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Digitalisierung & KI

Standpunkte Verwaltungsdigitalisierung: Die Coronakrise als Treiber nutzen

Foto: Universität Leipzig

Die im Zuge der Coronakrise freigesetzten Finanzmittel können eine Chance für die digitale Verwaltung sein, glauben Oliver Rottmann von der Universität Leipzig, sowie Klaus-Peter Horstmann, Hans-Joachim Meinert und Kristina Tyufekchieva. Allerdings müssen dazu alle Gebiets- und Politikebenen mitwirken.

von Oliver Rottmann

veröffentlicht am 05.08.2020

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Die Coronakrise bildet eine Blaupause für die Digitalisierung in Deutschland. Sie hat die Notwendigkeit der digitalen Vernetzung bereits jetzt in zahlreichen Bereichen substanziell erhöht. Homeoffice und -Schooling, das Verschwimmen von Wohnen, Arbeiten und Bildung, digitale Konversation statt physischer Besuche und Ähnliches werden künftig stärker digital flankiert. Durch neue Kommunikationskonzepte entstehen veränderte Formen von Arbeit oder Bildung. Und es intensiviert sich das E-Government, das den gewohnten Behördengang ersetzt. Unternehmen stellen sich dieser Herausforderungen seit längerer Zeit. Aber auch für die öffentlichen Verwaltungen wächst der Druck.

Deutschland hat Nachholbedarf

Die Ausgangslage ist nicht die beste: Von einer umfassenden und flächendeckenden Digitalisierung ist die öffentliche Verwaltung noch sehr weit entfernt. Zwar mangelt es nicht an Innovationen und erfolgreichen Praxisbeispielen. Allerdings sind in zahlreichen Verwaltungen die Grundlagen nicht vorhanden, wie beispielsweise ein umfassender Bestand an elektronischen Akten – was einen digitalen Basisdienst darstellt. Eine vor wenigen Jahren durchgeführte Kommunalbefragung des KOWID an der Universität Leipzig zeigte, dass nur zwölf Prozent der befragten Kommunen ihren Aktenbestand überwiegend digitalisiert haben und dass für ebenfalls nur zwölf Prozent eine ECM-Lösung (Erfassung, Bearbeitung, Verwaltung und Speicherung von Daten) vorstellbar ist.

Bei den Dienstleistungen für Bürger ist eine vollständige digitale Abwicklung von Verwaltungsvorgängen aktuell nur in den wenigsten Fällen (wie zum Beispiel die Online-KfZ-Zulassungen) umsetzbar. Daher ist es nicht überraschend, dass die Verwaltungsdigitalisierung gegenüber den Bürgern, aber auch verwaltungsintern, nur zäh voranschreitet. Das Ergebnis: Die Bundesrepublik erreichte nach einem aktuellen Bericht der EU-Kommission im europäischen Vergleich bei den digitalen öffentlichen Diensten lediglich den 21. Platz.

Seit Jahren versuchen Bund und Länder das zu ändern. Zur Digitalisierung von Verwaltungsleistungen ist die öffentliche Hand inzwischen gesetzlich verpflichtet. Sowohl das E-Government-Gesetz des Bundes und die entsprechenden Gesetze der Länder als auch das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichten die öffentlichen Ämter, ein Mindestmaß an Digitalisierung einzuführen und anzubieten. Verschiedene Regierungs- und Digitalisierungsprogramme (Digitale Verwaltung 2020, Digitalisierungsprogramm des IT-Planungsrates) sollen diese weiterhin vorantreiben. Damit ist die analoge Verwaltung längst keine Option mehr.

Corona bietet eine weitere Chance

Die Coronakrise hat uns nicht nur nochmals die großen Bedarfe vor Augen geführt, sondern auch enorme finanzielle Mittel für die Digitalisierung freigemacht. Drei Milliarden Euro sieht das Konjunkturpaket allein für die Verwaltungsdigitalisierung vor. Über 500 Leistungen sind von Bund, Ländern und Gemeinden bis 2022 online zur Verfügung zu stellen, von der Beantragung über die Bezahlung, die Abwicklung und die Zustellung des Bescheids bis hin zum Widerspruchsverfahren. So sieht es das OZG vor.

Das neue Zeitfenster und die neuen Rahmenbedingungen müssen nun genutzt werden. Denn die Chancen, die die Digitalisierung mit sich bringt, sind enorm. Dazu zählen die Erleichterung und Verschlankung von Verwaltungsprozessen, der Bürokratieabbau, die Schonung der natürlichen Ressourcen und eine größere Orientierung an die Bedarfslagen der Nutzer. Auch in Zeiten von Corona hilft die Verwaltungsdigitalisierung, auf Prozesse und Dokumente Zugriff zu behalten.

Der Weg ist noch weit

Der Weg zu einem digitalen Wandel in Verwaltungen ist jedoch mit technischen, organisatorischen, rechtlichen und finanziellen Herausforderungen verbunden. Koordinierungsfragen, unklare Zuständigkeiten, fehlende politische Verantwortung, rechtliche Hemmnisse, fehlende Experimentierräume für die öffentliche Verwaltung sowie das häufig unzureichende digitale Know-how wirken hierbei erschwerend.

Der erhöhte Kosten- und Zeitaufwand der Digitalisierungsprozesse sowie der damit zusammenhängende „Return-on-Invest“ stehen oft im Widerspruch zum Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit öffentlicher Haushalte. Dazu kommen auch das Erfordernis des Umdenkens und der Akzeptanz innerhalb der Verwaltung sowie die Weiterqualifikation des Personals.

Die Hürden der Digitalisierung in der Verwaltung sind jedoch nicht unüberwindbar. Best-Practice-Beispiele zeigen, dass eine Transformation entweder aus eigener Kraft heraus als auch in Kooperation mit Dritten möglich ist. Dass vieles digital umsetzbar ist, zeigen zahlreiche Beispiele: So ist gerade die Beantragung von Corona-Hilfen über Amt24 vollkommen digital abruf- und umsetzbar. Die elektronische Steuererklärung (Elster) ist ebenso möglich wie die Online-Beantragung von Personenstandsurkunden in den meisten Gemeinden (Geburtsurkunden, Führungszeugnisse etc.).

Was getan werden sollte

Um eine Flächendeckung digitaler Angebote zu erreichen, erfordert es der Mitwirkung aller Gebiets- und Politikebenen. Zunächst muss das Recht digitaltauglicher werden. Der restriktive Datenschutz ist häufig ein substanzielles Hemmnis für eine umfassende Digitalisierungsstrategie. So musste beispielsweise das ELENA-Verfahren, das den Einkommensnachweis elektronisch mithilfe einer Chipkarte und elektronischer Signatur erbringen und die zentrale Speicherung von Arbeitnehmerdaten und die Nutzung dieser Daten durch die Agenturen für Arbeit gewährleisten sollte, eingestellt werden, da die Datenschutzstandards für die elektronische Signatur nicht rechtzeitig flächendeckend erreicht werden konnten.

Relevante Gesetze müssen folglich mit einem digitalen Vollzug kompatibel sein. Ein wesentliches Hindernis ist in diesem Zusammenhang das Schriftformerfordernis. Auch sind nicht zuletzt Medienbrüche möglichst zu verhindern, damit die Bürger ihre Behördenangelegenheiten idealerweise auch vom heimischen PC aus oder mit dem Smartphone erledigen können.

Verwaltungsorganisationen brauchen Freiräume zum Experimentieren, gleichzeitig aber auch klare Empfehlungen. Insbesondere auf kommunaler Ebene bieten interkommunale, aber auch öffentlich-private Kooperationen, die die Umsetzung von Digitalisierungsstrategien beinhalten, Chancen. Unabdingbar ist die Steigerung der Produkt- und Tech-Expertise innerhalb der Verwaltung, die durch Weiterbildungsmöglichkeiten und einer verbesserten Personalrekrutierung realisiert werden kann. Für die Ebene der einzelnen Verwaltungsorganisationen ist eine klare Digitalisierungsstrategie essenziell, die auf Lernkultur, Fehlertoleranz und Transparenz basiert.

Oliver Rottmann, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Leipzig, ist geschäftsführender Vorstand des Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsfürsorge (KOWID). 

Klaus-Peter Horstmann arbeitet beim Dienstleistungsunternehmen Majorel, Hans-Joachim Meinert ist Geschäftsführer der Frankenraster GmbH und Kristina Tyufekchieva ist Mitarbeiterin am Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) der Universität Leipzig.

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