Es ist sonnig. Die Photovoltaikzellen auf dem Dach leisten ganze Arbeit, das Elektroauto lädt sich auf. Doch spätestens mit Einbruch der Dunkelheit wird es schwierig. Auto und Wärmepumpe müssen teuren Strom aus dem Netz beziehen. Passiert das in vielen Haushalten gleichzeitig, ist das für das Verteilnetz und die Ortsnetzstation eine Herausforderung. Diese Sorge der Überlastung führt schon jetzt zu Eingriffen in den Strombezug. Doch es gibt eine gute Nachricht: Bereits über eine Million Batterien stehen in Deutschland bereit, um Netzbelastungen zu vermindern. Sie stehen auf Parkplätzen, in Garagen und Carports. Es sind Elektroautos, fahrende Stromspeicher.
Aktuelle Fahrzeuge können zwischen 40 und 100 Kilowattstunden Strom speichern. Damit könnte ein Einfamilienhaus über eine Woche lang Energie aus dem Auto ziehen. Ein Bruchteil davon reicht also zur Versorgung, wenn es mal zu bewölkt ist und die Photovoltaikanlage nicht produziert. Oder wenn das Netz im Winter überlastet ist. Das Elektroauto wird damit sogar zu einem Schlüsselelement der Wärmewende.
Elektroautos sind die größten Batteriespeicher Deutschlands
Die Speicherkapazität von Elektroautos kann universell nutzbar gemacht werden, durch bidirektionales Laden. Das heißt, der Strom fließt nicht nur ins Auto, sondern bei Bedarf auch wieder zurück – Laden als dynamisches Konzept. Das Potential ist groß: Die kombinierte Speicherkapazität der deutschen Elektroautos liegt bereits jetzt über der aller deutschen Pumpspeicherkraftwerke zusammen. Und allein in den nächsten 18 Monaten verdoppelt sich durch den Fahrzeugzuwachs diese Speicherkapazität. Je mehr Batterien im Netz, desto größer die Effekte. Vor allem bei Peak-Energienachfrage oder kurzzeitig schwankender Erzeugung von Erneuerbaren können die Batterien das Netz stabilisieren oder die Häuser versorgen.
Bidirektionales Laden ist nicht neu: Schon seit Anfang der DC-Ladetechnologie (Gleichstrom) gibt es Überlegungen, wie der Strom vom Auto zurück ins Netz geleitet werden kann. Neu ist die Skalierung der Lösung. Dank des neuen Standards ISO 15118-20 und der Anwendungsrichtlinie für bidirektionalen Leistungsfluss, der im Verband CharIN entwickelt wurde, gibt es nun endlich eine einheitliche und interoperable Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Ladeinfrastruktur.
Die Technik steht bereit, die Regulierung noch nicht
Technisch steht bidirektionales Laden in den Startlöchern. So kann zum Beispiel Volkswagen bidirektionales Laden in seinen Autos durch ein Softwareupdate aktivieren, andere Hersteller ziehen nach. Doch warum gibt es die Technik noch nicht in der Fläche? Das hat – wie so oft – mit der deutschen und europäischen Regulierung zu tun. Netzstabilität steht neben Netzqualität hier an erster Stelle: Dieser Anforderung folgend brauchen systemische Änderungen beim Netzbetreiber traditionell einen langen Vorlauf.
Das ist normalerweise auch gut und im Interesse der Netzstabilität. Bei bidirektionalem Laden ist aber eine schnellere, schrittweise Einführung nötig, sinnvoll – und machbar. Dass eine Einspeisung von Strom im Verteilnetz möglich ist, wurde am Beispiel der Photovoltaikanlagen gezeigt. Hier gibt es bereits eine politisch gewollte Rückführung des Stroms ins Verteilnetz. Die Regulierung kann auch für bidirektionales Laden als Vorlage dienen. Moderne Technik kann bei der genauen Aussteuerung helfen. DC-Wallboxen, die es für eine Einbindung ins Stromnetz braucht, sind smarte Geräte, deren Software je nach Stand der Regulierung aktualisiert werden kann. So ist eine stufenweise Einführung möglich, die zusätzlich Anreize setzen kann, um die Fahrbatterien ins Netz zu integrieren.
Um eine zügige Skalierung zu ermöglichen, braucht es DC-Wallboxen in den Häusern. Die ermöglichen das Laden und Entladen, mit Gleichstrom. Sie können diesen auch in Wechselstrom (AC) umwandeln, um ihn dann ins Netz zurückzugeben. Der Großteil der bereits zugelassenen Elektroautos sind alle mit der DC-Technologie ausgestattet und brauchen statt einer Hardwaremodifikation lediglich ein Softwareupdate.
Den Anschluss nicht verpassen
Um bidirektionales Laden in die Fläche zu bringen, könnte der Triple-A-Ansatz weiterhelfen:
Zunächst braucht es Anwendungsregeln (Application Rules), die schrittweise angepasst den schnellen Einsatz bidirektionaler DC-Technologie im Stromnetz ermöglichen. Für eine großflächige Anwendung muss das komplexe System mit dutzenden Verteilnetzbetreibern flexibler werden. Angelehnt an die PV-Anlagen braucht es eine einheitliche und pragmatische Regelung für die Einbindung von bidirektionalem Laden. So kann beispielsweise festgelegt werden, wie die Wallboxen bei Schwankungen der Netzfrequenz oder -phase reagieren sollen. Die Batterien können adäquat ins Netz eingebunden werden.
Zukünftig können diese Regeln auch ausgebaut werden, sodass auch erweiterte Funktionen wie zum Beispiel eine Blindleistungskompensation durch den Netzbetreiber konfiguriert werden kann. All das kann in schrittweise anpassbaren Regeln festgelegt werden. Solange die Anzahl der Fahrzeuge überschaubar ist, kann so für den Netzbetrieb bereits praktische Erfahrung bei sehr geringem Risiko gesammelt werden. Diese Regulierungskompetenzen können ebenfalls zum Standortfaktor für die bidirektionale Technologie werden. Anschließend sollte dringend ein Modell analog zur Einspeisung von PV-Strom gefunden werden.
Genauso wichtig ist, zweitens: der Anschub (Acceleration). Für die Eigennutzung sind bidirektionale Fahrzeuge bereits attraktiv. Im Vehicle-to-House Bereich sind bereits relativ unkomplizierte Lösungen denkbar. Doch eine systemische Einbindung der Fahrzeugbatterie birgt mehr Potential. Doch für bidirektionales Laden in der Fläche braucht es Wallboxen, die bidirektionale Ladetechnik unterstützen. Um diese DC-Wallboxen in der Fläche einzusetzen, braucht es Steuervergünstigungen oder Zuschüsse. Würde die Politik das Potential ausschöpfen wollen, wäre zum Beispiel eine Förderung über die KfW möglich, wie es sie für Wallboxen bereits gab.
Statt auf Länderebene sollte hier auf Bundesebene gefördert werden. Denn klar ist: In die Batterien wurde bereits privat investiert, mit dem geringen Anschub wird nun die Nutzbarmachung angekurbelt. Darüber hinaus müssen dringend Marktrahmenbedingungen geschaffen werden, um die Fertigung und Investition in DC-Ladetechnik zu beschleunigen. Denn nur so kommt die nötige Technik schnell in die Häuser.
Schließlich braucht es, drittens, Anpassung (Adaptation): Um aus den Unzulänglichkeiten bei der immer noch verzögerten Smart-Meter-Einführung oder der Förderung für AC-Wallboxen ohne wirkliche Netzintegration zu lernen, wird nicht eine schnell veraltete Steuermöglichkeit zum Zeitpunkt der Installation, sondern die Aktualisierung der Firmware entsprechend der fortschreitenden Vorgaben gefordert. Nur DC-Wallboxen von Herstellern, die dies bis zum Abschluss des Markthochlaufs 2030 zusagen, werden in die Liste der geförderten Geräte aufgenommen. Wenn der Markt ausreichend aktiviert ist, sind 11-kW-fähige DC-Wallboxen für 1500 Euro am Markt umsetzbar.
Mit der Anpassung der Firmware an die Neufassungen der Anwendungsregel kann der Integrationseffekt bestehender Ladeinfrastruktur und Fahrzeuge zur Laufzeit maximiert werden. Software ist maßgeblich für den geringen CO2-Footprint der Elektromobilität. Wenn viel erneuerbare Energie im Netz verfügbar ist, kann sie aufgenommen werden. Bei Knappheit wird das Netz aus den Batterien gestützt. Diese Neuerungen können mit geringem Aufwand umgesetzt werden – digital, effizient und großflächig.
Alle sind nun gefordert, diesen Rahmen zu schaffen, von der europäischen Ebene über die Bundesregierung bis zur Bundesnetzagentur. Dann kann aus dem riesigen und sehr schnell wachsenden Potential Realität werden.
Dr. Jörg Heuer ist CEO von EcoG, einem Münchner Tech-Unternehmen, das Unternehmen bei der Herstellung von Ladeinfrastruktur mit Referenzdesigns und Kontrollsystemen unterstützt.