Standpunkte Kreislaufwirtschaft birgt unerkanntes Potenzial im Mittelstand

Für Luisa Denter (Germanwatch) und Leon von Zepelin (SHIFT) zeigen die Wahlprogramme und der angekündigte Circular Economy Act: Deutschland und die EU setzen bei Kreislaufwirtschaft vor allem auf Recycling. So drohten jedoch Chancen für Klima- und Umweltschutz bei kleinst- bis mittelständischen Unternehmen ungenutzt zu bleiben. Stattdessen müsse die Politik Barrieren beseitigen.
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Jetzt kostenfrei testenInnovative Ansätze aus der Praxis zeigen, wie eine ganzheitliche Kreislaufwirtschaft aussehen kann. Ressourcen und das Klima lassen sich effektiv schonen: Indem Unternehmen Produkte modular designen, funktionierende Teile aus alten Produkten für Neuproduktionen verwenden („Remanufacturing“), selten genutzte Produkte verleihen oder gebrauchte Güter reparieren und wiederaufbereiten.
Diese Bereiche der Kreislaufwirtschaft sind aktuell häufig von Kleinst-, kleinen und mittelständischen Unternehmen (KKMU) geprägt, bei denen Wertschöpfung schwerpunktmäßig innerhalb Deutschlands und der EU stattfindet. Wenn neben den Herstellern auch kleinere Unternehmen zirkuläre Dienstleistungen wie Reparaturen entlang eines Produktlebenszyklus anbieten können, können durch den Umbau zur Kreislaufwirtschaft zudem neue Geschäftsfelder für KKMU entstehen.
Diese Chance auf eine Win-Win-Win-Situation für Ressourcen- und Klimaschutz, die Stärkung von Vorreiter-KKMU und einer verbesserten Resilienz bezüglich knapper werdender Ressourcen hat die Politik bisher jedoch nicht erkannt. Politische Initiativen zur Stärkung von Kreislaufwirtschaft fokussieren meist auf Recycling. Und das, obwohl man sich sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene zur Abfallhierarchie bekannt hat – also zu einer Priorisierung der Vermeidung von Abfall durch beispielsweise mehr Langlebigkeit und Wiederaufbereitung vor dem Recycling.
Aktuell zeigt sich unter anderem in den Wahlprogrammen von SPD oder FDP zur Bundestagswahl eine andere Priorisierung. Auch der von der EU-Kommission angekündigte „Circular Economy Act“ soll nach ersten Ideen hauptsächlich den Markt für Sekundärrohstoffe und Abfall stärken. Dadurch wird auch eine Chance für neue Geschäfts- und Industriefelder mit einer starken Rolle von KKMUs vergeben. Denn zirkuläre Ansätze, die Abfälle verringern und vermeiden, werden außer Acht gelassen – obwohl gerade hier politischer Handlungsbedarf besteht.
Barrieren für zirkuläre KKMU systematisch abbauen
Aktuell sind Vorreiter-KKMU der Kreislaufwirtschaft immer wieder mit regulatorischen Grauzonen oder Hindernissen konfrontiert, da die Regulatorik auf eine lineare Wirtschaftsweise ausgerichtet ist. Eine vom Bundeswirtschaftsministerium beauftragte Dialogplattform Recyclingrohstoffe hat regulatorische Barrieren für das Recycling systematisch erfasst, deren Abbau wurde darauf basierend eingeleitet.
Für Ansätze wie Remanufacturing, Leihmodelle oder die Wiederaufbereitung von Produkten und Bauteilen fehlt jedoch eine solche Initiative. Dabei ist längst klar, dass hier ebenfalls massive regulatorische Barrieren bestehen: Gebrauchte Produkte wo möglich zu verbessern, um die Nutzungszeit zu verlängern und sie wiederzuverwenden, ist beispielsweise momentan aufgrund von Grauzonen im Bereich der geistigen Eigentumsrechte schwer skalierbar.
Die Einführung von Pfandsystemen, um Produkte am Ende der Nutzungszeit für weitere zirkuläre Wertschöpfung zurückzubekommen, stellt eine steuerrechtliche Herausforderung dar. Und intakte Teile aus nicht mehr genutzten Produkten für die Neuproduktion weiterzuverwenden, wirft versicherungstechnische Fragen auf.
Abgesehen von derartigen regulatorischen Barrieren sind KKMUs stärker als große Unternehmen darauf angewiesen, dass ihre Fachkräfte auch innovative zirkuläre Kompetenzen in ihrer regulären Ausbildung und in externen Weiterbildungsprogrammen erlernen. Denn die Möglichkeit eigene bedarfsgerechte Weiterbildungsprogramme aufzusetzen, haben die meisten KKMU nicht.
Aufgrund des meist knappen finanziellen Spielraums und personeller Kapazitäten sind KKMU zudem auf Beratungsangebote angewiesen, die sie bei der Umstellung auf eine zirkuläre Wirtschaftsweise, der Integration von innovativen zirkulären Ansätzen in ihr Geschäftsmodell und der Beantragung von entsprechenden Fördermitteln individuell beraten.
Zirkulären KKMU aus der Nische helfen
KKMU, die ihr Geschäftsmodell von Grund auf zirkulär ausgerichtet haben, sehen sich im Vergleich zu ihrer linear wirtschaftenden Konkurrenz häufig noch wirtschaftlichen Nachteilen ausgesetzt. Ein Beispiel: Ein Unternehmen, welches Produkte so designt, dass sie langlebig, leicht zu reparieren und zu recyceln sind und einzelne Module bei Bedarf einfach ausgetauscht werden können, schont Ressourcen und Klima.
Bei Smartphones können durch eine solche Bauweise während der Nutzungsphase bis zu circa 40 Prozent der Emissionen und Ressourcen im Vergleich zu einer konventionellen Bauweise eingespart werden. Die Innovationskosten für ein solches Vorgehen müssen KKMU auf vergleichsweise wenig verkaufte Produkte umlegen, wodurch höhere Neupreise entstehen. Durch die Langlebigkeit entsteht zudem weniger Absatz von Neuprodukten.
Parallel zu Gesetzesinitiativen, die ein solches Produktdesign zum Standard machen, sollten Vorreiter etwa durch die öffentliche Vergabe und Beschaffung belohnt werden – aktuell werden sie benachteiligt. Denn aufgrund des höheren Neupreises haben Vorreiter-KKMU bei Ausschreibungen oft keine Chance – auch wenn sich die Preisdifferenz zu konventionellen Produkten zumeist über die Lebensdauer der Produkte mehr als ausgleicht, da sie länger halten.
Darüber hinaus lassen sich wirtschaftliche Nachteile zirkulärer Unternehmen ausgleichen, indem ökomodulierte Abgaben von Herstellern für ihre Produkte erhoben werden. In der Praxis würde das bedeuten: Sind die Produkte besonders zirkulär designt oder zum Teil aus wiederaufbereiteten Teilen alter Produkte hergestellt, fallen die Abgaben geringer aus oder entfallen ganz. Auch über die Verwendung dieser Abgaben könnten zirkuläre KKMU weitergehend gestärkt werden.
Beispielsweise über einen Zuschuss für Reparaturen, der den KKMU-geprägten Reparatursektor stärken würde. Oder über eine bessere und verlässliche Finanzierung von Wertstoffhöfen, damit sie (in Teilen) wiederverwendbare Produkte an Unternehmen weitergeben können, die daraus noch Wert schöpfen können. So würden Umweltkosten vermehrt in die Produktpreise integriert und stattdessen zirkuläre Praktiken wie Reparaturen und Wiederaufbereitung günstiger gestaltet.
Politischen Fokus korrigieren
Politische Initiativen zur Kreislaufwirtschaft scheinen oft vom Gedanken getrieben, dass die Volkswirtschaft durch vermehrtes Recycling unabhängiger von knappen Rohstoffen und damit resilienter gemacht werden muss. Durch den einseitigen Fokus auf Recycling geraten unternehmerische Ansätze aus dem Blick, die dafür sorgen, dass Rohstoffe möglichst lange in ihrer weiterverarbeiteten Form im Kreislauf gehalten werden und damit im Zweifel sogar effektiver Abhängigkeiten reduzieren und Ressourcen sowie Klima schonen.
Dieser Kurs sollte sowohl mit Blick auf den Circular Economy Act als auch insgesamt auf die kommende Legislatur in Deutschland korrigiert werden. Das ist auch zentral, weil KKMU nicht die gleichen Möglichkeiten wie Großunternehmen haben. Sie können zum Beispiel nicht über ihre Marktmacht oder Joint Ventures den Zugang zu knapper werdenden Rohstoffen bestmöglich absichern. KKMU sind deshalb ungleich mehr auf innovative Ansätze angewiesen, um ihre Geschäftsmodelle ressourcenschonend auszurichten und vor Lieferengpässen zu schützen.
Luisa Denter ist Referentin für Ressourcenpolitik und zirkuläres Wirtschaften bei der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Leon von Zepelin ist Nachhaltigkeitsmanager bei SHIFT, einem Anbieter für nachhaltige, reparierbare Technologie.
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