Standpunkte Warum Start-up-Förderung mehr braucht als Quadratmeter und Glasfaser

In Deutschland sind viele Gründungszentren entstanden. Allerdings oft auch mit wenig Relevanz fürs Ökosystem. Statt um Gründer:innen geht es zu häufig um lokale Sichtbarkeit – nicht immer um tatsächlichen Bedarf, kritisiert Jasper Roll.
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Jetzt kostenfrei testenDeutschland hat in den vergangenen Jahren massiv in Gründungsinfrastruktur investiert: Über 350 Technologie- und Innovationszentren stehen bereit. Finanziert unter anderem mit öffentlichen Mitteln, ausgestattet mit Glasfaser, Besprechungsräumen – und jeder Menge guter Absicht. Doch bei aller Euphorie bleibt ein Gefühl: Wir machen viel – aber wirken zu wenig.
Zentren entstehen vielerorts reflexartig. Der Fördertopf ruft, die Kommune folgt. Ein neues Gründungszentrum hier, ein Digital Hub dort – oft ohne zu fragen, ob es im Umfeld überhaupt Gründer:innen gibt. Oder Menschen, die wissen, wie man Start-ups wirklich begleitet. Der Wunsch, „auch was für Start-ups zu tun“, mündet dann in Immobilienprojekten mit Broschürencharme, aber wenig Relevanz fürs Ökosystem.
Erfolgreiche Vorbilder nicht einfach kopieren
Ein aktueller politischer Versuch, die Gründungsförderung zu systematisieren, ist der Leuchtturmwettbewerb Start-up Factories des Bundeswirtschaftsministeriums. Ziel ist es, Ausgründungen aus Hochschulen gezielt zu fördern – ein Vorhaben, das direkt aus dem Koalitionsvertrag hervorgeht: Dort ist von einer „Gründungsinfrastruktur für technologisches wie soziales Unternehmertum“ und einer Stärkung der „Ausgründungskultur“ die Rede. Richtig so.
Doch während sich einige Konzepte ambitioniert geben, droht die Gefahr, dass sie erfolgreiche Vorbilder lediglich kopieren – ohne die Voraussetzungen, die das Original stark gemacht haben: Kapital, Talent, Marktnähe. Das Münchner Beispiel UnternehmerTUM ist das Resultat jahrelanger Entwicklung – getragen von der TUM, gefördert durch privates Kapital, flankiert durch Forschung und Industrie.
Die Start-up Factories hingegen funktionieren anders: Sie sind regionale Verbünde mehrerer wissenschaftlicher Einrichtungen – zum Beispiel bei Unite in Berlin-Brandenburg etwa 18 – sowie weiterer Partner aus Wirtschaft und Gesellschaft und setzen Public-Private-Partnerships sogar voraus. Wer im Wettbewerb weiterkommen will, braucht sowohl öffentliche als auch private Investoren. Damit greifen sie ein zentrales Versprechen des Koalitionsvertrags auf: die enge Verzahnung von öffentlicher Förderung und unternehmerischer Praxis.
Doch genau hier liegt die Herausforderung: Wer heute eine „Factory“ aufsetzt, in der Hoffnung, damit eine ähnliche Wirkung zu erzeugen wie in München, unterschätzt, wie stark der Erfolg vom Kontext abhängt – und wie wenig sich ein echtes Ökosystem zentral planen lässt.
Ökosysteme sind keine Schnellbauprojekte
Gründungszentren sind wie zarte Pflänzchen. Sie brauchen Pflege, Raum, Zeit – und die richtigen Nährstoffe. Zu viele, zu nah beieinander gepflanzt, rauben sich gegenseitig die Energie. In manchen Regionen entstehen Zentren im 20-Kilometer-Takt. Doch statt um Gründer:innen geht es dort oft um lokale Sichtbarkeit – nicht immer um tatsächlichen Bedarf.
Was stattdessen fehlt, sind vernetzte Gründungsregionen mit klaren Profilen. Warum nicht Rhein-Ruhr als Verbund für Industrie-Start-ups? Oder Leipzig–Jena–Dresden als Cluster für Life Sciences? Oder ein gezielterer Ansatz für strukturschwächere Regionen, in denen Gründung nicht am Talent, sondern am Kapitalzugang scheitert?
Viele dieser Überlegungen finden sich bereits in aktuellen Förderlinien: Der Fokus auf gemeinsame Infrastruktur, auf One-Stop-Shops, auf gezielte Public-Private-Allianzen ist richtig. Jetzt kommt es darauf an, sie mit Leben zu füllen – nicht mit Flächendeckung, sondern mit Fokus.
Es wird gerne von Disruption gesprochen – doch was viele Regionen brauchen, ist keine Weltneuheit, sondern funktionierende Lösungen. Innovation, die echten Bedarf trifft. Nicht von null auf hundert – sondern von null auf eins. Und das ist oft schon genug unternehmerische Höchstleistung.
Förderung darf kein Schema-F-Projekt sein
Wir sehen das in unserer eigenen Arbeit bei Haufe Group Ventures. Dort entwickeln wir mit Gründer:innen Lösungen für reale Probleme. So entstand Intalento, eine Plattform zur Automatisierung von Visa-Prozessen für internationale Fachkräfte. Entstanden durch Gespräche mit HR-Abteilungen – nicht aus einer Idee auf dem Whiteboard.
Was vielen Zentren fehlt, ist nicht Fläche, sondern unternehmerische Erfahrung. Gründer:innen brauchen keine Standortverwaltung – sie brauchen Sparringspartner, die selbst gegründet haben. Sie brauchen Zugang zu Kapital, nicht nur Afterwork-Drinks. Und sie brauchen sinnvolle Antworten für echte Probleme, nicht nur Pitch-Wettbewerbe.
Förderung entscheidet nicht über die Qualität einer Gründung – aber sie kann ein wirksamer Unterstützer sein. Gute Inkubation bedeutet: individuelle Begleitung, relevante Netzwerke, erfahrene Mentor:innen. In der Fläche kann das heißen, dass Start-ups sich ihr Netzwerk erst erarbeiten müssen – remote, verteilt, flexibel. Genau dafür braucht es die richtige Infrastruktur. Förderung darf kein Schema-F-Projekt sein. Sondern eine Einladung, unternehmerisch zu handeln.
Gründungsförderung muss raus aus der Symbolpolitik – und rein in die Wirkung. Es geht nicht darum, überall Start-ups zu produzieren. Sondern an den richtigen Stellen gute Ideen zu ermöglichen. Wer Förderung neu denkt, sollte weniger auf die Quadratmeter schauen – und mehr auf das, was darin wirklich entsteht.
Denn: Gründer:innen entstehen nicht durch Grundrisse – sondern durch Vision.
Es ist Zeit, Förderung wieder an Wirkung zu messen.
Jasper Roll ist Geschäftsführer von Haufe Group Ventures, dem Venture-Arm der Haufe Group. Er war Mitgründer, Company Builder, Investor – und arbeitet heute an der Schnittstelle von Mittelstand und Start-up.
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