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Energie & Klima

Standpunkte Mit digitaler Öffentlichkeitsbeteiligung zu mehr Umweltschutz

Luisa Schneider, Projektleiterin am Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU)
Luisa Schneider, Projektleiterin am Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU) Foto: Tina Eichner

Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltfragen ist eine wichtige Grundlage für solide Planungs- und Genehmigungsentscheidungen und stärkt die demokratische Teilhabe. Digitale Tools können helfen, Beteiligungsverfahren einfacher und leichter zugänglich zu machen. Doch der Stand der Digitalisierung ist nach wie vor unbefriedigend, kritisiert Luisa Schneider vom UfU.

von Luisa Schneider

veröffentlicht am 08.04.2024

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Angesichts vielschichtiger Umweltkrisen brauchen wir belastbare Planungsentscheidungen, durch welche die Umweltauswirkungen etwa von Infrastrukturvorhaben und Industrieanlagen minimiert und, wo unvermeidbar, negative Auswirkungen genau abgewogen und Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen werden. Dazu ist eine effektive Beteiligung der Öffentlichkeit zentral, wie eine Studie des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU) im Auftrag des Umweltbundesamts aus 2022 zeigt. Werden Bürger:innen und Organisationen aus der Zivilgesellschaft sinnvoll beteiligt, führt das zu ausgewogeneren und transparenteren Entscheidungen, die sich einer größeren öffentlichen Akzeptanz erfreuen und Umweltschutzstandards eher berücksichtigen.

In den letzten Jahren wurden vermehrt digitale Technologien genutzt, um diese Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmigungsverfahren zu gewährleisten. Die digitale Beteiligung erfreute sich dabei insbesondere als Reaktion auf die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie sprunghafter Beliebtheit, da so etwa Planungsverfahren im Infrastrukturbereich auch im Lockdown durchgeführt werden konnten.

Trotz Fortschritten in einigen Bereichen ist der aktuelle Stand der Digitalisierung dieser Öffentlichkeitsbeteiligung sowohl in Deutschland als auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten jedoch nach wie vor unbefriedigend. Der neue Forschungsbericht des UfU zur Situation in Estland, Deutschland, Ungarn, Slowenien und Spanien hat Lücken in den Mechanismen der digitalen Öffentlichkeitsbeteiligung aufgedeckt, die einer effektiven digitalen Teilhabe in Umweltfragen entgegenstehen.

Nur ein Bruchteil der UVP landet in digitalen Portalen

Einer der Hauptkritikpunkte im UfU-Forschungsbericht sind die mangelhaft umgesetzten Internetportale zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). In Deutschland etwa können sich interessierte Bürger:innen sowie Umweltverbände zu laufenden Genehmigungsverfahren, welche eine UVP enthalten, in den Internetportalen von Bund und Ländern (UVP-Bundesportal; gemeinsames Länderportal) informieren. Seit Mai 2017 sind Bund und Länder verpflichtet, Informationen über UVP-pflichtige Vorhaben über diese Internetportale zu veröffentlichen.

Das größte Problem der deutschen UVP-Portale besteht laut Studienergebnissen zunächst darin, dass eine große Anzahl der UVP-Verfahren nicht in diese Portale eingepflegt werden. So wurden beispielsweise 2019 nur 409 von insgesamt ca. 1800 - 2000 tatsächlich durchgeführten Verfahren über die UVP-Portale veröffentlicht. Die Zahlen der veröffentlichten Verfahren über die UVP-Portale steigen zwar seitdem an, liegen aber noch immer weit unter der tatsächlichen Zahl der Genehmigungsverfahren.

Darüber hinaus enthalten die Dokumente, die es auf das UVP-Portal schaffen, oft unverständliche Titel oder Abkürzungen und sind nicht als nutzungsfreundliche PDF-Dateien abrufbar. Auch bei kleineren Vorhaben stößt man immer wieder auf eine große, unübersichtliche Zahl von Dokumenten. So fanden sich zu einem Planfeststellungsverfahren zum Umbau eines Regionalbahnhofs in Niedersachsen aus 2023 ganze 757 Dateien auf dem UVP-Portal. Gerade in Anbetracht dessen, dass sich häufig Bürger:innen als Privatpersonen oder als Ehrenamtliche für verschiedene Umweltverbände in ihrer Freizeit in der Öffentlichkeitsbeteiligung einbringen, ist es dringend geboten, digitale Hürden abzubauen und Informationen möglichst nutzungsfreundlich und niedrigschwellig digital zur Verfügung zu stellen.

Digitale Öffentlichkeitsbeteiligung weiterdenken

Als Ergebnis der UfU-Forschung zur Situation der Öffentlichkeitsbeteiligung in Deutschland und aus dem Vergleich mit den anderen untersuchten Ländern haben wir folgende zentrale Hebel herausgearbeitet, um die digitale Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltfragen zu verbessern:

  • Alle Vorhaben, die eine formelle Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltfragen erfordern, werden auf einem einheitlichen Internetportal veröffentlicht.
  • Die auf dem Portal abrufbaren Dokumente sind vollständig, in einem vordefinierten Ablagesystem mit leicht identifizierbaren Dateinamen organisiert und in einem benutzerfreundlichen Format herunterladbar. Mindestens für komplexe Verfahren gibt es zudem eine Übersicht über alle Dokumente, die digital veröffentlicht wurden (Aktenplan).
  • Aktuelle und vergangene Verfahren sind über eine umfassende Suchfunktion auffindbar. Daraus ergibt sich auch ein frei zugängliches Archiv für vergangene Verfahren.
  • Einwendungen können ohne langwieriges Registrierungsverfahren direkt über das Portal erhoben werden. Die Antworten auf die einzelnen Einwendungen sind öffentlich und leicht über das Portal einseh- und abrufbar.

Durch eine Umsetzung dieser Vorschläge werden Planungs- und Genehmigungsentscheidungen nachvollziehbar und die Interessen von Vorhabenträger:innen, Zivilgesellschaft, Umweltschutz und Behörden in Ausgleich gebracht. Dadurch ist nicht nur mit einer höheren Akzeptanz der Entscheidungen zu rechnen. Es ist davon auszugehen, dass frühzeitige digitale Beteiligung die Planung effizienter gestaltet und damit auch beschleunigt.

Durch den richtigen Einsatz von digitalen Technologien sind effiziente Datenerfassung, Analyse und Synthese von Beiträgen aus der Öffentlichkeit möglich. Automatisierte Funktionen wie Umfragen und Datenanalysen können dabei die Verarbeitung des Feedbacks vereinfachen und frühzeitig wichtige Trends oder Prioritäten unter den Teilnehmenden erkennen lassen. Gleichzeitig sinken die Kosten für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation bei Behörden und Vorhabenträger:innen.

Bei der Verlagerung von Beteiligung in den digitalen Raum ist es weiter essenziell, dass Beteiligungsrechte nicht eingeschränkt, sondern als Chance für belastbare und ausgewogene Verwaltungsentscheidungen begriffen werden. So kann der Vollzug bestehender umweltrechtlicher Schutzstandards entscheidend befördert werden.

Öffentlichkeitsbeteiligung als ein Teil der UVP

Gesichert wird das Recht auf Beteiligung in Umweltfragen durch die Aarhus-Konvention, einem völkerrechtlichen Vertrag, der unter anderem von allen EU-Mitgliedsstaaten und der EU ratifiziert wurde. Die Aarhus-Konvention hat seit Unterzeichnung 1998 einen Paradigmenwechsel im Umweltrecht eingeleitet, indem sie Bürger:innen drei grundlegende Rechte im Umweltschutz gewährt: Zugang zu Informationen, Beteiligung an Entscheidungsprozessen und Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten. Damit legt sie die Grundsteine für die Umsetzung der ökologischen Demokratie (environmental democracy).

Bei der Planung von größeren Bauprojekten hat die Öffentlichkeit daher das Recht, beteiligt zu werden – also etwa Planungsunterlagen einzusehen und Stellungnahmen gegenüber der planenden Behörde abzugeben. Die von der Öffentlichkeit erhobenen Bedenken müssen von der Behörde bei ihrer Entscheidung über das Vorhaben berücksichtigt werden. So sollen Transparenz und demokratische Legitimation gewährleistet und potenzielle Umweltauswirkungen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Dadurch werden häufig bessere Ergebnisse bei der Umweltplanung erzielt, da Risiken erkannt, alternative Lösungen erforscht und der Nutzen für alle Beteiligten maximiert.

Diese sogenannte formelle, weil durch Verfahrensrecht vorgeschriebene, Öffentlichkeitsbeteiligung findet häufig im Rahmen der UVP statt. Eine UVP ist ein Verfahren, das die Umweltauswirkungen von Vorhaben auf die Umwelt identifiziert und bewertet, bevor diese Vorhaben genehmigt werden können. Typische Vorhaben, die einer UVP unterliegen können, sind beispielsweise große Bauprojekte, Infrastrukturvorhaben oder industrielle Anlagen.

Gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten nötig

Effektive Öffentlichkeitsbeteiligung ist wichtiger Bestandteil unseres demokratischen Gemeinwesens und führt zu Entscheidungen, die den Umweltschutz stärken. Um diese positiven Effekte zu erhalten und zu verstärken, muss sie vollumfänglich und sinnvoll auch in digitalen Räumen funktionieren. Dafür braucht es eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten, allen voran der Verwaltung, um die erhobenen Forderungen zu verwirklichen und das gesamte Potenzial der digitalen Öffentlichkeitsbeteiligung auszuschöpfen.

Luisa Schneider ist Projektleiterin am Unabhängigen Institut für Umweltfragen (UfU e.V.). Sie forscht zu Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht.

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