Die Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen will mit einer Reihe politischer Initiativen auf die drängenden geo- und klimapolitischen Herausforderungen unserer Zeit reagieren und die grüne und digitale Transformation der europäischen Industrie vorantreiben. Neben der überarbeiteten EU-Industriestrategie, mit ihrem besonderen Fokus auf Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU), soll insbesondere mit dem Green Industrial Plan der Übergang zur Klimaneutralität beschleunigt werden. Für struktur- und innovationsschwache Regionen in Europa stehen im Rahmen der Kohäsions- und Strukturpolitik bis 2027 Mittel in Höhe von insgesamt 378 Milliarden Euro für den wirtschaftlichen Wandel bereit.
Ineffiziente Verwaltungsstrukturen
Alles gut, sollte man meinen; wenn viele dieser Initiativen nicht bei der konkreten Umsetzung vor Ort ins Stocken gerieten. So belief sich die Summe nicht abgerufener Mittel für EU-Förderprojekte laut Europäischem Rechnungshof zwischen 2014 und 2020 auf 300 Milliarden Euro. Ein zentraler Grund für die geringe Ausschöpfungsquote sind unter anderem ineffiziente Verwaltungsstrukturen, insbesondere auf regionaler Ebene. Zu den Ländern mit der niedrigsten Inanspruchnahme der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI) 2014–2020 gehörten etwa Italien, Kroatien und Rumänien. Deutschland liegt im unteren Mittelfeld. Nicht nur beim Mittelabfluss, auch bei der konkreten Umsetzung gut designter Transformationsstrategien hemmen ineffiziente Verwaltungsstrukturen eine rasche Modernisierung der Wirtschaft, insbesondere in strukturschwachen Regionen, so die OECD in ihrem jüngsten Bericht zu „Regions in Industrial Transition“.
Insbesondere im Bereich der für die industrielle Transformation zentralen Innovationspolitik zeigen sich starke Defizite: In Europa wird seit über zehn Jahren primär die Methode der Intelligenten Spezialisierung (S3) zur Entwicklung und Implementierung regionaler Innovationsstrategien angewandt. Eine besondere Herausforderung dabei ist die hohe Abhängigkeit von effektiven Verwaltungsstrukturen und institutionellen Kapazitäten auf regionaler Ebene. Oftmals scheitern klug konzipierte S3-Strategien später an einer passenden Implementierung der entsprechenden Maßnahmen.
Die Herausforderungen lassen sich in drei Kategorien einteilen: erstens institutionelle Kapazitäten zur Strategie-Entwicklung, zweitens institutionelle Kapazitäten für die operative, technische und politische Umsetzung; sowie drittens institutionelle Kapazitäten für Monitoring und Evaluation. Institutionelle Kapazitäten in diesen drei Kategorien sind (auch innerhalb einzelner Regionen) oft sehr ungleich entwickelt. Zudem verfügen besser entwickelte Regionen tendenziell über eine ausgewogenere Palette institutioneller Kapazitäten.
Verantwortlich für die Entwicklung und Umsetzung regionaler Innovationsstrategien sind in der Regel regionale Verwaltungen und/oder deren nachgeordnete Umsetzungsbehörden (sogenannte „Managing Authorities“). Der Bedarf einer Stärkung institutioneller Kapazitäten in diesen Behörden wird insbesondere unter Regionalwissenschaftlern und Wirtschaftsgeographen diskutiert. So betont etwa das Joint Research Center (JRC) der Europäischen Kommission im aktuellen Handbuch für „Regionale Innovationspartnerschaften“ (PRI) die Notwendigkeit der Entwicklung institutioneller Kapazitäten in der öffentlichen Verwaltung. Dies sei insbesondere für die Erreichung der Ziele des Green Deals sowie die damit einhergehende ökologische und digitale Transformation regionaler Wirtschaftssysteme mithilfe der S3-Methode von besonderer Bedeutung. Auch das Europäische Forschungsnetzwerk für Raumentwicklung und territorialen Zusammenhalt (ESPON) schlägt ein „Innovation Associate“ Austauschprogramm zum Kapazitätsaufbau vor, um die Fähigkeiten in öffentlichen Behörden zu stärken.
Die Vermessung der Verwaltung
Zur Verdeutlichung der Relevanz effizienter Verwaltungsstrukturen zieht der renommierte Wirtschaftsgeograph Andrés Rodríguez-Pose der London School of Economics (LSE), regelmäßig den „Quality of Government“ Indikator als Beleg heran. Dabei untersucht er, wie die Qualität der Verwaltung und ihre Komponenten das Patentwesen in den Regionen der EU beeinflussen. Zu diesen Qualitäten gehören insbesondere Korruptionskontrolle, Rechtsstaatlichkeit, Effektivität der Verwaltung und Rechenschaftspflicht der Verwaltung.
Rodríguez-Pose‘s Studien liefern starke Belege für einen Zusammenhang zwischen der Qualität beziehungsweise Effizienz von Verwaltungsstrukturen und der Innovationsfähigkeit von Regionen. Demnach stellen insbesondere ineffektive und korrupte Strukturen ein grundlegendes Hindernis für die Innovationsfähigkeit der EU-Peripherie dar, wodurch die potenzielle Wirkung anderer Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Transformation stark beeinträchtigt wird.
Programm zur Stärkung regionaler Verwaltungskapazitäten
An diesem Punkt setzt ein gemeinsames Pilotprojekt der Bertelsmann Stiftung und des Berliner Instituts für Innovation und Technologie (iit) an. Durch einen strukturierten „Peer-Learning-Prozess“ zwischen regionalen Wirtschaftsförderungs-, Innovations- und Umsetzungsbehörden aus Deutschland, Kroatien, Rumänien und Italien sollen Kompetenzlücken gezielt geschlossen und ein überregionaler Wissensaustausch verstetigt werden.
Dabei steht konkret die Stärkung der institutionellen Verwaltungskapazitäten in strukturschwachen Regionen in den drei Kategorien Strategieentwicklung, Implementierung und Monitoring/Evaluation regionaler Innovationsstrategien (S3) im Fokus. Zu diesem Zweck werden die Kompetenzlücken durch eine indikatorbasierte Diagnose aufgedeckt und im Rahmen strukturierter Workshops diskutiert und evaluiert. Darauf aufbauende, längerfristige Verwaltungspartnerschaften sollen den Lernprozess verstetigen. Begleitet wird das Projekt vom geistigen Vater der „Quality of Government“ Forschung, Prof. Andrés Rodríguez-Pose (LSE), sowie vom Joint Research Centre (JRC) der EU-Kommission.
Denn nur wenn europäische Strategien zur grünen und digitalen Transformation und Maßnahmen zum institutionellen Kompetenzaufbau in regionalen Verwaltungsorganisationen Hand in Hand gehen, wird die industrielle Transformation gelingen.
Jake
Benford ist Senior Project Manager im Europa Programm der Bertelsmann Stiftung.
Oliver Ziegler ist Senior Project Manager der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH
und arbeitet am Institut für Innovation und Technik (iit).