Standpunkte Digitaler Aufbruch braucht die richtige Einstellung

In dieser Woche geht die Initiative zum beschleunigten Netzausbau erneut zur Beratung in den Bundestag. Eine gute Gelegenheit für die Politik, zu zeigen, dass es ihr ernst ist mit der Digitalisierung, schreibt Telefónica-CEO Markus Haas im Standpunkt. Die neue Regierung habe bereits Zeichen für eine Beschleunigung gesetzt. Das sei gut, reiche aber noch nicht, um Deutschland zu einem digitalen Spitzenreiter zu machen. Noch fehle vor allem Mut.
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Jetzt kostenfrei testenDie neue Bundesregierung ist gerade einmal sieben Wochen im Amt – und hat in Sachen Digitalisierung Deutschlands bereits erste Zeichen gesetzt. Digitalminister Karsten Wildberger (CDU) kündigt Bürokratieabbau bei Genehmigungsverfahren, Ausschreibungen und Projektumsetzungen an. Eine Gesetzesinitiative für den beschleunigten Netzausbau könnte nach voraussichtlich finaler Lesung im Bundestag in dieser Woche noch vor dem Sommer von Bund und Ländern abgesegnet werden. Das alles ist vielversprechend. Für einen echten digitalen Aufbruch braucht es allerdings noch mehr. Allen voran eine positive Grundeinstellung zur Digitalisierung – und mehr Mut.
Deutschland tut sich hier unnötig schwer. Für Innovationen braucht man Mut, muss Schranken im Kopf überwinden. Hier sind alle Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und die Politik gefordert. Das zeigen Beispiele aus vielen Bereichen des täglichen Lebens und der Wirtschaft.
Viele Fälle von Innovationsverschleppung
Beispiel Bürger: Bezahlen mit dem Smartphone – in vielen europäischen Ländern ist das selbstverständlich. Bargeldlos am Kiosk oder in der Strandbar? Keine Chance. Hierzulande findet jede zweite Transaktion noch immer bar statt, hat die Strategieberatung „Strategy &“ erst kürzlich analysiert. Oder: Vom Gesetz bis zur Einführung der elektronischen Patientenakte hat es mehr als 21 Jahre gedauert, obwohl die Vorteile immens sind. Wer seine medizinischen Daten kontrolliert digital verwaltet, kann Notfälle besser absichern, Mehrfachuntersuchungen vermeiden und Therapien optimieren. Doch wir in Deutschland diskutieren, wägen ab und verwerfen, während andere längst sehr viel weiter sind.
Natürlich ist Datenschutz wichtig und gibt Sicherheit im digitalen Raum, aber er muss mit Augenmaß passieren und darf den Fortschritt nicht behindern. Derzeit ist er noch so ausgestaltet, dass viele andere Länder uns überholen. Chancen für die Digitalisierung zu erkennen ist mindestens ebenso wichtig wie Makel zu beklagen.
Beispiel Wirtschaft: Jedes zweite Unternehmen in Deutschland sieht Hürden bei der Digitalisierung, das zeigt eine Studie des Branchenverbands Bitkom. Woran liegt das? 88 Prozent der Entscheider nennen den Datenschutz als Hemmnis, 43 Prozent bemängeln die Risikobereitschaft in der eigenen Firma. Doch es gibt zugleich mutige Initiativen, die zeigen, wie es stattdessen gehen könnte.
So haben jüngst zahlreiche Firmen angekündigt, hierzulande mehr Rechenzentren und Cloud-Infrastruktur aufzubauen. Das sind wichtige Investitionen, um die digitale Souveränität Deutschlands und Europas voranzutreiben. Auch Projekte, bei denen Unternehmen über den eigenen Tellerrand schauen und für ambitionierte Ziele kooperieren, zeigen den Weg in eine digitalisierte Zukunft. So geschieht es derzeit etwa bei „GINT XT“, einer Kooperation, bei der die Deutsche Bahn, Mobilfunknetzbetreiber, Netzwerkausrüster, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sowie die Regio Infra Nord-Ost zusammenarbeiten, um mit kompakten Mobilfunkmasten direkt am Gleis Highspeed-Internet in Zügen möglich zu machen. Das zeigt: Wir können, wenn wir wollen.
Beispiel Politik und Regulierung: Die Bundesnetzagentur hat 2018 große Bereiche des 5G-Spektrums für Industrieunternehmen reserviert. So viel Spektrum für sogenannte Campusnetze gibt es in keinem anderen Land. Doch auf 99 Prozent der Fläche liegen diese reservierten Frequenzen ungenutzt brach. Mutig wäre es zu erkennen, dass der damalige Ansatz nicht zum gewünschten Ergebnis geführt hat – und umzuschwenken. Die Netzbetreiber sollten Zugriff auf dieses Spektrum bekommen. Das ginge, ohne dass es den bisherigen Nutzern schaden würde. So könnten angesichts des rasant wachsenden Datenverkehrs schnelle mobile Datendienste noch mehr Unternehmen und Menschen im ganzen Land erreichen.
Schnellere Verfahren und mehr Planungssicherheit sind nötig
Ebenfalls helfen würde etwa mehr Planungssicherheit für Netzbetreiber. Denn sie sind es, die die digitalen Lebensadern für Gesellschaft und Wirtschaft am Leben halten und stetig erweitern. Jahrzehntelang war es Usus, Mobilfunknetzbetreiber über Frequenzauktionen kräftig zur Kasse zu bitten, anstatt ihnen eine langfristige Perspektive für ihre Netzplanung zu geben. Fast 70 Milliarden Euro haben die deutschen Mobilfunknetzbetreiber in den vergangenen 25 Jahren allein über Auktionen an den Staat gezahlt. Dabei hätten sie mit dem Geld wohl lieber Funklöcher als Haushaltslöcher gestopft.
Erst in diesem Jahr entschied die Bundesnetzagentur das erste Mal, vollumfänglich auslaufende Frequenznutzungsrechte zu verlängern, statt zu versteigern. Mutig wäre es, diese Verlängerung künftig als Standard zu definieren.
Mutig wäre es auch von der Politik, Gesetzesvorhaben umzusetzen, die lange geplant sind – aber immer noch in Abstimmungsprozessen feststecken. Wie etwa das in dieser Woche zur weiteren Beratung im Bundestag anstehende Gesetz zur Definition des überragenden öffentlichen Interesses für den Netzausbau. Erst dann können Mobilfunkmasten – ähnlich wie es bei Windrädern schon der Fall ist – auch dort geplant werden, wo sie bislang keine Chance haben aufgrund von Natur- und Denkmalschutzinteressen.
Um beim Netzausbau schneller in den Bau zu kommen, ist es nötig, das umzusetzen, was bereits 2023 im Bund-Länder-Pakt beschlossen wurde – etwa die Genehmigungsfreistellung für standardisierte Bauvorhaben oder die sogenannte Genehmigungsfiktion. Dabei dürfen Mobilfunkanbieter Masten auch ohne abschließende Genehmigung aufstellen, wenn die Freigaben der Behörden zu lange auf sich warten lassen. Sollte es final keine Genehmigung geben, lassen sich die Unternehmen bei einem solchen Verfahren ohnehin darauf ein, die Masten wieder abzubauen. Das Risiko ist gering, denn bislang werden mehr als 99 Prozent der Vorhaben genehmigt – nur leider sehr spät.
Erst wenn die Rahmenbedingungen angepasst sind, ist ein verlässlicher Netzausbau mit voller Kraft möglich. Nur so schaffen wir ein Maximum an Resilienz und Sicherheit in den Netzen. Für die Bevölkerung und die Wirtschaft in Deutschland. Diese Beispiele zeigen, dass die Digitalisierung ein Lernprozess ist. Sie benötigt Rahmenbedingungen, die den Ideenfluss vor allem in Unternehmen und in der Verwaltung unterstützen. Das bedeutet testen, Erfahrungen sammeln und dadurch besser werden.
Zu lange haben wir festgesteckt in zu viel investitionsschädlicher Regulierung und zu wenig Entscheidungskraft. Die Politik muss sich jetzt trauen, die Digitalisierung möglich zu machen. Aber auch die Bevölkerung und die Wirtschaft müssen vorangehen, um den gesetzten Rahmen zu nutzen und der Digitalisierung offen gegenüberzustehen. Wer Digitalisierung will, muss mutig sein. Wir alle müssen Digitalisierung leben. Mit einer positiven Grundhaltung, die Chancen sucht.
Markus Haas ist seit 2017 Vorstandsvorsitzender des Telekommunikationsunternehmens O2 Telefónica Deutschland.
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