Die Brücke „Gasversorgung“ kurz halten will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und forderte auf dem BDEW-Kongress, den Rückbau bereits jetzt zu planen. Sein Staatssekretär Patrick Graichen äußerte sich kürzlich noch deutlicher und bezeichnet ein Verteilnetz für Wasserstoff als „nicht zukunftsfähig“. Auch er forderte die Stadtwerke auf, künftig vor allem das Schrumpfen der Gasnetze in den Blick zu nehmen.
Diese starke Fokussierung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf die Abschaltung einer wertvollen und wichtigen Infrastruktur sorgt für Aufsehen, vor allem aber für Unverständnis und Unsicherheit in der Energiebranche. Insbesondere Graichen verkennt sowohl die realen Gegebenheiten im Wärmemarkt und in der Industrie als auch das Potenzial des Verteilnetzes für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Zielführender wäre der Blick auf die Transformation des Energiesystems, in dem eine sichere Versorgung ohne Energiespeicher nicht möglich ist. Diese Energiespeicher werden in Zukunft vor allem durch gasförmige Energieträger – und hier vor allem Wasserstoff und Biomethan – bereitgestellt.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verursacht aktuell Ängste um die Versorgungssicherheit und zeigt uns einmal mehr, wie dringend eine Beschleunigung der Energiewende ist. Dabei benötigen wir keine voreilige Debatte über einen Gasausstieg und einen Rückbau weiterhin benötigter Infrastruktur. Stattdessen brauchen wir eine Debatte um einen Gasumstieg, also eine intelligente Nutzung verschiedener Technologieoptionen sowie unterschiedlicher Energieträger und ihrer Infrastrukturen. Gerade die Verteilnetze sind hier vielmehr als eine Brücke, sie sind der Weg zum Gasumstieg.
Die Industrie hängt auch am Gasverteilnetz
Die etwa 700 deutschen Verteilnetze reichen mit ihrer Länge von mehr als einer halben Million Kilometern mehr als 13-mal um den Globus. Das sind beeindruckende Zahlen und die Dimensionen des Netzes sind gerechtfertigt, ist es doch darauf ausgelegt, auch die größten Lastspitzen an kalten Wintertagen sicher zu bedienen. Damit bilden die Verteilnetze das Rückgrat unserer Energieversorgung und einen entscheidenden Sicherheits- und Wirtschaftsfaktor.
Wenn wir über die Energiewende diskutieren, gibt es viele Punkte, die umstritten sind, aber es gibt auch einige Punkte, bei denen sich alle einig sind. Klar ist: Wir brauchen einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien und wir brauchen einen schnellen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft.
Umstritten ist dagegen beispielsweise, wie knapp das Gut Wasserstoff künftig sein wird und ob es auch im Wärmemarkt eingesetzt werden soll. Wiederum unumstritten ist, dass zum einen 20 Millionen Haushalte, deren Wärmeversorgung heute auf Erdgas basiert, auch morgen eine zuverlässige Energieversorgung benötigen. Und zum anderen, dass die Industrie auf gasförmige Energieträger – allen voran Wasserstoff – angewiesen ist, um auch künftig die starke wirtschaftliche Basis des Landes zu bilden.
Und spätestens hier wird deutlich: Die Verteilnetze sind nicht nur zukunftsfähig, sie werden auch in Zukunft noch gebraucht. Selbst wenn wir eine Lösung für die Wärmeversorgung von 20 Millionen Haushalten in Deutschland mit Gasheizungen finden würden, benötigten wir die Verteilnetze weiterhin: Insgesamt erfolgen mehr als 70 Prozent des industriellen Gasverbrauchs im Verteilnetz. 1,8 Millionen Gewerbe- und Industriekunden werden über diese Infrastruktur versorgt. Kunden, von denen wir heute schon wissen, dass sie auch in Zukunft gasförmige Energieträger bekommen müssen und sollen.
Das BMWK schürt Verunsicherung
Denn das BMWK will gerade der Industrie mithilfe von Wasserstoff bei der Dekarbonisierung helfen. Es sind die Verteilnetze, an die beispielsweise ein großer Spezialchemie-Hersteller in Süddeutschland angeschlossen ist. Dieses Unternehmen sorgt sich um eine sichere Belieferung und blickt beunruhigt in die Zukunft, weil sich der Konzern eine Versorgung mit Wasserstoff erwartet, aber nicht genau weiß, womit er kalkulieren kann.
Der Industriewasserstoff wird demnach auch über die Verteilnetze kommen, die damit das Rückgrat unserer künftigen Energieversorgung bilden werden. Dass sie zukunftsfähig sind, haben sie bereits bewiesen. In vielen Tests und Untersuchungen, unter anderem im Wasserstoffdorf in Bitterfeld, hat die bestehende Infrastruktur demonstriert, dass sie vollständig wasserstofftauglich ist.
Wir haben also auf der einen Seite eine leistungs- und wasserstofffähige Gas-Infrastruktur für die Zukunft und auf der anderen Seite eine Strominfrastruktur, deren Aufgaben stetig wachsen soll, deren Ausbau aber seit Jahren stockt. Ein funktionierendes System soll zurückgebaut werden, ohne dass es einen gleichwertigen Ersatz gibt.
Richtig wäre vielmehr ein Zusammenwachsen der Gas- und Stromnetze zu einem integrierten Energiesystem. Dies ist die effektivste Lösung, um künftig ein klimaneutrales, sicheres und resilientes Energiesystem zu gewährleisten. Habeck hat eine kombinierte Netzplanung zu einem sogenannten „Klimaneutralitätszielnetz“ zumindest angedacht.
Umso unverständlicher sind die Äußerungen über einen voreiligen Netzrückbau, mit dem Bundeswirtschaftsminister Habeck und Staatssekretär Graichen für Verunsicherung sorgen, sowohl unter Stadtwerken und Kommunen als auch unter den weiteren Verteilnetzbetreibern und Investoren. Investoren benötigen für den Wasserstoffhochlauf vor allem eines: Planungssicherheit. Und die Industrie benötigt klare Zukunftsaussichten. Ein Abschalten der Verteilnetze würde diese Zukunftsperspektive verbauen, denn wo es heute Erdgas ist, wird zukünftig Wasserstoff eine tragende Säule unseres industriellen Wohlstandes sein.