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Energie & Klima

Standpunkte Es gibt genug Fachkräfte für einen PV-Boom

Fabian Zuber, Projektleiter, Reiner Lemoine Stiftung
Fabian Zuber, Projektleiter, Reiner Lemoine Stiftung Foto: Fabian Zuber

Ist der vieldiskutierte Fachkräftemangel wirklich der limitierende Faktor beim deutlich schnelleren Ausbau der Solarenergie in Deutschland? Fabian Zuber, Karl-Heinz Remmers und Bernhard Strohmayer, die beim „PV Think Tank" mitarbeiten, halten in ihrem Standpunkt das Argument für vorgeschoben. Schon in der Vergangenheit habe sich gezeigt, dass hohe Installationsraten möglich seien. Vielmehr blockiere die überbordende Regulierung – und da könne die Politik Abhilfe schaffen.

von Fabian Zuber

veröffentlicht am 04.05.2022

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Die neue Bundesregierung hat die Ziellatte für den PV-Zubau bis 2030 auf 215 Gigawatt (GW) gelegt. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen rund 50 GW neuer PV-Anlagen errichtet – und somit der Bestand fast verdoppelt werden. Das klingt nach viel. Aber geht in Anbetracht der sich verschärfenden Klimakatastrophe und dem Angriffskrieg unseres bisherigen Premiumlieferanten Russland noch mehr? Bundesklimaminister Robert Habeck stellte in einem „Taz“-Interview kürzlich die These auf: „Noch mehr geht einfach nicht, auch schon physisch. So viele Hände gibt es gar nicht, die das alles umsetzen und verbauen.“

Klar ist: Die Herausforderung ist gigantisch. Jahrelang mussten Installationsbetriebe und Montagetrupps sich durch unsichere Marktbedingungen und ein Geflecht immer neuer bürokratischer Anforderungen navigieren. Die Investitionsbedingungen in Ausbildungsplätze und neue Kapazitäten waren in Zeiten der PV-Deckel-Politik miserabel.

Mit dem Ausbremsen des PV-Marktes vor zehn Jahren, als noch knapp 150.000 Menschen in der Solarbranche beschäftigt waren, sind weit über 100.000 Jobs verloren gegangen. Viele dieser Solarteure und Fachkräfte fehlen heute und müssen nun wieder gewonnen werden. Eine Studie der HTW-Berlin von 2021 berechnet den Bedarf an Fachkräften für Installation, Produktion und Wartung im PV-Bereich auf knapp 200.000 bis 2025, wenn der Zubau im selben Zeitraum schnell auf über 30 GW angehoben werden soll. Ohne Zweifel, hier klafft eine Lücke.

Keine neuen „Grenzen“-Narrative setzen

Aber rechtfertigt das ein Narrativ, das „physische Grenzen“ zum Maßstab macht? Schließlich wurden in der Vergangenheit schon ähnliche Gespenster durch die Energiewelt getragen. Etwa wenn die Skeptiker der Erneuerbaren gezielt ihre Idee von den „physikalischen Grenzen“ und der bedrohten Versorgungssicherheit im energiepolitischen Diskus platzierten. Die PV-Branche hat jedenfalls mehrfach gezeigt, dass ihr Grenzen und Deckel nicht gut stehen. Und vor allem, dass sie derartige Herausforderungen bewältigen kann. Mangelt es also bezogen auf die kommenden acht Jahre an ausreichenden Händen für einen noch ambitionierteren PV-Ausbau?

Zunächst ein Blick in die Vergangenheit. In Spitzenzeiten lag der jährliche Zubau bei sieben bis acht GW. PV-Montagen gehörten damals beispielsweise zu beliebten Studentenjobs. Im Dezember 2011 wurden in einem einzigen Monat drei GW PV angemeldet und ein Großteil davon auch installiert. Tatsächlich dürften die Ausbaupotenziale heute aber höher liegen. Das liegt vor allem daran, dass die PV-Module sowie die neuen Montagetechniken um einen Faktor 1,8 und damit signifikant effizienter geworden sind. Mit demselben Personal von damals wären heute also theoretisch im Jahr im Monatspeak über fünf Gigawatt möglich.

Deutlich wird das Potenzial aber auch beim Blick auf die Gegenwart. Bei großen Dachanlagen und Freiflächenanlagen greifen Skaleneffekte. Hier kann mit weniger Personen mehr Leistung zugebaut werden. Eine Bauleitung kann zusammen mit ein bis zwei Vorarbeitern durchaus Teams von 50 bis 250 Personen gut managen. Zwar fehlt es aktuell auch hier an Projektleitern. Aber es ist möglich auf Montagetrupps zum Beispiel aus Osteuropa zurückzugreifen. Ein struktureller Personalengpass besteht hier derzeit nicht.

Jetzt klare Investitionsperspektiven schaffen

Richtig ist hingegen, dass vor allem viele Installationsbetriebe im Bereich kleiner Anlagen erst langsam beginnen, mehr Angestellte dauerhaft zu binden. Noch immer gibt es viele Betriebe, die sich noch zu wenig mit dem Thema befassen und teilweise wegen des immer noch bestehenden bürokratischen Aufwands davor zurückschrecken. Dabei sind hier Neueinstellungen dringend nötig. Ein Team bestehend aus einem Elektriker und zwei bis drei Dachdeckern kann pro Jahr gut 100 Dachanlagen mit durchschnittlich zehn Kilowatt Leistung bauen. Das entspricht gut einem Megawatt mit rund 250 Personentagen, also vier bis fünf kW pro Personentag. Für einen jährlichen Zubau von zehn GW Dachanlagen wären dann 20.000 bis 25.000 Handwerker erforderlich – und das sind die Jobs, die vor allem geschaffen werden müssen.

Für den hierfür nötigen Personalaufbau gibt es auch positive Entwicklungen. Generell erwarten Marktbeobachter ein hohes Mobilisierungspotenzial durch die Aktualität des Themas. Klimaschutz und Energiesicherheit sind ein Treiber. Aber auch über die Zuwanderung besteht viel Potenzial. Schon heute haben in zahlreichen Installationsbetrieben sehr viele DC-Monteure einen Migrationshintergrund – darunter häufig Geflüchtete aus Syrien.

Bürokratieabbau schafft Installationskapazitäten

Was allen Betrieben – auch als Basis ihrer nötigen Investitionsentscheidungen – hingegen viel mehr zu schaffen macht, ist die überbordende Bürokratie. Der echte Flaschenhals im Markt sind Genehmigungen und irre Regeln, die in den letzten Jahren auf- und nun dringend wieder abgebaut werden müssen. Beispielsweise bindet die Anlagenzertifizierung für PV-Anlagen über 135 kW oder Netzanmeldung der Anlagen wertvolle Ressourcen. 900 Netzbetreiber können hier immer noch die Regeln diktieren. Gerne auch analog. Viele Installateure verbringen folglich mehr Zeit am Schreibtisch als auf dem Dach.

Hier muss der Gesetzgeber dringend ran. Vor allem bei kleineren Dächern braucht es neben den zu schaffenden, verlässlichen Marktperspektiven einen umfassenden Bürokratieabbau, Umschulung und Ausbildungsinitiativen. Wenn das gelingt, dann werden auch wieder genug Hände frei, die den Zubau noch weiter beschleunigen können. Ein jährliches Marktwachstum von 30 bis 50 Prozent und ein schneller Ausbau der PV auf ein Niveau von über 20 GW bis zum Ende der Legislaturperiode und eine weitere deutliche Steigerung bis zum Ende des Jahrzehnts ist mit Blick auf „verfügbare Hände“ ohne weiteres möglich. Und im Bereich der PV-Großanlagen auf Freiflächen und Hallendächern gibt es schon heute keine strukturelle Knappheit an Personal.

Auf chancenbetone Kommunikation setzen

Von einer generellen Begrenzung des PV-Zubaus bis zum Ende des Jahrzehnts aufgrund eines Fachkräftemangels auszugehen, wäre daher ein falsches Signal. Es kann erwartet werden, dass für einen signifikant höheren Zubau ausreichend Personal zur Verfügung stehen wird, wenn die Bundesregierung dafür die Rahmenbedingungen schafft. Hiervon sind wir aktuell aber noch weit entfernt.

Generell ist jedenfalls bemerkenswert, dass es nach jahrelangen Debatten über drohende Arbeitsplatzverluste im Zuge des Strukturwandels nun allseits offenbar wird, dass die Energiewende im Saldo stark positive Effekte für den Jobmarkt hat. Anstatt hier neue mentale Deckel zu setzen, braucht es eine chancenbetone Kommunikation und den Mut, die Herausforderung anzugehen. Dann gibt es auch ausreichend Hände für den Ausbau der PV.

Zu den Autoren: Fabian Zuber ist Projektleiter der Reiner Lemoine Stiftung und Mitkoordinator des PV Think Tanks. Karl- Heinz Remmers ist seit 1992 als Solarunternehmer tätig und unter anderem Gründer des PV-Unternehmens Solarpraxis. Bernhard Strohmayer ist Leiter Erneuerbare Energien Bundesverbandes Neue Energiewirtschaft.

Dieser Standpunkt basiert auf Überlegungen des PV Think Tank, einem Zusammenschluss, in dem Ideen zur Photovoltaik ausgetauscht und entwickelt werden.

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