Standpunkte Die Neue Bundesregierung muss die Industriepolitik mit Vorrang erneuern

Viele Vorhaben im Koalitionsvertrag klingen sehr gut, aber die Umsetzung wird entscheiden, ob der Industriestandort Deutschland profitiert. Den Plänen müssen rasch Taten folgen, sollen die versprochenen Entlastungen noch in diesem Jahr die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie verbessern. Entscheidend wird sein, die Maßnahmen entsprechend ihrer Wirkung und unmittelbaren Umsetzbarkeit zu priorisieren, empfiehlt der Präsident des Verbandes Die Papierindustrie, Hans-Christoph Gallenkamp.
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Jetzt kostenfrei testenNach Jahren zunehmender Belastungen sind die angekündigten Maßnahmen ein längst überfälliges Signal für unsere Industrie, die massiv unter den hohen Kosten und mangelnder Planungssicherheit leidet. Zu lange haben die Unternehmen einen klaren industriepolitischen Kompass vermisst. Die Chance ist jetzt für einen echten, wirkungsvollen Neuanfang gegeben – ohne halbherzige Versprechen.
Schnelles und entschlossenes Handeln ist gefordert
Elementar für die Zukunft energieintensiver Industrien und deren internationale Wettbewerbsfähigkeit sind die angekündigte Reduktion der Stromnetzentgelte, die Abschaffung der Gasspeicherumlage und die Entfristung der Stromsteuerentlastung. Damit würden nationale Mehrbelastungen der vergangenen Jahre zu einem großen Teil zurückgenommen und Planungssicherheit hergestellt werden. Wichtige Entlastungen also, die keinen Aufschub dulden und innerhalb der ersten 50 Tage von der neuen Regierung umgesetzt werden müssen und auch können.
Strukturelle Maßnahmen sind für die Zukunft entscheidend
Für ein investitionsfreundliches Klima bedarf es aber wesentlicher, grundsätzlicher Änderungen des wirtschaftspolitischen, langfristig verlässlichen Rahmens ohne das Risiko erneuter Zusatzbelastungen. Ohne Frage sind wettbewerbsfähige Strompreise ein entscheidender Faktor für eine erfolgreiche industrielle Transformation. Doch die im Rahmen des Kohleausstiegs getroffene Vereinbarung, Kohlekraftwerke durch regelbare Gaskraftwerke zu ersetzen, stockt.
Denn während Deutschland aus der Kohle aussteigt, ist der Einstieg in neue Kraftwerke noch nicht erfolgt. Das schafft Unsicherheit und treibt die Börsenstrompreise, vor allem bei Dunkelflauten, mit schweren Folgen für die Industrie. Auch unsere europäischen Nachbarn spüren diese Auswirkungen und verlieren Vertrauen in unseren Strommarkt. Es ist daher richtig, den Einsatz von Reservekraftwerken zur gezielten Preisstabilisierung zu prüfen, bis sie durch moderne Gaskraftwerke abgelöst werden können.
Wir Unternehmen der Papierindustrie könnten mit unseren modernen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Bei angemessenen Anreizen sind die Anlagen in der Lage, über die im Unternehmen benötigte Energie hinaus gesicherte Leistung bereit zu halten und gleichzeitig durch Power-to-Heat-Anlagen Überschüsse der Erneuerbaren Energien zu nutzen, ohne die 24/7 laufende Papierproduktion zu gefährden – auf Basis derselben Strominfrastruktur.
Erdgas bleibt in diesem Prozess die unverzichtbare Übergangs-Energiequelle, bis ausreichend Grüne Gase verfügbar sind. Dies muss sich aber zwingend bei Abgaben, Energiesteuer und Netzentgelten widerspiegeln. Die Abschaffung der Gasspeicherumlage ist daher der einzig richtige und überfällige Schritt, auf den eine Entlastung bei der Energiesteuer und den Gasnetzentgelten folgen sollte.
Eine der wesentlichen Rahmenbedingungen ist das Vertrauen in einen effektiven Schutz vor Carbon Leakage, also der Abwanderung energieintensiver Produktion und damit einhergehender CO2-Emissionen in Länder ohne effektive CO2-Bepreisung außerhalb Europas. Obwohl sich der bisherige Schutz, die Zuteilung von Zertifikaten auf der Basis von Benchmarks, bewährt hat, soll ihn der unsichere CO2-Grenzzoll (CBAM) ersetzen.
Dieser kann selbst in der Theorie keinen vollen Schutz leisten, weil es bisher kein Konzept für eine Exportlösung gibt, die auch internationale Handelsregeln einhält. In der Praxis ist der CBAM zudem anfällig für Umgehungstatbestände, sodass ein sicherer Carbon-Leakage-Schutz durch ihn – mit Stand heute – nicht gewährleistet werden kann. Es ist daher ein starkes Signal, dass die Zertifikate-Zuteilung für die angehenden Koalitionäre eine Option bleibt, falls der CBAM auch in Zukunft die in ihn gesteckten Erwartungen nicht erfüllt. Dieser Plan B muss nun weiter konkretisiert werden, um der Industrie Gewissheit beim Thema Carbon-Leakage-Schutz zu geben.
Starke Industrien beflügeln den Transformationsprozess der Wirtschaft
Die größte wirtschaftspolitische Aufgabe der neuen Bundesregierung ist die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit als Grundvoraussetzung dafür, dass die Industrie in Deutschland erhalten bleibt. Damit diese parallel dazu auch die ambitionierten Klimaziele erfüllen kann, bedarf es weitergehender Anstrengungen. Dazu zählt der Aufbau der notwendigen Infrastruktur (Strom, Wasserstoff, CO2), die auch die im ländlichen Raum gelegenen Papierfabriken erreichen muss. Zudem gilt es, einen rechtlichen Rahmen für die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) inklusive anrechenbarer Negativ-Emissionen zu schaffen sowie eine gezielte Unterstützung bei der Finanzierung und Förderung für den Hochlauf von Transformationstechnologien sicherzustellen.
Zu all dem gehört auch der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energien. Allerdings muss dabei stärker als bisher auf die Gesamteffizienz des Systems geachtet werden, indem die Förderung der Erneuerbaren stärker am Strommarkt ausgerichtet und auch der Einfluss auf die Netzkosten berücksichtigt wird. Nur wenn Versorgungssicherheit, Kosten und Klimaschutz in einem ausgewogenen Verhältnis stehen, ist die Transformation wirtschaftlich umsetzbar, dauerhaft tragfähig und gesell-schaftlich akzeptabel.
Priorisierung als Gebot der Stunde
Die Grundstoffindustrien und ihre Produkte sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie leisten einen essenziellen Beitrag zur Sicherung von Wohlstand und Beschäftigung. Besonders die Papierindustrie spielt eine aktive Rolle im Transformationsprozess – auch in übergeordneten Bereichen wie der Energiewende. Dort kann durch ihre energiesystemische Struktur eine bedeutende Funktion innerhalb der Stromnetze übernehmen und zur Stabilität des Energiesystems beitragen.
Jetzt ist die Politik gefordert, durch verlässliche und zukunftsorientierte Rahmenbedingungen die nötige Planungssicherheit zu schaffen. In den kommenden Monaten wird es daher entscheidend sein, dass die neue Koalition gezielt Maßnahmen identifiziert und priorisiert, die mit minimalem bürokratischem Aufwand eine maximale Entlastungswirkung entfalten. Dazu gehören unter anderem die Abschaffung der Gasspeicherumlage oder die Entfristung der Strompreisreduzierung.
Hans-Christoph Gallenkamp ist CEO des Spezialpapierherstellers Felix Schoeller und Präsident des Verbandes Die Papierindustrie.
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