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Digitalisierung & KI

Standpunkte Digitalpolitik ist heute Geopolitik

Matthias Spielkamp, Gründer und Geschäftsführer von Algorithmwatch
Matthias Spielkamp, Gründer und Geschäftsführer von Algorithmwatch

Ein neuer Sheriff ist in der Stadt, aber er setzt nicht das Gesetz durch, sondern macht seine eigenen Regeln. Deutschland ist darauf nicht vorbereitet – egal, unter welcher Regierungskoalition, fürchtet Matthias Spielkamp.

von Matthias Spielkamp

veröffentlicht am 24.02.2025

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Wenn wir nur genug Atomkraft nutzen, so Emmanuel Macron am ersten Tag des AI Action Summits in Paris, zwei Wochen vor der Bundestagswahl, dann werden wir schon mithalten bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz. Und Ursula von der Leyen schob am zweiten Tag die Ankündigung hinterher, dass Unternehmen und die EU 200 Milliarden Euro investieren werde – inklusive einer Menge Geld für „KI-Giga-Fabriken“, die darauf spezialisiert sind, größte Modelle zu trainieren.

Zu diesem Zeitpunkt, so könnte man sagen, hing die Welt zwar schon schief, aber zumindest noch in einer Angel: Zwar sind uns die US-Konzerne weit voraus, aber wenn wir nur genug Geld investieren, um ihr „größer-ist-besser“-Modell zu kopieren, wird’s schon irgendwie gut gehen. Dass man damit weiter auf die Verkaufsstrategie von Open AI, Google, Microsoft, Amazon und anderen hereinfällt, immer mehr „KI-geformte Löcher zu erfinden, die gefüllt werden müssen“, also vermeintliche Lösungen zu präsentieren, die nur noch ein Problem suchen: schlimm genug, aber nicht neu.

Deutschland ist bei nahezu allen digitalen Diensten und Produkten abhängig

Doch wenige Tage nach dem AI Action Summit war die Welt vollends aus den Angeln, und das war dem US-Vizepräsidenten zu verdanken. Die Gefahr, der Deutschland und die EU gegenüberstehen, so J.D. Vance in seiner Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz, seien nicht rechtsextreme Parteien. Sondern Zensur und eine Regulierung, die die Meinungsfreiheit beschränke. (Und „Massenmigration“, aber die spare ich hier aus.)

Und Vance machte unmissverständlich klar, dass die US-Regierung keine europäische Regulierung akzeptieren werde, die ihren Vorstellungen entgegensteht. Wer das als unverhohlene Drohung versteht, versteht es richtig.

Die USA werden jeden Hebel nutzen, den sie haben, um ihre Forderungen durchzusetzen. Und dieser Hebel ist sehr lang: Deutschland ist derzeit nicht nur bei generativer KI von US-Anbietern abhängig, sondern auch bei nahezu allen digitalen Diensten und Produkten, die tatsächlich die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft garantieren: bei Cloud- und Zahlungs-Plattformen, Betriebssystemen und App-Stores, Office-Software und Wissensmanagement, Messenger-Diensten und Videokonferenzen.

Diese Erkenntnis lässt die Versäumnisse der deutschen und EU-Digitalpolitik in grellem Licht erscheinen.

Potemkinsche Dörfer oder trojanische Pferde

Organisationen der Zivilgesellschaft fordern seit Jahrzehnten, vor allem staatliche Infrastrukturen unabhängiger von monopolistischen Strukturen zu machen, sei es durch den Einsatz von Open-Source-Software, Kartellkontrolle oder die Förderung selbstverwalteter Zugänge (anyone remember Freifunk?). Oft genug wurde das als Träumerei abgetan; wenn es relevante Initiativen gab, war von Beginn an die Vereinnahmung durch kommerzielle Anbieter mit angelegt. Am Ende bleiben Potemkinsche Dörfer (wie bei Gaia-X) oder trojanische Pferde, wie die Delos-Cloud von SAP oder die Sovereign Cloud von T-Systems, die der Verwaltung mehr Unabhängigkeit verschaffen sollen. Letztere beruht auf Google, erstere auf Microsoft 365 und Azure. „Souverän“ im Sinne von unabhängig von zentralen (US-)Anbietern: Pustekuchen.

Es wäre wohlfeil, sich angesichts der katastrophalen Entwicklungen in den USA darauf zu berufen, dass wir in der Zivilgesellschaft es ja schon immer gewusst haben und nun alles bestens wäre, hätte „die Politik“ nur unsere guten Ratschläge befolgt. Die Verflechtungen einer globalen digitalen Gesellschaft sind nicht nur komplex, wir sollten sie auch nicht aufgeben wollen zugunsten einer chauvinistischen Politik neuer Grenzen und Nationalstaatlichkeit.

Zugleich müssen diejenigen Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen, die all unsere Vorschläge dazu, wie Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit, Dezentralisierung und Offenheit, Beteiligung und vor allem globale Gerechtigkeit gestärkt werden sollten, als realitätsferne Spinnereien abgetan haben – aber nun mit Erschrecken feststellen, dass die Abhängigkeit von Tech-Monopolen, die nach Trumps Pfeife tanzen, die andere Seite derselben Medaille ist.

Noch beim Digitalgipfel vor vier Monaten konnte der Vertreter eines KI-Unternehmens die Tatsache, dass SpaceX und Microsoft untrennbar mit der US-Regierung verbunden sind, als leuchtendes Beispiel für Public-Private-Partnerships preisen, ohne dass ihm die anwesenden Spitzen aus Kanzleramt, Wirtschafts- und Digitalministerium widersprochen hätten. Offenbar ist es geradezu undenkbar geworden, staatliche Handlungsfähigkeit unabhängig von Unternehmen zu denken, die „too big to govern“ sind.

Bundesregierung muss Digitalpolitik zur Chef*innensache machen

Wenn es jemals einen Weckruf für eine Wende in der Digital- und KI-Politik gegeben hätte, dann sind es die Aussagen von Trump, Vance, Musk, Zuckerberg und anderen in den vergangenen Wochen. Angesichts dessen erscheinen Streitereien über die Frage, ob es demnächst in Deutschland ein Digitalministerium und eine*n Digitalminister*in gibt, unfreiwillig komisch.

Mehr als zwölf Jahre nach Angela Merkels legendärer Aussage, das Internet sei „für uns alle Neuland“, muss die nächste Bundesregierung Digitalpolitik zur Chef*innensache machen – denn Digitalpolitik ist heute Gesellschafts-, Informations- und Medienpolitik, Bildungs-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, Energiepolitik, Klimapolitik und nicht zuletzt: Geopolitik. Es geht bei ihr heute mehr denn je um Grundrechte, Rechtsstaatlichkeit, Nachhaltigkeit und Demokratie. Das darf die Bundesregierung aber nicht nur durch Titel für Personen oder Namen für Ministerien zeigen, sondern indem sie kompetente Personen beruft und mit Budget und Kompetenz ausstattet.

Matthias Spielkamp ist Gründer und Geschäftsführer der NGO Algorithmwatch. Die Organisation hat vor kurzem die „Agenda für gemeinwohl­orientierte KI – gerecht und nachhaltig für Mensch und Umwelt. Unsere Forderungen an die kommende Bundesregierungveröffentlicht.

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