Die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland ist in vollem Gange. Bilder von Fußballfans gehen um die Welt: strahlende, weinende, hoffende, erlöste und ekstatische Gesichter. Die Menschenmassen strömen durch Stadien und Innenstädte, sind beim Public Viewing und auf Fanmeilen zu sehen. Doch wofür werden die Gesichter dieser Menschenmassen noch verwendet?
Neben den sportlichen Erwartungen und Hoffnungen gehen mit derartigen Großereignissen stets auch sicherheitslogistische Herausforderungen für das Gastgeberland einher. Das Sicherheitskonzept für die EM in Deutschland wurde über Jahre hinweg ausgearbeitet und kostet Bund und Länder geschätzt 200 Millionen Euro. Darunter fällt auch der Einsatz modernster und zunehmend intelligenter Technologien durch die Polizei. Es ist bereits in den letzten Monaten bekannt geworden, dass die Polizei in mehreren Bundesländern, darunter Sachsen, Berlin, Niedersachsen, Hessen und Bayern, zunehmend Videoüberwachungssysteme einsetzt, die im öffentlichen Raum Bilder aufnehmen und biometrisch abgleichen können. Wer glaubt, dass diese umstrittene Technologie nur in Überwachungsstaaten eingesetzt wird, der irrt.
Videoüberwachung betrifft viele Fanzonen
In all diesen Bundesländern befinden sich auch EM-Stadien und UEFA-Fanzonen. Die Gesichter von Fans, aber auch die von unbeteiligten Passanten, geraten so zwangsläufig ins Visier der Sicherheitskräfte. Die Videoüberwachung durch die Polizei spielt an den genannten Hotspots, an denen sich Menschenansammlungen bilden, und auch im Kontext von Versammlungen und Protesten eine besondere Rolle. Die hessische Polizei hat gerade letzte Woche angekündigt, die Videoüberwachung in Frankfurt auszuweiten.
Eigens für die EM hat die Polizei ein Videoüberwachungszentrum eingerichtet, bei dem die Aufnahmen von stationären und mobilen Kameras, Polizei-Hubschraubern und sogar Drohnen zusammenfließen. Dies versetze die Polizei in die Lage, einen dauerhaften Blick auf Menschenmengen an zentralen Knotenpunkten und in Vergnügungsvierteln zu haben, freute sich Frankfurts Polizeipräsident. Der technologische Fortschritt ist längst im Sicherheitsbereich angekommen; und er wirft zunehmend gesellschaftliche und rechtliche Fragen auf.
Der biometrische Abgleich dieser Videoaufnahmen ist technisch problemlos möglich. Die Technologie ist vorhanden und wird bereits verwendet. Teilweise findet der biometrische Abgleich sogar live, also in Echtzeit, statt. Der Einsatz ist auch bei der EM zu erwarten. Dabei ist es rechtlich höchst problematisch, dass die Polizei massenhaft Bilder anfertigt und die sensiblen Daten der dort zu sehenden Personen mit anderen Datenbanken abgleicht. Denn die Effekte solcher Überwachungstechnologien sind erheblich: Die Anonymität im öffentlichen Raum wird eingeschränkt, die staatliche Überwachung im Namen der Sicherheit ausgeweitet.
Wer sich in diese Menschenmengen begibt, setzt sich der Gefahr der polizeilichen Erfassung seiner biometrischen Daten und im Zweifelsfall auch deren Speicherung aus. Das beeinflusst uns in unserer Bewegungsfreiheit. Dazu kommt, dass die Fehleranfälligkeit derartiger Systeme nach wie vor hoch ist. Insbesondere nicht-weiße Menschen, non-binäre und transgender Personen werden allzu oft falsch identifiziert und geraten völlig zu Unrecht in das Blickfeld der Polizei. Gerade bei einem Event, das die Vielfalt unseres Kontinents hochhalten und feiern soll, erzeugen solch systembedingte Fehler ein groteskes Bild.
Intensiver Grundrechtseingriff
Um die Freiheitsrechte der betroffenen Personen in der Öffentlichkeit zu wahren und zu schützen, muss der Gesetzgeber rechtssichere Handlungsgrundlagen für die Polizei schaffen. Der Einsatz intelligenter Technologien braucht klare Vorgaben, die Garantien für den Schutz unserer Grundrechte liefern. Auch das gibt das Grundgesetz vor. Wenn biometrische Überwachungstechnologien also überhaupt zugelassen werden sollen, müssen jedenfalls die Einsatzbereiche stark eingeschränkt und durch konkrete Verfahrensregelungen gesichert werden. Ob die Grundrechte damit ausreichend geschützt sind, entscheidet am Ende das Bundesverfassungsgericht.
Derzeit gibt es jedoch keine ausreichenden polizeilichen Handlungsgrundlagen und Schutzvorkehrungen. Insbesondere genügen die bereits existierenden Vorschriften, auf die sich die Polizei in den verschiedenen Bundesländern stützt, den Anforderungen nicht. Biometrische Gesichtserkennungstechnologien greifen zu intensiv in die Grundrechte der erfassten Personen ein. Nicht nur müssen massenhaft Bilder und Videos erhoben und gespeichert werden, um einen späteren Abgleich zu ermöglichen. Biometrische Daten sind auch aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die Identität und Persönlichkeit einer Person besonders zurückhaltend zu handhaben. Flächendeckende Aufnahmen und breit angelegte Abgleiche mit umfangreichen Datenbanken sind daher unzulässig, wenn sie nicht durch besonders auf sie zugeschnittene Rechtsgrundlagen eingehegt werden. Diese müssen sowohl die Aufnahmen als auch den Abgleich selbst betreffen.
Abstrakte Gefahren sind kein Argument
Für den Einsatz der Gesichtserkennungstechnologien reichen abstrakte Gefahrenlagen im Rahmen einer Fußball-EM nicht aus. Auch wenn Menschenmassen und Großereignisse durchaus ein erhöhtes Gefahrenpotenzial bergen und einen Anlass für gewaltbereite Personen oder Gruppen darstellen können, rechtfertigt dies nicht automatisch ein auf flächendeckende und massenhafte Überwachung ausgelegtes Sicherheitskonzept. Das gilt erst recht, wenn das Konzept die Überwachung einer großen Mehrheit unbeteiligter und friedlicher Personen umfasst.
Der Verweis von Sicherheitsbehörden auf terroristische oder erhebliche gruppendynamische Gefahren bei Fußball-Großveranstaltungen genügt ebenfalls nicht. Denn es bleibt festzuhalten, dass die Polizei bereits über ein umfangreiches und äußerst schlagkräftiges Arsenal an Technologien und Befugnissen verfügt, um den erheblichen Gefahren zu begegnen. Die Polizei muss ein grundrechtsschonendes Sicherheitskonzept auch im Rahmen vom Großereignissen verfolgen. Die Öffentlichkeit darf keiner übermäßigen Überwachung ausgesetzt sein. Menschen dürfen nicht zum Spielball von Systemen werden, die mit Blick auf ihre Fehleranfälligkeit noch lange nicht ausgereift sind.