Die EU-Klimaschutzverordnung (Effort-Sharing-Verordnung) ist eine tragende Säule der EU Klimapolitik. Sie regelt rund 60 Prozent der EU Emissionen. Ihre Überarbeitung ist deshalb ein zentraler Baustein des Fit-For-55-Pakets und ein Meilenstein auf dem Weg zu Klimaneutralität. Misslingt sie, gerät das Gesetzespaket in Schieflage und die Erreichung der EU Klimaziele wird noch schwieriger. Es geht also um viel. Der laufende Trilog – die letzte Etappe der Verhandlungen – muss gelingen.
Obwohl viel auf dem Spiel steht und wichtige Strukturentscheidungen der EU-Klimapolitik zur Verhandlung stehen, bekommt die Überarbeitung der Klimaschutzverordnung nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit, auch nicht vom Fachpublikum. Die Verhandlungen finden unter einer Tarnkappe statt. Da die EU auf der nächsten COP in Sharm el-Sheikh im November etwas Präsentables vorzeigen will, besteht zudem die Gefahr, dass überhastet wichtige klimapolitische Weichen falsch gestellt werden.
Falsche Weichenstellungen drohen an mindestens fünf Stellen
Klimaschutz endet nicht 2030 – offensichtlich. Aber gerade bei dieser zentralen Frage droht der erste Fehler. Kommission und Rat bekennen sich nicht zur Fortsetzung der Klimaschutzverordnung nach 2030. Es bleibt unklar, ob es auch nach 2030 rechtlich verbindliche Reduktionsziele für die Mitgliedsstaaten geben wird oder nicht. Da die Mitgliedsstaaten aber der wichtigste Spieler in der EU Klimapolitik sind, sind diese Reduktionsziele eine tragende Säule der EU Klimapolitik. Sie darf nicht eingerissen werden – insbesondere nicht jetzt, da die EU ihre Emissionen erheblich stärker senken muss.
Hier hat das EU-Parlament einen tragbaren Kompromiss vorgeschlagen. Geht es nach dem Parlament, dann soll die Kommission nach der Annahme des EU-Klimaziels für 2040 einen Legislativvorschlag machen, um das neue Ziel auf die Mitgliedsstaaten zu verteilen.
Eine zweite falsche Weichenstellung droht bei der Frage des Emissionsbudgets. Wie viele Tonnen dürfen nach der EU-Klimaschutzverordnung bis 2030 emittiert werden? Dies ist eine zentrale klimapolitische Frage. Denn für das Klima ist es nicht entscheidend, ob Jahresziele beachtet, sondern ob Gesamtemissionsmengen eingehalten werden.
Die EU-Klimaschutzverordnung legt das Emissionsbudget implizit fest – vor allem über den Reduktionspfad. Je nach Reduktionspfad variiert das zulässige Emissionsbudget erheblich. Das Parlament schlägt einen ambitionierteren Pfad vor als Rat und Kommission. Nach dem Willen des Rates soll die überarbeitete Verordnung zudem vorsehen, dass nach dem Review im Jahr 2025 das zulässige Emissionsbudget nur steigen und nicht sinken darf. Dies ist eine klimapolitische Skurrilität. Vergleichbare Regeln in nationalen Klimaschutzgesetzen oder im Pariser Abkommen erlauben nur das Gegenteil: Anpassungen von Zielen dürfen nur zu höheren Emissionsreduktionen führen.
Sinnvolle Flexibilitäten, schädliche Flexibilitäten
Die sogenannten Flexibilitäten sind die dritte Stelle, an denen die Weichen falsch gestellt werden könnten. Wie bei früheren Verhandlungsrunden setzen sich Kommission und viele Mitgliedsstaaten für mehr Flexibilitäten ein: je flexibler, desto besser.
Einige Flexibilitäten sind sinnvoll – wie etwa das sogenannte banking und borrowing. Andere sind dagegen Schlupflöcher. Flexibilitäten wie die sogenannte Sicherheitsreserve erhöhen die zulässige Emissionsmenge und untergraben damit Klimaschutz.
Besonders problematisch sind die LULUCF-Flexibilitäten. Sie erlauben es den Mitgliedsstaaten, ihren Überschuss an CO2-Entnahme aus LULUCF für die Erreichung der nationalen Reduktionsziele anzurechnen. Diese Flexibilität würde das Emissionsbudget nicht nur um 262 Megatonnen erhöhen, sondern macht CO2-Entnahme zur Währung für die Einhaltung von Reduktionspflichten. Angesichts der inhärenten Unterschiede zwischen CO2-Entnahme und Reduktionen ist dies ein problematischer Systembruch. Kommission und Rat schlagen sogar eine zusätzliche LULCF-Flexibilität vor, während das Parlament diese ablehnt.
Eine vierte falsche Weichenstellung droht beim Thema Compliance. Das Parlament hat hier eine wichtige Verbesserung vorgeschlagen: die interessierte Öffentlichkeit soll das Recht bekommen, die Einhaltung nationaler Reduktionsziele vor nationalen Gerichten einzuklagen. Vergleichbare Klagerechte gibt es bereits bei den Richtlinien zu Industrieemissionen und Umweltverträglichkeitsprüfung.
Dieser Vorschlag würde die Compliance stärken. Klimaklagen haben in einigen Mitgliedsstaaten zu erheblichen klimapolitischen Verbesserungen geführt. Aber nicht in allen Mitgliedsstaaten können Umweltverbände stärkere Reduktionen vor Gericht geltend machen. Das nationale Verfahrensrecht steht diesen Klagen im Weg. Der Vorschlag des Parlaments würde diese Hindernisse beseitigen – ein großer Fortschritt.
Fragwürdiges Zögern von Rat und Kommission
Rat und Kommission haben sich diesem Vorschlag bisher nicht angeschlossen. Dies ist merkwürdig. Denn es geht nur um die Absicherung bestehender Verpflichtungen. Zudem ist es widersprüchlich, wenn Rat und Kommission sich in der EU Rechtsstaatsdebatte für starken Rechtsschutz vor Gerichten einsetzen, dies aber beim Klimaschutz ablehnen.
Schließlich besteht das Risiko einer falschen Weichenstellung bei der Berücksichtigung von Emissionen aus Biomasse. Derzeit werden diese Emissionen bilanziell als null gewertet. Wegen der klimapolitisch fragwürdigen Bilanz von Bioenergie und den negativen Auswirkungen ihrer Erzeugung auf Biodiversität, Böden und Wasser ist dies ein Problem. Hier hat das Parlament den Kompromiss vorgeschlagen, dass nur zertifizierte Biomasse als Nullemissionen berücksichtigt werden dürfen – ein erster Schritt in die richtige Richtung. Auch hier sind es der Rat und die Kommission, die sich für klimapolitischen Fortschritt bewegen müssen.
Was wie technische Fragen für Experten erscheinen mag, sind also wichtige Strukturentscheidungen. Auf dem Weg zu Klimaneutralität macht es strukturell einen Unterschied, ob nationale Reduktionsziele nach 2030 weiter gelten, ob Klimaschutz vor Gericht einklagbar ist, ob CO2 Entnahmen und Reduktionen gleichgesetzt werden oder ob Emissionen aus Biomasse Nullemissionen sind.
Bei der Klimaschutzverordnung müssen die Weichen in die richtige Richtung gestellt werden.