Standpunkte Die neue Bundesregierung muss klare Energiewende-Entscheidungen treffen

Das neue Solarspitzengesetz könnte dem Ausbau der Photovoltaik erheblich schaden, befürchtet Andreas Thorsheim. Die Bundesregierung hat es versäumt, rechtzeitig eine flankierende Verbreitung von Batteriespeichern in Gang zu bringen, kritisiert der Chef des Solarunternehmens Otovo.
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Jetzt kostenfrei testenDeutschland steht an einem Wendepunkt: Die neue Bundesregierung entscheidet, ob die Energiewende an Fahrt gewinnt oder ins Stocken gerät. Als europaweit agierendes Unternehmen für Solaranlagen erleben wir tagtäglich, wie Photovoltaik und Speicherlösungen Haushalte unabhängiger machen. Doch politische Unsicherheiten und neue gesetzliche Vorgaben bremsen das volle Potenzial der Solarbranche in Deutschland aus. Jetzt braucht es klare Entscheidungen, um private Investitionen anzuregen, Innovationen zu fördern und langfristige Energiesicherheit zu schaffen.
Während einige Parteien den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben wollen, setzen andere auf Kernenergie oder verlängerte Laufzeiten fossiler Kraftwerke. Der politische Kurs der kommenden Jahre entscheidet, ob Deutschland seine Klimaziele erreicht und Strompreise stabil bleiben – oder ob Verbraucher und Unternehmen unter steigenden Kosten leiden.
Wir beobachten in Europa sehr unterschiedliche Entwicklungen: In Ländern wie Polen und Frankreich wurde der Solarausbau in den letzten Jahren durch gezielte Förderprogramme massiv beschleunigt. Gleichzeitig sehen wir, dass unsichere politische Rahmenbedingungen, wie sie aktuell in Deutschland durch das neue Solarspitzengesetz oder in Österreich durch die Abschaffung der Mehrwertsteuersubvention entstehen, den Ausbau bremsen können.
Solarspitzengesetz: Fokus auf Eigenverbrauch – aber zu welchem Preis?
Seit dem 25. Februar 2025 gilt das Solarspitzengesetz, das Eigenverbrauch und Batteriespeicher in den Fokus rückt. Damit sollen Verbraucher entlastet und das Netz stabilisiert werden. Gleichzeitig sinkt die Einspeisevergütung weiter – am 1. Februar wurde sie bereits reduziert, am 1. August folgt die nächste Kürzung.
Das Problem: Viele Haushalte verfügen nicht über ausreichend große Batteriespeicher, um den Eigenverbrauch optimal zu steigern. Während in Ländern wie Frankreich oder Italien gezielte Förderprogramme für Speicherlösungen und Eigenverbrauchsprämien existieren, setzt Deutschland stattdessen auf sinkende Einspeisevergütungen. Aktuell erhalten Betreiber neuer Solaranlagen für jede eingespeiste Kilowattstunde nur noch rund 8 Cent, während der durchschnittliche Haushaltsstrompreis bei über 30 Cent pro kWh liegt. Die Rechnung ist eindeutig: Jede selbst verbrauchte Kilowattstunde spart mehr als das Dreifache im Vergleich zur Einspeisung.
Anstatt Verbraucher beim Eigenverbrauch durch Speicherförderungen zu unterstützen, sorgt das Solarspitzengesetz dafür, dass sich die Einspeisung noch weniger lohnt. Wer keinen großen Speicher besitzt, muss also entweder seinen Strom verschenken oder zu niedrigen Preisen einspeisen – und später teuer zurückkaufen. Das ist nicht nur wirtschaftlich unattraktiv für Verbraucher, sondern bremst auch die Investitionsbereitschaft in neue Solaranlagen. Deutschland hinkt bei der Förderung von Speichertechnologien hinterher. Wenn sich das nicht ändert, könnte das Solarspitzengesetz paradoxerweise dazu führen, dass weniger Menschen in eine Solaranlage investieren – ein Rückschlag für die Energiewende.
Gezielte Maßnahmen – andere Länder machen es vor
Damit Deutschland den Solarausbau weiter vorantreibt, sind klare politische Entscheidungen gefragt:
- Bürokratie abbauen und Genehmigungen beschleunigen: Solaranlagen müssen schneller und einfacher installiert und ans Netz gebracht werden können. Viele Betreiber warten Wochen oder sogar Monate, bis ihre Anlage offiziell einspeisen darf – währenddessen bleibt wertvoller Solarstrom ungenutzt. In Polen haben digitale Anmeldeverfahren den Prozess drastisch verkürzt – Deutschland sollte diesem Beispiel folgen und die Anmeldung vereinfachen, standardisieren und digitalisieren.
- Speichertechnologien stärker fördern: Batteriespeicher sind entscheidend für eine stabile Energieversorgung. Sie ermöglichen es Haushalten, mehr des selbst erzeugten Stroms zu nutzen und das Netz zu entlasten. Frankreich zeigt, dass gezielte Förderungen hier einen starken Anreiz schaffen können. Deutschland sollte eine umfassende Speicherstrategie entwickeln, um sowohl Privathaushalte als auch Unternehmen gezielt zu unterstützen.
- Finanzielle Hürden für den Solarausbau senken: Die Bundesregierung muss den Ausbau der Solarenergie finanziell attraktiver gestalten. Wir fordern gezielte Maßnahmen zur Senkung der Investitionskosten für Haushalte und Unternehmen. Leasing-Modelle und steuerliche Anreize müssen ausgeweitet werden, damit mehr Menschen in Photovoltaik investieren können – ohne hohe Einmalzahlungen. Stattdessen sollten sie durch monatliche Raten sofort von günstigem Solarstrom profitieren. Ein entscheidender Schritt wäre die dauerhafte Abschaffung der Mehrwertsteuer auf PV-Anlagen und Speicherlösungen. Aktuell zahlen Verbraucher bei einer 12-Kilowatt-Peak-Anlage rund 3.400 Euro Mehrwertsteuer, für einen 15-kWh-Speicher etwa 2.250 Euro – ein unnötiger Kostenfaktor, der den Eigenverbrauch weniger attraktiv macht. Die Bundesregierung muss hier nachziehen, so wie es bereits in anderen Ländern der EU geschehen ist. Nur mit einer konsequenten Finanzierungsstrategie kann Deutschland den Solarausbau beschleunigen und private Investitionen fördern.
- Netzinfrastruktur modernisieren: Überlastete Stromnetze führen bereits heute dazu, dass Solarstrom nicht vollständig genutzt oder sogar abgeregelt wird. Investitionen in Smart Grids und dezentrale Energielösungen sind daher dringend nötig, um den steigenden Anteil erneuerbarer Energien effizient ins Netz zu integrieren. Netzausbau und Digitalisierung müssen Hand in Hand mit dem PV-Wachstum gehen. Ohne smarte Infrastruktur bleiben viele Potenziale ungenutzt, während Verbraucher höhere Netzentgelte zahlen.
Jetzt die richtigen Weichen stellen
Die Solarenergie bietet uns die Chance, Klimaschutz mit wirtschaftlichem Wachstum zu verbinden. Der steigende CO2-Preis macht fossile Brennstoffe jedes Jahr teurer – eine Gasheizung könnte in wenigen Jahren mehrere hundert Euro mehr kosten. Eine mit Solarstrom betriebene Wärmepumpe kann hier langfristig enorme Einsparungen bringen.
Andere europäische Länder zeigen, wie es geht: Mit gezielter Speicherförderung, smarten Finanzierungsmodellen und verlässlichen Vergütungen kann die Solarbranche weiter wachsen und Verbraucher entlasten. Deutschland muss jetzt handeln, um im globalen Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren – und gleichzeitig allen Beteiligten die Chance geben, den Wandel aktiv mitzugestalten.
Andreas Thorsheim ist Gründer und Vorstandschef des aus Norwegen stammenden, europaweit tätigen Solaranlagen- und Batteriespeicher-Anbieters Otovo.
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