Seit Tagen wird auf Social Media über die neue iOS-App Clubhouse gestritten: Während Politiker:innen aller Fraktionen dort zu Diskussionen einladen, bleiben viele außen vor. Denn die Plattform ist nur auf Einladung zugänglich und steht im Hinblick auf Datenschutzkonformität und ihrer Sicherheit in der Kritik. Die Debatte über Clubhouse reiht sich ein in ähnliche Diskussionen über soziale Medien, bei denen Datenschutz und die Privatsphäre der Nutzer:innen geringe Priorität haben, denn die Geschäftsmodelle der Unternehmen laufen entgegen dieser Prinzipien. Clubhouse ist damit nur ein Symptom eines größeren Problems: Der politische Diskurs findet zunehmend im Digitalen statt, auf Plattformen, die nicht dafür gemacht wurden, ihn zu fördern, zu gestalten und zugänglich zu machen.
Das Geschäftsmodell mit der Desinformation
Die digitalen Plattformen sind eher zufällig zu gesellschaftlichen Infrastrukturen geworden. Facebook wurde nicht dafür entwickelt, um Bürgerbeteiligung zu ermöglichen, sondern um den Nutzer:innen Werbung anzuzeigen. Ihre Rolle erlangten sie aus einem Mangel an besseren Alternativen.
Das Perfide: Obwohl die Plattformen versuchen Hass und Desinformation einzudämmen, profitieren sie von gesellschaftlich schädigendem, verletzendem und justiziablem Verhalten, weil die Nutzer:innen dadurch mehr Zeit auf den Plattformen verbringen und mehr Werbung ausgesetzt werden können. Bis vor wenigen Tagen spielte Youtube bei Kanälen, auf denen die Rechtmäßigkeit der letzten US-Wahl angezweifelt wird, Werbespots ein. Youtube verdiente also weiterhin Geld mit der Desinformation.
Was ein soziales Netzwerk können sollte
Was fehlt, sind soziale Netzwerke, die dafür gebaut wurden, wofür Menschen sie nutzen: Um Information zu teilen, konstruktive Diskussionen zu führen und Meinungen außerhalb der eigenen Filterblase zu hören, egal ob sich das Gespräch um die neueste Filmserie, um politische Debatten oder um geeignete Mittel gegen die globale Erwärmung dreht.
Die Organisation Civic Signals macht sich über die digitalen sozialen Räume der Zukunft Gedanken und entwarf Kriterien, die solche Netzwerke erfüllen müssen. Dazu gehören neben offensichtlichen Anforderungen wie Datensicherheit, barrierefreiem Zugang und das Anzeigen verlässlicher Informationen auch die Anforderung, bürgerliche Kompetenzen („civic competence“) aufzubauen, lokale Beziehungen zu stärken oder Stimmungen und Vorschlägen der digitalen Gemeinschaften gegenüber Politik und Wirtschaft mehr Sichtbarkeit zu verleihen. Ihre Analyse bestehender sozialer Netzwerke anhand dieser Kriterien fällt erwartbar zurückhaltend aus.
Vorbilder: Signal oder Wikipedia
Die
Probleme, die die großen sozialen Netzwerke mit sich bringen, und der Wunsch, bessere Plattformen zu schaffen,
sind also nicht neu. Die Covid-19-Pandemie und der mit ihr verbundene beschleunigte
digitale Wandel hat die Dringlichkeit aber weiter verstärkt. Wenn man genau
hinsieht, dann gibt es in anderen Bereichen Alternativen, die aufzeigen, in welche Richtung der Wandel auch bei
Social Media gehen könnte. Soziale Netzwerke könnten in Zukunft von gemeinnützigen
Organisationen betrieben werden.
Der Nachrichtendienst Signal macht es vor: Das hinter der App stehende Unternehmen Signal Messenger ist eine Tochter der Non-Profit-Organisation Signal Technology Foundation. Signal-Gründer Moxie Marlinspike sagte gegenüber The Verge: „Wir sind als Non-Profit-Organisation organisiert, weil wir das Gefühl haben, dass die Art und Weise, wie das Internet derzeit funktioniert, verrückt ist (...) Und ein Großteil dieses Wahnsinns resultiert aus schlechten Geschäftsmodellen, die schlechte Technologie produzieren. Und sie haben negative gesellschaftliche Auswirkungen.“
Nachdem Facebook Änderungen in den Nutzungsbedingungen von WhatsApp angekündigt hatte, verzeichnete Signal im Januar 17,8 Millionen Neuinstallationen binnen einer Woche. Auch hinter der Online-Enzyklopädie Wikipedia und dem Wikidata-Projekt steht die gemeinnützige Wikimedia Foundation. Könnte ein ähnliches, nicht profitorientiertes Modell auch dafür sorgen, dass bessere soziale Netzwerke entstehen – und wären die Nutzer:innen nach Jahren der Kostenfreiheit bereit, dafür Geld auszugeben?
Klar ist, dass ein gemeinnütziger Status nicht automatisch vor Problemen in der Moderation von Inhalten und der Verbreitung von Desinformation schützt. Trotzdem kann eine Gemeinwohlorientierung den sozialen Netzwerken erlauben, neue Wege zu gehen: Indem sie ins Zentrum stellen, was gut für die Gemeinschaft ist. So entstehen digitale öffentliche Räume, in denen Menschen sich bestmöglich entfalten, vernetzen, informieren und austauschen können, ermöglicht durch ein Design, das Vielfalt willkommen heißt und einen konstruktiven gesellschaftlichen Dialog fördert.
Elisa Lindinger und Julia Kloiber sind Gründerinnen des Superrr Lab, einer Non-Profit-Organisation, die neue Technologien erforscht und an einer gerechten und diversen digitalen Zukunft arbeitet. Beide haben davor den Prototype Fund maßgeblich mitgestaltet.