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Verkehr & Smart Mobility

Standpunkte Warum Kommunen ein Mobilitätsamt brauchen

Jörg Niemann, Leiter Kompetenzcenter Mobilität bei Rödl und Partner
Jörg Niemann, Leiter Kompetenzcenter Mobilität bei Rödl und Partner Foto: promo

Die traditionellen Verwaltungsstrukturen auf kommunaler und regionaler Ebene sind den aktuellen Herausforderungen der Mobilitätswende nicht gewachsen. Es braucht neue Organisationsformen: ein Amt für Mobilität.

von Jörg Niemann

veröffentlicht am 04.04.2023

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Die Modernisierung von Staat und Verwaltung ist eine Daueraufgabe. Für die kommenden Jahre gilt dies im Besonderen hinsichtlich der Mobilität – kein anderer öffentlicher Sektor wird sich so stark verändern müssen. Dies ergibt sich zum einen aus den politischen Vorgaben zur Erreichung der Klima- und Umweltziele, was neben der Umstellung der Antriebe auch eine Verlagerung der Passagierzahlen vom Individual- zum öffentlichen Verkehr erfordert.

Zum anderen ist der Mobilitätssektor durch eine starke unternehmerische Fragmentierung, staatliche Regulierungen und erhebliche öffentliche Transferzahlungen geprägt. Diese Strukturen wirken – zumindest im Bereich der Personenbeförderung – einer Transformation aus dem Markt heraus entgegen. Veränderungen im Markt erfordern vielmehr staatliche Impulse. Notwendig ist ein abgestimmtes staatliches Marktdesign zwischen Bund, Ländern und Kommunen, das neben einer vorausschauenden Regulierung auch die Erschließung neuer Finanzierungsquellen erfordert. Den Kommunen kommt dabei die Umsetzungsverantwortung zu. Wer aber soll diese Aufgaben bei Städten und Landkreisen übernehmen? 

Bisherige Strukturen sind heutigen Aufgaben nicht mehr gewachsen

Bislang sind Landrats- und Stadtverwaltungen nach der klassischen Stab-Linien-Struktur gegliedert. Ein eigenständiges Mobilitätsamt findet sich in diesem Gefüge nur sehr selten. Üblich ist eine Zuordnung von Teilaufgaben der Personenbeförderung zu unterschiedlichsten Ressorts (Linien). Das Dilemma: Die Aufgabenzuordnung liegt buchstäblich quer zum Ordnungsprinzip der Linienstruktur.

So ist der ÖPNV häufig dem Planungs- und/oder Schulamt zugeordnet, der Individualverkehr obliegt dem Ordnungsamt, die Baubehörde übernimmt die Betreuung der Verkehrswege und Lichtsignalanlagen, et cetera. Über Fahrtarife und Vertriebsstrukturen entscheidet zudem häufig ein außerhalb der Kernverwaltung organisierter Verkehrsverbund. Eine solche Aufgabenzuordnung begründet nicht nur eine Vielzahl innerbehördlicher Schnittstellen, sondern begünstigt auch ein Denken und Handeln der Mitarbeiter:innen in Ressortzuständigkeiten (Gräben).

Überdies behindern starre Hierarchieebenen die Durchlässigkeit von Ideen und Entscheidungen (Lehmschichten) und wirken damit einem initiativen und eigenständigen Handeln der Mitarbeiter:innen entgegen. Diese Strukturen mögen in der Vergangenheit geeignet gewesen sein, um die Abrechnung von Schülerkarten und die Fortschreibung von Nahverkehrsplänen zu bewerkstelligen. Komplexer werdenden Aufgaben aber ist diese Struktur nicht gewachsen.  

Stabsstellen als Lösung ungeeignet

Als Lösung für derartige Herausforderungen werden häufig Stabsstellen gesehen. Die Stabsstelle wird in der Regel bei der Verwaltungsspitze angedockt, womit ein „Zeichen für die neue Wertigkeit der Aufgabe“ gesetzt wird. Die Praxis zeigt indes, dass Stabsstellen nicht geeignet sind, die Eigenverantwortung und Kreativität in der Linie zu initiieren und zu fördern, weil hierzu die Durchgriffsverantwortung fehlt.

Zudem mangelt es häufig an Detailkenntnissen, um sich gegenüber der Detailkompetenz durchzusetzen. Auch besteht die Gefahr, dass sich Stabsstellen sukzessive verselbstständigen und sich damit einer stringenten Führung entziehen. Zur Erfüllung komplexer Querschnittsaufgaben ist der Mehrwert von Stabsstellen daher gering.  

Notwendig sind Organisationsstrukturen, die in der Lage sind, eine smarte Mobilität zu organisieren und die Herausforderungen aktiv zu managen. Die Verwaltungen müssen befähigt werden, die Chancen der technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen zu orchestrieren, indem sie die Vernetzung, Automatisierung und Dekarbonisierung fördern und gleichzeitig die widerstreitenden Interessen der Umwelt- und Klimaziele, der Mobilitätsbedürfnisse, der Logistik sowie sozialer Belange zu einem sinnvollen Gesamtausgleich bringen.

Warum es ein Mobilitätsamt braucht

Der Hochlauf einer so beschriebenen „smarten Mobilität“ erfordert erhebliche Investitionen, für die auch auf kommunaler Ebene neue Finanzierungsquellen zu erschließen sind. Zudem gehen mit den technologischen Veränderungen auch Risiken einher (Reboundeffekte), die sich nur durch eine effiziente Regulierung vermeiden lassen. 

Die Verwaltungsstrukturen müssen daher in die Lage versetzt werden, die  zukünftigen Aufgaben der Koordination, Finanzierung und Regulierung aus einer Hand vor Ort zu übernehmen. Hierzu muss die richtige Balance zwischen partnerschaftlichem Miteinander und hoheitlichem Handeln gefunden werden. Unterschiedliche Aufgaben erfordern daher eine differenzierte Ausgestaltung: Gestaltungsaufgaben etwa wie die Planung, Koordination, Initiierung, Standardisierung und Kommunikation sollten in einer dicht am Markt agierenden Einheit gebündelt werden.

Diese Einheit sollte gestalten, statt zu verwalten, und es sollte viel Freiraum für Kreativität und Engagement der Mitarbeiter:innen bestehen. Eine zweite Einheit sollte hoheitliche Regulierungs- und Finanzierungsaufgaben wahrnehmen. Hierzu gehören die Regulierung des Verkehrs durch Push- und Pull-Maßnahmen, deren Verzahnung mit neuen Finanzierungsquellen sowie der Aufbau von Datenkompetenz. Beide Einheiten werden idealerweise von einer Amtsspitze geführt, um ein Verwaltungshandeln aus einer Hand sicherzustellen.  

Neue Strukturen für mehr Gestaltungsspielraum

Die örtliche Mobilitätsverwaltung sollte sinnvollerweise um einen überörtlich agierenden Verbund ergänzt werden. Auch der Aufgabenkanon von Verkehrsverbünden wird sich in den nächsten Jahren erheblich wandeln. Schlagwörter dieser Entwicklung sind die Weiterentwicklung vom Tarif- zum Mobilitäts- beziehungsweise Umweltverbund

Der neue Aufgabenkanon wird dabei von der Bereitstellung einer digitalen Vertriebsplattform für multimodale Angebote über die Beschaffung von Software für On-Demand-Verkehre bis hin zur Koordination von Ladeinfrastrukturkonzepten und autonomer Fahrsysteme reichen. Die Verkehrsverbünde der Zukunft werden daher weit mehr Aufgaben wahrnehmen als die Abstimmung von Tarifen und die Verwaltung des neuen Deutschlandtickets. 

Eine so neu ausgerichtete, pyramidal organisierten Verwaltungsstruktur ist sodann erstmals in der Lage, die verschiedenen Gestaltungs-, Regulierungs- und Finanzierungsaufgaben im Bereich der Mobilität aus einer Hand zu erfüllen. Dabei sollte als Leitprinzip der Neugestaltung gelten, dass die Strukturen den Aufgaben folgen („form follows function“). Ergänzend zu der dargestellten Organisationsform eines Mobilitätsamtes ist für die nachhaltige Aufgabenerfüllung wichtig, dass neben einem professionellen Projektmanagement das Geschäftsprozessmanagement über eine für alle verbindliche Governance geregelt und vor allem gelebt wird.   

Fazit: Die Gestaltung der „Mobilität von morgen“ wird zu einer zentralen strategischen Daueraufgabe der Kommunen in den kommenden Jahren werden. Strategische Aufgaben, zumal wenn es sich um Daueraufgaben handelt, sollten sich in der Aufbau- und Ablauforganisation wiederfinden.

Dabei sollten die Strukturen den Aufgaben folgen. Aufgrund der Spannweite des zukünftigen Aufgabenkanons sind auf kommunaler Ebene Strukturen zu schaffen, die einerseits gestalten, statt zu verwalten, und die andererseits eine effiziente Regulierung und dauerhafte Finanzierung gewährleisten. Beide Bereiche sind idealerweise in einem Amt für Mobilität zusammengeführt. Überörtliche Belange sollten so weit wie möglich von einem regionalen Mobilitätsverbund der Aufgabenträger übernommen werden.

Autoren: Jörg Niemann (Leiter Kompetenz-Center Mobilität) und Thomas Seitz (Partner) von Rödl und Partner. 

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