Die nächste Bundestagswahl steht vor der Tür und wieder einmal werden die Folgen sozialer Medien auf die Demokratie diskutiert. Nachdem Elon Musk mit der Übernahme von Twitter vor einigen Jahren den Grundstein legte und ihm Mark Zuckerberg mit seinen Vorstößen zu Deregulierung vor Kurzem folgte, ist mehr denn je klar, dass Facebook und Co. keine Orte objektiver und Meinungsbildung sind. Vor allem ist das für die junge Wählerschaft kritisch. Denn Jugendliche müssen ihr Werteverständnis zumeist erst noch festigen und sind somit im Regelfall deutlich einfacher zu beeinflussen als ältere Menschen. Das ist auch ein Problem, das seit mehreren Jahren im Kontext der Plattform Tiktok diskutiert wird.
Aber wie kann man in Zukunft gewährleisten, dass die Mechanismen der sozialen Medien keine negativen Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung haben? Mit dieser Herausforderung befassen sich die sogenannten digitalen Soft Skills, die unter dem Oberbegriff Digital Literacy zusammengefasst werden – also dem verantwortungsbewussten Umgang mit dem Smartphone und der digitalen Welt. Diese Soft Skills helfen, eine Gesellschaft resilienter gegenüber negativer Einflüsse der sozialen Medien zu machen und sollten deshalb mehr in das Bewusstsein unserer Gesellschaft rücken.
Drei zentrale digitale Soft Skills
Wenn es um Meinungsbildung auf Social Media geht, können drei essenzielle digitale Soft Skills dabei helfen, die Digital Literacy von Usern zu befördern: das kritische Denken, die erhöhte Anpassungsfähigkeit an neue Herausforderungen und die Kommunikationsfähigkeit. Die Fähigkeit, Informationen kritisch zu hinterfragen und somit deren Glaubwürdigkeit zu bewerten, anstelle sie einfach zu akzeptieren ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Ohne sie ist man den Algorithmen sozialer Netzwerke schutzlos ausgeliefert, mit der gravierenden Folge, dass die Unterscheidung zwischen Realität und Illusion immer schwerer fällt.
Obwohl viele Jugendliche heute schon wissen, dass nicht alles Gold ist, was sie als glänzenden digitalen Content zu sehen bekommen, fällt ihnen die Abkehr von Social-Media-Plattformen immer noch schwer. Einige Eltern-Initiativen und erste Schulen haben dieses Problem erkannt und fordern deshalb ein Handyverbot für Schulen. Auch wenn dies von einigen als Schritt in die richtige Richtung gedeutet wird, so wird damit das eigentliche Problem der Nutzung von Smartphones und Social Media außerhalb der Schulzeit nicht adressiert. Es fehlt noch an passenden Angeboten, die den Jugendlichen den richtigen Umgang mit den sozialen Medien aufzeigen, indem sie ihnen beibringen, wie sie Inhalte schnell und einfach kritisch hinterfragen können. Das ist eine gefährliche Lücke in unserem Bildungssystem.
Als zweiter digitaler Soft Skill spielt die schnelle Anpassungsfähigkeit ebenso eine wichtige Rolle. Denn öffentlich verfügbare Informationen werden jetzt und in Zukunft immer schneller generiert und verbreitet. Disruptive neue Technologien verändern den Alltag schon jetzt mit exponentieller Geschwindigkeit – positiv wie negativ. Gerade im Vergleich zu älteren Generationen haben sich digitales Innovationswachstum und Medienkultur in einigen wenigen Jahren gravierend und deutlicher als in mehreren Jahrzehnten zuvor verändert. Hier gilt es, die Jugendlichen zu stärken und Angebote zu schaffen, um mit Ungewissheiten besser umgehen zu lernen.
Und als dritter zentraler Soft Skill darf die Kommunikationsfähigkeit nicht unerwähnt bleiben. Laut der International Computer and Information Literacy Study (ICILS) haben circa 40 Prozent der Achtklässler in Deutschland und Österreich aufgrund der alltäglichen Nutzung digitaler Medien verlernt, komplexere Informationen zu kommunizieren. Das ist eine alarmierende Zahl, die dennoch nicht verwundern sollte, da die Messenger-Apps der Smartphones die verkürzte Kommunikation forcieren. So wird kaum mehr direkt am Telefon gesprochen, sondern es werden Sprachnachrichten, die mehrere Minuten lang sind, verschickt – wenn überhaupt. Zumeist reichen die gängigsten Emojis aus, um eine Nachricht zu übermitteln. Das hat schwerwiegende Folgen für die Gesellschaft. Wer sich nicht mehr auszudrücken lernt, kann weder komplexe Sachverhalte wiedergeben noch verstehen.
Digital Literacy für eine starke demokratische Gesellschaft
Wir kommen um eine zentrale Erkenntnis nicht herum: Es müssen die Themen Digital Literacy und digitale Soft Skills viel stärker in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt werden, als dies bislang der Fall war. Und das jenseits sich regelmäßig wiederholender abstrakter politischer Verpflichtungen. Dabei geht es darum, die Zusammenhänge zwischen der allgegenwärtigen Nutzung des Smartphones und dem Datenschutz stärker bekannt zu machen. Nach wie vor sind sich zu wenige Menschen darüber bewusst, was mit ihren digitalen Daten tatsächlich geschieht und zu welchen Zwecken Unternehmen sie regelmäßig verarbeiten. Hier ist deshalb verstärkte Aufklärung darüber notwendig, wie das alltägliche Leben von den Mechanismen sozialer Netzwerke unbewusst beeinflusst wird, damit User ihr Verhalten darauf ausrichten und entsprechend anpassen.
Im Hinblick auf politische Bildung von Jugendlichen müssen besonders die Eltern vermehrt sensibilisiert werden, welche Folgen mit einer dauerhaft unbegleiteten Smartphonenutzung verbunden sein können. Viele Eltern sind sich dieser Gefahren nicht bewusst, wenn sie ihren Kindern zum Start in einer weiterführenden Schule das erste Smartphone zur Verfügung stellen. Die elterliche Vermittlung der digitalen Medienkompetenz ist genauso wichtig wie der Schwimmunterricht und das Beibringen der Verkehrsregeln. Somit gilt, dass auch Erwachsene und ältere Generationen abgeholt werden müssen, um ganzheitlich für mehr Digital Literacy Sorge zu tragen. Das hilft nicht nur bei der Medienerziehung der eigenen Kinder und Jugendlichen, sondern auch bei wichtigen Themen wie der sozialen Teilhabe im Alter oder der Zukunftsfähigkeit im eigenen Beruf. Zu guter Letzt macht Digital Literacy die Gesellschaft als Ganzes resilienter gegenüber den sozialen Medien und stärkt die Demokratie damit nachhaltig und von innen.
Innovative Bildungsangebote für mehr politische Teilhabe
Manch einer mag sich nach diesen Zeilen nunmehr die Frage stellen, mit welchen Mitteln man Kinder, Jugendliche und ihre Eltern zusammenbringen kann, um gemeinsam an den digitalen Soft Skills zu arbeiten und diese zu stärken. Hierzu können und sollten durchaus neue Wege eingeschlagen und Angebote für Eltern und Jugendliche gefördert werden, die informativ und unterhaltsam zugleich sind. Spielerische und den Zusammenhalt stärkende Formate werden durchaus bereits erprobt, wie digitale Schnitzeljagden an Schulen oder Escape-Rooms, die anlässlich eines Schulausflugs oder Kindergeburtstags gemacht werden können, um Digital Literacy zu vermitteln. Das kann Eltern wie Lehrer:innen helfen, sich dem Thema zu nähern und Einblicke zu erhalten, wie Jugendliche ihre Neugier und den Spaß am Rätsel lösen zugleich dafür nutzen können, etwas zu digitale Soft Skills zu erlernen.
Zusätzlich müssen die Schulen noch deutlich stärker unterstützt werden. In einem Bildungssystem mit nach wie vor erheblichen Defiziten in der digitalen Ausbildung sollte stärker externer Sachverstand einbezogen werden, um neue Innovationskraft zu entfalten. Denn digitale Bildung und Weiterbildung müssen nicht zwangsläufig im geschlossenen Mikrokosmos eines Schulsystems stattfinden, genauso wenig wie der Schwimmunterricht oftmals nicht von der Schule selbst organisiert wird. Vielmehr sollten innovative und alternative Angebote vor Ort in den Ländern und den lokalen Schulbezirken realisiert werden, die über den Tellerrand blicken und Anreize für Unternehmen aus dem Bildungssektor schaffen, sich mit neuen Technologien und der digitalen Wissensvermittlung intensiver zu befassen. Sie könnten ihr praktisches Wissen der Gesellschaft zur Verfügung stellen. Denn Bildung rechnet sich heutzutage noch nicht in Deutschland.
Die Branche ist nach wie vor schwach aufgestellt und stark reguliert, nur verhältnismäßig wenige Mittel stehen für sinnstiftende und gemeinwohlorientierte digitale Projekte zur Verfügung. Deshalb können gezielte Förderungen, mit dem Ziel, neues Wissen von IT-Experten in das Bildungssystem zu transferieren, helfen, die digitalen Soft Skills sowohl für Eltern, Schulen und weitere Bildungsanbieter erreichbar zu machen. Somit könnten wir eine resiliente digitale Gesellschaft von innen heraus erschaffen – und das auch jenseits einer Bundestagswahl und der jüngsten Volte von Mark Zuckerberg.
Dennis-Kenji Kipker ist Professor für IT-Sicherheitsrecht und Wissenschaftlicher Direktor des Cyberintelligence Institute in Frankfurt am Main, Lena Otte ist Education Director am Cyberintelligence Institute.