25 Jahre ist es nun her, dass die Bundesnetzagentur in Bonn ihre Arbeit aufgenommen hat, um die Festnetzmärkte zu öffnen. Im gleichen Zug wurde übrigens auch der VATM als Interessensvertretung der Telekom-Wettbewerber gegründet, um für faire Wettbewerbsbedingungen einzutreten. Doch mittlerweile sind der über viele Jahre verfolgte selbsttragende Wettbewerb und die Überwindung der Marktbeherrschung durch die Telekom aus den parlamentarischen Debatten und dem Ziele-Kanon der Politik nahezu verschwunden. Die Analyse der Gründe dafür liefern die Verantwortlichen gleich mit: die totale Fokussierung der politischen Agenda auf den digitalen Infrastrukturausbau.
Deutschland wird in den nächsten Jahren umgegraben, die zum größten Teil noch aus Zeiten der Bundespost stammende Kupferdoppelader wird endlich ausgemustert. Dies ist in erster Linie den vielen Investoren der Privatwirtschaft zu verdanken, die einen Großteil der nunmehr 15 Millionen verfügbaren Glasfaseranschlüsse geschaffen haben.
Mit ihrer Gigabitstrategie will die Bundesregierung immerhin dazu beitragen, dass im Jahr 2030 jeder Haushalt und jedes Unternehmen Zugang zu einem Glasfaseranschluss hat. Die meisten der 100 Einzelmaßnahmen sollen die Glasfasern schneller und effizienter in die Erde bringen. Tempo ist geboten, denn Deutschland ist im internationalen Vergleich in nahezu allen Bereichen der Digitalisierung abgeschlagen. Jetzt muss also dringend eine zukunftsfähige Infrastruktur her, politische Versäumnisse müssen aufgeholt werden. Die bisherigen Breitbandstrategien der Vorgängerkoalitionen waren zu unambitioniert und inhaltlich auf die Kupfer-Infrastruktur der marktbeherrschenden Telekom ausgerichtet.
In anderen Ländern läuft es wesentlich besser
Fatal war die durch Regulierung ermöglichte Schaffung eines Quasi-Monopols zugunsten der Telekom bei der Einführung der kupfer-basierten Vectoring-Technologie. Dieses hat zwar die damals angepeilten Ziele der Bundesregierung in Sichtweite gebracht und die für den Netzumbau heranzuziehenden Investitionsmittel der Telekom geschont, gleichzeitig aber auch Deutschland im internationalen Wettbewerb um Jahre nach hinten geworfen und die vorherrschenden Wettbewerbsverzerrungen perpetuiert.
Solange die Nachfrage der großen Mehrheit bei DSL-tauglichen Bandbreiten verharrte – die Telekom versorgt bis heute 70 Prozent aller Festnetzkunden in Deutschland über ihr Kupfer-Netz – musste sich die Politik keine Sorgen um ein Aufbegehren von Wählern und Unternehmen machen. Diese Zeiten sind vorbei. Die digitale Spaltung unter den Industrienationen tritt offen zutage, Deutschland muss sich leider auf der falschen Seite des Grabens einsortieren. Jeder, der Deutschland verlässt, sieht, dass es in anderen Ländern spürbar besser mit der Digitalisierung und der digitalen Infrastruktur läuft.
TK-Politik muss mehr sein als bloßer Reflex zu bisherigen Versäumnissen
Mit der Gigabitstrategie soll verlorener Boden gut gemacht werden. Doch der Fokus auf das Verlegen der Glasfasern bedeutet nicht, dass die Maßnahmen auch tatsächlich greifen. Statt die Glasfaserförderung sinnvoll mit einer auf die Arrondierung des eigenwirtschaftlichen Ausbaus ausgerichteten Förderkulisse zu verzahnen, wird der Markt nach dem Motto „viel hilft viel“ mit Milliarden Fördergeldern geflutet. Auch weitere aus Sicht der Bundesregierung bereits erreichte Meilensteine wie die Unterstützung alternativer Verlegemethoden oder die Einführung eines Breitbandportals zur digitalen Abwicklung des Wegerechte-Antrags bei den Kommunen sind wenig effektiv, wenn die Adressaten auf Gemeindeebene nicht mitspielen.
Schwerer wiegen andere, sich ebenfalls seit geraumer Zeit ankündigende Verwerfungen im Markt. Gemeint ist die Vernachlässigung des Wettbewerbsgedankens, der mehr umfasst als Investitions- und Infrastrukturwettbewerb. Der bei den internationalen Vorbildern so innovative Dienstewettbewerb fristet in der Wahrnehmung der zuständigen Ministerien ein stiefmütterliches Dasein. Konsequenterweise verfolgt die Bundesnetzagentur seit Jahren ihren Kurs der De-Regulierung und entledigt sich Stück für Stück der Eingriffs- und Korrekturinstrumente in einen Markt, der weit entfernt ist von selbsttragendem Wettbewerb.
Langsamerer Ausbau und höhere Preise
Im nach wie vor den Löwenanteil ausmachenden Segment der DSL-Breitbandanschlüsse hat sich die Telekom seit 2020 deutlich von den Wettbewerbern absetzen können. Sie gewinnt jedes Quartal überproportional Kunden, zulasten der Wettbewerber, welche auf die Vorleistungsprodukte der Telekom angewiesen sind. Noch schlechter sieht es bei den FTTH-Vorleistungen aus: Auf den knapp eine Million Glasfaser-Anschlüssen der Telekom haben die Nachfrager einen Marktanteil von unter zwei Prozent.
Der aktuell so heiß diskutierte strategische Überbau durch die Telekom ist lediglich ein Symptom dieser sich verschlechternden Wettbewerbssituation. Die ungebrochene Marktdominanz bei VDSL mit den hohen Bestandskundenzahlen im ländlichen Bereich versetzt sie erst in die Lage des konkurrierenden „Rosinenpickens“ beim Ausbau. Sollte dieser steten Schwächung des Wettbewerbs nicht durch effektive Regulierung entgegengetreten werden, ist absehbar, dass, sobald der Wettbewerb – sowohl auf der Infrastruktur- wie auch der Diensteebene – aus dem Markt gedrängt ist, die Telekom ihre Endkundenpreise wieder erhöhen, ihr jüngst erst angezogenes Ausbautempo aber reduzieren wird. Nicht nur der Wettbewerb ist in Gefahr, sondern es droht auch eine Verlangsamung des FTTH-Ausbaus – ganz entgegen den von der Bundesregierung formulierten Infrastrukturzielen aus der Gigabitstrategie.
Derzeit wird diesen Behinderungen regulatorisch kaum begegnet, die zuständige Bundesnetzagentur verfügt weder über die personelle Ausstattung, um die notwendigen Verfahren zu stemmen, noch über den politischen Rückhalt, entgegen dem politischen Zeitgeist und einer an deutschen Anforderungen vorbei regulierenden EU-Kommission mehr Eingriffe in einen sich verdüsternden Markt zu wagen. Deswegen bedarf es jetzt einer mutigen Kurskorrektur und einer politischen Perspektive auf ein Zielbild 2030 mit einer neuen Interpretation des Wettbewerbsbegriffs unter Anerkennung der marktlichen Realitäten.
Frederic Ufer ist seit Mai 2022 Geschäftsführer des Branchenverbandes VATM, in dem sich die wichtigsten Akteure des Telekommunikationsmarktes zusammengeschlossen haben. Zuvor leitete er 15 Jahre den Bereich Recht und Regulierung des Verbands.