eine bundesweite Erreichbarkeitsgarantie von öffentlichen Mobilitätsangeboten für die Menschen im ländlichen Raum. Gerne abgestuft nach Bevölkerungsdichte und verbunden mit einer Organisationsreform der bisherigen ÖPNV-Strukturen.
Klar ist: So wie es ist, kann es nicht bleiben. Das Schienennetz ist zu alt, zu kaputt und zu voll. Die Sanierung der Schieneninfrastruktur muss weitergehen. Der Investitionsstau beim Schienennetz des Bundes beträgt mittlerweile 92 Milliarden Euro. Die neue Bundesregierung muss darüber hinaus den Neu- und Ausbau von Schienenstrecken vorantreiben sowie das Schienennetz elektrifizieren und digitalisieren, um die steigende Nachfrage zu befriedigen.
Das alles reicht aber nicht. Die künftige Bundesregierung muss die mit der Umsetzung der Bauvorhaben beauftragte DB InfraGO auch besser steuern, also ganz klar sagen, wo es langgeht. Die bisherigen Bundesregierungen waren bei der Steuerung des bundeseigenen Infrastrukturunternehmens zu orientierungslos, zu kraftlos und zu sprunghaft. Millionen Bahnkunden und die Wirtschaft erwarten, dass sich das parallel zum Investitionshochlauf endlich ändert.