Die Bundesrepublik Deutschland hat ihren Staat von unten nach oben aufgebaut: eine starke kommunale Selbstverwaltung, Länder mit Staatsqualität. Dieser Staatsaufbau hat unser Land in den vergangenen 75 Jahren stark gemacht. Mit den Erfordernissen der Digitalisierung verträgt er sich freilich nur in Maßen: Die föderalen Strukturen haben die (Verwaltungs-)Digitalisierung ausgebremst. Und auch die durch die Verfassung grundgesetzlich garantierte und von uns so geschätzte kommunale Selbstverwaltung trägt nicht zur Beschleunigung bei. Es gibt schlicht zu viele Akteure mit zu vielen, verschränkten Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten und zu wenig gemeinsame Standards, Schnittstellen und einheitliche IT-Architektur.
Das Ergebnis: ineffiziente Prozesse, hohe Kosten und mangelnde Interoperabilität. Bund, Länder und Kommunen arbeiten oft parallel und wenig abgestimmt an Digitalisierungsprojekten – und in dem ganzen Wirrwarr werden am Ende dann politisch gesetzte Ziele nicht erreicht. Die Leidtragenden sind die Bürgerinnen und Bürger. Es ist noch ein weiter Weg hin zu einem Servicegedanken für den Bürger und effizienter Verwaltung.
In zweierlei Hinsicht ist das nicht zufriedenstellend. Wir verwalten den digitalen Wandel und denken nicht „out of the box“. Genau das bräuchten wir aber, um einen Sprung nach vorne zu machen. Oder anders: Unsere Verwaltung braucht dringend eine Frischzellenkur. Das zeigt ein einfaches Beispiel.
Verwaltungsdienstleistungen – ein Flickenteppich
So ist die Kfz-Zulassung nicht nur für die Bürger, sondern auch für Unternehmen eine wichtige staatliche Dienstleistung. Mit der „i-Kfz“ wurde von Baden-Württemberg in Heilbronn eine komplett durchdigitalisierte Lösung entwickelt, die für die jährlich rund 20 Millionen Zulassungsvorgänge zur Verfügung steht. Dennoch wurden weniger als fünf Prozent im Jahr 2023 an Zulassungsvorgängen mit i-Kfz abgewickelt. Etwa die Hälfte der Länder hat sich grundsätzlich gegen eine Nutzung entschieden.
In 421 Kfz-Zulassungsbehörden wird also weiterhin mit unterschiedlichster Software analog wie digital gearbeitet, die Software muss auf die jeweils vor Ort vorhandene IT-Landschaft zugeschnitten werden. Wäre es nicht zielführender, die digitale Anmeldung einmal zentral in Deutschland durchzuführen? Oder könnte man die Verantwortung für den Eintrag in eine zentrale Datei nicht auch komplett der Versicherungswirtschaft übertragen? Für Kleinkrafträder gibt es eine solche Regelung bereits.
Bei einer Vielzahl an Verwaltungsdienstleistungen entscheiden die Gemeinden und Landkreise über die Umsetzung der bundesgesetzlichen Vorgaben. Die kommunale Selbstverwaltung ist eine sehr große Errungenschaft und ein Erfolgsmodell. Ein digitales Projekt braucht aber eine kritische Größe, einheitliche Standards, um erfolgreich zu sein, sich am Markt durchzusetzen.
Im digitalen Zeitalter tun wir daher gut daran, unsere Strukturen neu zu überdenken. Wenn wir uns mehr damit beschäftigen, unsere Strukturen in der digitalen Welt zu administrieren und mit digitalen Prozessen in Einklang zu bringen, verlieren wir den eigentlichen Zweck aus den Augen – und verlieren auch international den Anschluss. Wir tun gut daran, zu prüfen, ob bestimmte Aufgaben nicht besser zentral durch den Bund oder durch ein als zuständig bestimmtes Land wahrgenommen werden können.
Schon jetzt hinkt Deutschland bei der Digitalisierung der Verwaltung im EU-Vergleich hinterher, reiht sich irgendwo im Mittelfeld ein, hinter baltischen und skandinavischen Staaten, aber auch den europäischen Nachbarn Italien, Frankreich und Österreich. Das kann nicht unser Anspruch sein. Und dabei sind digitale Bürger- und Unternehmensservices nicht nur „nice to have“, sondern ein wichtiger Standortfaktor – sowohl im ländlichen Raum, als auch in Ballungszentren. Wir können es uns nicht leisten, hier noch mehr Zeit zu vertändeln.
Föderale Struktur neu denken
Es ist unstrittig, dass die Stärken des Föderalismus und der kommunalen Selbstverwaltung sich in vielen Bereichen bewährt und uns politische Stabilität und Machtbalance beschert haben. Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung bieten die Möglichkeit, innovativen Lösungen Raum zu geben und regionale Besonderheiten besser zu berücksichtigen. Dennoch sind auch der Föderalismus und die kommunale Selbstverwaltung kein statisches Konstrukt, sondern müssen sich an veränderte Rahmenbedingungen anpassen.
Die Einrichtung der Digitalministerkonferenz im Jahr 2024 ist Ausdruck dieser veränderten Struktur. Sie tritt als beschlussfassendes Gremium neben den IT-Planungsrat und dient der politischen Willensbildung der Länder. Als Fachministerkonferenz behandelt sie Themen der Digitalisierung und digitalen Teilhabe. Der Vorsitz der Digitalministerkonferenz wechselt jährlich. Seit dem 1. Januar 2025 hat Rheinland-Pfalz den Vorsitz inne.
Damit die Digitalisierung flächendeckend gelingen kann, braucht es eine neue föderale Arbeitsteilung mit klaren Verantwortlichkeiten und einheitlichen Standards zwischen Bund und Ländern. Mit einer neuen Arbeitsteilung, die verfassungsrechtlich verankert wird, könnte eine zentrale Dateninfrastruktur geschaffen, schwierigen Abläufen abgeholfen und eine langfristige Finanzierung für eine grundlegende IT-Infrastruktur sichergestellt werden.
So gibt das Land Rheinland-Pfalz beispielsweise erworbene „Einer-für-Alle“-(EfA)-Lösungen unentgeltlich an die Kommunen weiter. Dieses einheitliche Prinzip ermöglicht die flächenmäßige Bereitstellung von EfA-Lösungen – rechtssicher und ohne Belastung der kommunalen Einzelhaushalte.
Es hat bereits in der Vergangenheit immer wieder Anpassungsbedarf gegeben. Die Föderalismusreform I von 2006 ordnete die Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern neu. Die Föderalismusreform II regelte 2009 die Bund-Länder-Finanzierung neu, rief mit Art. 91 c des Grundgesetzes den IT-Planungsrat ins Leben und erleichterte die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in der Informationstechnik. 2017 folgte die Möglichkeit, den Zugang zu Verwaltungsleistungen von Bund und Ländern per Bundesgesetz zu regeln. Diesem Auftrag kam der Bund mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) nach.
Jetzt ist wieder eine Kraftanstrengung notwendig. Und wir sind gut beraten, hier „out of the box“ zu denken und nicht nur das Neue anders zu verwalten als wir es bislang kennen.
Dörte Schall (SPD) ist seit Juli 2024 Ministerin für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung des Landes Rheinland-Pfalz.
Thomas Strobl (CDU) ist seit 2016 Innenminister des Landes Baden-Württemberg sowie stellvertretender Ministerpräsident. Er war von 2011 bis 2023 Vorsitzender der CDU Baden-Württemberg.