In einem Eckpunktepapier hat die Bundesnetzagentur (BNetzA) im November 2022 erste Vorschläge vorgelegt, in welchem Umfang und auf welche Weise es Netzbetreibern möglich sein sollte, flexible Verbraucher zu steuern, um Netzengpässe zu beheben. Ein detaillierter Vorschlag soll als nächstes folgen. Die rechtliche Grundlage dafür ist Paragraf 14a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG). Dieser Paragraf autorisiert die BNetzA, bundesweit einheitliche Regeln für die „netzorientierte Steuerung von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen und steuerbaren Netzanschlüssen“ festzulegen.
Es ist gut, dass die BNetzA die Initiative ergriffen und einen ersten Vorschlag zur Ausgestaltung von Paragraph 14a EnWG gemacht hat: Betreiber von Verteilnetzen – die lokalen Stromnetze, an die private Haushalte angeschlossen sind – verfügen aktuell über keine ausreichenden Instrumente, um Engpässe in ihrem Netz zu beheben. Die Klärung dieser Frage ist vor allem deshalb notwendig, da auf Grund verschiedener Entwicklungen, wie etwa einer steigenden Stromnachfrage durch die Elektrifizierung des Wärme- und Verkehrssektors, in den nächsten Jahren der Stromtransportbedarf und damit die Wahrscheinlichkeit von Engpässen in den Verteilnetzen deutlich ansteigen wird.
Bisher haben Verteilnetzbetreiber bei vermehrten Engpässen nur die Möglichkeit, ihr Netz auszubauen. Netzausbau ist allerdings nicht nur mit hohen Kosten verbunden, sondern auch langwierig: Es ist stark zu bezweifeln, dass Netzbetreiber ihre Netze in dem Tempo ausbauen können, in dem der Bedarf steigt. Zudem gilt es, den Netzausbaubedarf und die mit ihm entstehenden Kosten im Sinne aller Verbraucher:innen durch eine bessere Netzauslastung zu reduzieren.
Steuerung des Stromtankens sollte die Ausnahme bleiben
Deshalb braucht es weitere Optionen, wie Verteilnetzbetreiber Engpässen in ihrem Netz begegnen können. Paragraph 14a EnWG ist dabei ein Teil der Lösung, denn er gibt Maßnahmen für den Ernstfall vor: Droht akut ein Engpass, haben Verteilnetzbetreiber die Möglichkeit, flexible Verbraucher wie Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen zu steuern. Das bedeutet, sie können den Stromverbrauch sozusagen „per Fernsteuerung“ zeitweise drosseln.
Dieses Steuern durch Netzbetreiber hilft allerdings nicht, Netzausbau zu vermeiden – ganz im Gegenteil: Sobald Verteilnetzbetreiber auf Basis von Paragraph 14a EnWG den Stromverbrauch drosseln, sind sie laut Vorschlag der BNetzA dazu verpflichtet, ihr Netz entsprechend auszubauen.
Es ist sinnvoll, dass Verteilnetzbetreiber das Netz ausbauen müssen, sobald sie auf Basis von Paragraph 14a EnWG eingreifen. Sonst würde das Steuern durch die Verteilnetzbetreiber zum Normalfall werden. Das sollte vor allem deshalb vermieden werden, weil es die Nutzer:innen neuer Verbrauchsgeräte stark einschränkt und damit letztlich das politische Ziel des Hochlaufs von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen konterkariert: Denn wer hat etwa noch Lust auf ein Elektroauto, wenn man es nicht zuverlässig laden kann?
Unvorhersehbare Eingriffe des Netzbetreibers können auch finanzielle Konsequenzen für Stromlieferanten haben, da sie dann nur noch schwer ihrer rechtlichen Verpflichtung nachkommen können, den Stromverbrauch ihrer Kund:innen verlässlich zu prognostizieren. Außerdem würden durch ein häufiges Steuern der Netzbetreiber die Kosten der Stromversorgung deutlich ansteigen, da die günstigen Speicherkapazitäten von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen nur noch eingeschränkt für den Ausgleich der volatilen erneuerbaren Stromerzeugung zur Verfügung stünden.
Variable Netzentgelte für den Regelfall
Deshalb ist es wichtig, dass die BNetzA neben dem Steuern von flexiblen Verbrauchern auch zeitvariable Netzentgelte ermöglicht und, wo nötig, zügig einführt. Denn Verteilnetzbetreiber benötigen Instrumente, die sie standardmäßig zur Vermeidung von Engpässen in ihrem Netz einsetzen können und die tatsächlich den Bedarf an Netzausbau reduzieren. Gleichzeitig sollten die Instrumente mit möglichst wenigen Nachteilen für andere Akteure wie Stromlieferanten und Verbraucher:innen einhergehen. Schließlich brauchen Hersteller von Elektrofahrzeugen und Wärmepumpen bereits jetzt die richtigen Signale, um ihre Geräte entsprechend flexibel zu designen und für ein zunehmend klimaneutrales Stromsystem auszulegen.
Anhand zeitvariabler Netzentgelte können Verteilnetzbetreiber die Auslastung ihres Netzes mit einem zeitlichen Vorlauf signalisieren. Verbraucher:innen haben so die Möglichkeit, ihren Stromverbrauch frühzeitig anzupassen. Beispielsweise können Verbraucher:innen den Ladevorgang ihres E-Autos in Zeiten mit geringer Netzauslastung und entsprechend niedrigen Netzentgelten verlegen. Dadurch wird die maximale Netzbelastung reduziert. In der Folge sinkt die Wahrscheinlichkeit von Netzengpässen und damit die Notwendigkeit für Verteilnetzbetreiber, nach Paragraph 14a EnWG steuernd einzugreifen und die Netze auszubauen.
BNetzA kann auf Vorarbeiten zurückgreifen
Die BNetzA sollte Verteilnetzbetreibern auferlegen, zeitvariable Netzentgelte einzuführen – so wie es auch ACER, die Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden, grundsätzlich empfiehlt. Für die Ausgestaltung zeitvariabler Netzentgelte kann die BNetzA auf zahlreiche Studien und Erfahrungen im Ausland zurückgreifen. Beispielsweise haben Großbritannien und Dänemark zeitvariable Netzentgelte umgesetzt. Darüber hinaus liegt es an der BNetzA vorzuschlagen, wie etwaige offene Fragen beantwortet werden sollten.
Die Einführung zeitvariabler Netzentgelte sollte, wenn schon nicht davor, zumindest parallel zur Umsetzung von Paragraph 14a EnWG beginnen. Schließlich haben laut Gesetzestext wirtschaftliche Anreize sogar Vorrang vor einer Steuerung durch den Netzbetreiber. Erst wenn klar ist, wie das Standardinstrument funktioniert, können die Maßnahmen für den Ernstfall entsprechend zielgenau ausgestaltet werden. Bisher ist jedoch nicht zu erkennen, dass die BNetzA daran arbeitet.
Verbraucher:innen können mit zeitvariablen
Netzentgelten doppelt sparen: Legen sie ihren Verbrauch von flexiblen Geräten
wie Elektroautos und Wärmepumpen – zukünftig durch Digitalisierung zunehmend
automatisiert – in die Zeiten mit niedrigen Netzentgelten, fällt zum einen ihre
individuelle Stromrechnung niedriger aus. Wenn darüber hinaus durch eine
insgesamt bessere Netzauslastung der Netzausbaubedarf reduziert werden kann,
fallen die umgelegten Netzkosten geringer aus, wovon alle Verbraucher:innen
profitieren – auch die unflexiblen.
Co-Autoren sind Andreas Jahn, Regulatory Assistance Project, und Thorsten Lenck von Agora Energiewende.