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Standpunkte Stillstand oder Luft zum Atmen – Digitale Gesundheitspolitik in 2025

Laura Wamprecht, Geschäftsführerin von Forward Strategy
Laura Wamprecht, Geschäftsführerin von Forward Strategy Foto: Visionary Berlin

Sowohl auf Seiten der Industrie als auch der Kostenträger und Leistungserbringer kam im vergangenen Jahr niemand um die Digitalisierung des Gesundheitswesens herum. Durch das abrupte Regierungsaus und bis zur neuen Regierungsbildung klafft eine digitalpolitische Lücke im Gesundheitsbereich. Diese kann laut Laura Wamprecht, Geschäftsführerin der Beratungsfirma Forward Strategy, als Treiber oder Hemmschuh für das Jahr 2025 gesehen werden.

von Laura Wamprecht

veröffentlicht am 30.01.2025

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Das abrupte Ende der Ampel hat in der Gesundheitspolitik viele Gesetzte auf Eis gelegt und der fehlende Bundeshaushalt lähmt Teile der Branche. Für manche Akteure kommt diese Zäsur gerade recht.

Mit der Krankenhausreform wurde noch ein richtungsweisender Aspekt auf den Weg gebracht, aber viele digitalpolitische Vorhaben werden erst in einer neuen Regierung wieder aufgegriffen. Deswegen blicken viele Akteure mit Spannung auf die Bundestagswahl – manche voller Hoffnung, andere voller Sorgen. In der Vergangenheit hat sich beispielsweise beim Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG), der Telemedizin oder digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gezeigt, wie die Regulierung auf die Marktdynamik wirkt und manche Geschäftsmodelle ermöglicht oder sehr unattraktiv macht.

Vorläufige Haushaltsführung bremst Vorhaben aus

Während der Bruch der Bundesregierung einer Vollbremsung glich, wirkt die Finanzierung staatlicher Ausgaben über eine vorläufige Haushaltsführung aufgrund des fehlenden Bundeshaushaltes für 2025 eher wie eine angezogene Handbremse. Bestehenden finanziellen Verpflichtungen wird zwar nachgekommen, aber für neue Vorhaben wird es schwieriger.

Spürbar wird dieser Umstand oft im Kleinen: Gelder für beispielsweise Forschungsprojekte, Vorhaben und Förderprogramme mit Bundesbeteiligung, die zwar auf den Weg gebracht, aber noch nicht bewilligt wurden, sind plötzlich in der Schwebe. Das Ergebnis ist eine große Unsicherheit und geringe Planbarkeit, da zum Beispiel Aufträge hinausgezögert und projektbezogene Stellen derzeit nicht besetzt werden. Projektpartner und potenzielles Personal schaut sich nach anderen Möglichkeiten um, Projektkosten steigen und Zeitpläne geraten ins Wanken.

Das betrifft auch Forschungsförderungen mit Bezug zu Medizin und Gesundheitswesen, die federführend im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) liegen. Wir spüren also keine große akute Katastrophe, aber in Summe bremst dieser Zustand vor allem Innovation und Investition in die Zukunft aus. Als Land büßen wir damit mittelfristig Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit ein.

Stillstand im Parlament, Verordnungen als Lösung

Derzeit erlangen nur wenige Gesetze eine parlamentarische Mehrheit, doch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) arbeitet weiter auf Ebene der Verordnungen. Viele digitalpolitischen Gesetze der letzten Jahre gaben eine Richtung vor und legten den Grundstein für eine detailliertere Umsetzung über Verordnungen, die kein parlamentarisches Verfahren durchlaufen. Damit hat das BMG auch in Zeiten der Neuwahlen einen gewissen Handlungsspielraum.

Was sich also politisch nach Stillstand anfühlen mag, bietet für manche auch einen wilkommenen Raum zur detaillierten Ausarbeitung und fachlichen Debatten zur Umsetzung. Ein aktuelles Beispiel ist der Referentenentwurf zur C5-Äquivalenz-Verordnung, der am 6. Januar vom BMG veröffentlicht wurde. Ein zweiter Referentenentwurf einer Verordnung betrifft die anwendungsbegleitende Erfolgsmessung (AbEM) von DiGA. Beide Verordnungen konkretisieren die Umsetzung des Digital-Gesetzes. Weitere werden sicher folgen und den Zeitraum bis zur neuen Bundesregierung überbrücken.

Neuwahlen bringen Atempause zwischen Go-Lives

Während wir zwar derzeit keine Koalition mehr haben, welche digitale Gesundheitspolitik gestaltet, ist am 15. Januar 2025 ein wichtiger Meilenstein erreicht worden und die „elektronische Patientenakte für alle“ (ePA) ging in den Modellregionen an den Start.

Der Wechsel vom Opt-in zum Opt-out und die Fokussierung auf die Einführung der ePA gehören zu großen Errungenschaften der Ampel-Regierung. In den kommenden Monaten werden viele Ressourcen gebunden sein, um die ePA-Einführung flächendeckend umzusetzen. Das betrifft sowohl ambulante als auch stationäre Versorgung und zu Mitte des Jahres auch die Pflege in Zusammenarbeit mit den Herstellern. Wer mit der Einführung der ePA alle Hände voll zu tun hat, wird auch froh sein, über eine kleine digitalpolitische Verschnaufpause.

Ähnlich sieht es bei den Krankenhäusern aus, die mitten in der Umsetzung ihrer KHZG-Projekte stecken. Hier zeichnen sich die ersten Erfolge ab und Hersteller sowie Krankenhäuser vermelden einen Go-Live nach dem nächsten. Auch wenn viele Projekte noch weit nicht abgeschlossen sind, hat die zweite Erhebung des Digitalradar gezeigt, dass sich in den letzten drei Jahren viel getan hat: der Digitalradar Score stieg um mehr als 25 Prozent an. Der Fortschritt ist in allen Kategorien messbar und kleiner Fun Fact am Rande: Der Anteil der Krankenhäuser mit Breitbandanschluss über 500 Mbit ist von 43 auf 93 Prozent angestiegen.

Neu entstanden ist das Forschungsdatenzentrum (FDZ), dessen Aufbau weiter voranschreitet. Mit der Umsetzung von eAU, E-Rezept, ePA, FDZ und KHZG kam niemand an der Digitalisierung des Gesundheitswesens vorbei. Sowohl auf Seiten der Industrie als auch der Kostenträger und Leistungserbringer ergibt sich durch die Neuwahlen der Raum für notwendige Stabilisierung und Umsetzung weiterer Themen wie die Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur (TI), die E-Rechnung oder die EUDI-Wallet. Das betrifft sowohl die Technik als auch die Veränderung in den Organisationen.

Von Brüssel bis Berlin: Digitales Momentum nicht verspielen

Für die nächsten Monate ist die Pipeline an Verordnungen und Umsetzungsprojekten gut gefüllt, aber diese droht zu versiegen, wenn die Koalitionsbildung und die Verabschiedung eines Haushaltes zu lange dauern.

Gleichzeitig stehen notwendige gesetzliche Anpassungen, die die umsetzenden Akteure benötigen, um rechtssicher und effizient die Projekte vorantreiben zu können, aktuell still. Ein Beispiel ist die obligatorische Vergabe der Krankenversichertenummer (KVNR) in der PKV, für die weiterhin die Rechtsgrundlage fehlt. Die KVNR kann aktuell nur durch Einwilligung jedes einzelnen Versicherten vergeben werden und ist Voraussetzung dafür, dass auch Privatversicherte an der TI teilnehmen können. Die fehlende Rechtsgrundlage führt also in Zeiten von konstanten Kostensteigerungen zu vermeidbarem Mehraufwand.

Weiteren Handlungsbedarf gibt es dabei vor allem bei zwei Aspekten: Zum einen das Gesundheits-Digital-Agentur-Gesetz (GDAG) zur weiteren Ausrichtung der Gematik und zum anderen die nationale Umsetzung von EU-Gesetzen wie dem AI Act und dem Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS).

Zeit bis zum neuen Parlament

Dass Mehrheitsverhältnisse die politischen Akteure vor Herausforderungen bei der Koalitionsbildung stellen können, haben die letzten Landtagswahlen gezeigt. Diese Koalition wird sich in vielen Aspekten mit denselben Herausforderungen konfrontiert sehen, an denen die Ampel zerbrochen ist. Es kann also gut sein, dass es noch mehrere Monate dauert bis im Parlament neue digitalpolitische Gesetze für das Gesundheitswesen verabschiedet werden.

Die Akteure können diese Zeit klug zu nutzen und sich entsprechend ausrichten, um nach der Verschnaufpause wieder mit vollem Elan zu starten.

Laura Wamprecht ist Geschäftsführerin von Forward Strategy, der Boutique Beratung für Strategie, Transformation und Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die Biochemikerin ist außerdem Mitglied im Clusterbeirat Gesundheitswirtschaft Berlin Brandenburg.

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