Der Durchbruch der E-Mobilität hat begonnen: In den nächsten zehn Jahren kommen in Deutschland bis zu zehn Millionen E-Autos auf die Straße. Immer mehr Menschen werden sich vom Verbrenner verabschieden und künftig lieber „Strom tanken“ – auch weil Politik und Hersteller den Kauf eines E-Autos mit bis zu 9000 Euro fördern. Die Folge: Wir erleben derzeit einen Run auf Elektroautos, weil die Technologie nun zudem alltagstauglich ist. Diese Antriebswende ist für sich genommen ein großer Schritt nach vorne. Ihre volle Wirkung entfaltet sie allerdings erst, wenn wir sie mit der parallel verlaufenden Energiewende verknüpfen. Was die Experten etwas trocken „Sektorenkoppelung“ nennen, ist eines der wichtigsten und mächtigsten Projekte für die Zukunft des Industriestandorts Deutschland.
Zeitvariable Netzentgelte sind die richtige Antwort
Mit Elli arbeiten wir genau an der Schnittstelle von Mobilität und Energie. Unsere Vision ist ein intelligentes Mobilitäts- und Energiesystem, das die Möglichkeiten der Digitalisierung voll ausschöpft. So können E-Autos in Zukunft gezielt dann laden, wenn der örtliche Windpark gerade Strom produziert und es ein lokales Überangebot an Grünstrom gibt. Es werden dann E-Autos geladen, anstatt Windanlagen aus dem Wind zu drehen, wie es heute (wegen fehlenden Höchstspannungsnetzen) gängige Praxis ist. Und auch der E-Auto-Fahrer profitiert, da er für die Verschiebung des Ladevorgangs einen Preisnachlass erhält. Umgekehrt können E-Autos die Ladung aussetzen, wenn an kalten Winterabenden massenhaft Wärmepumpen, Fernseher, Herd und Licht eingeschaltet sind. Gesteuert wird das Ganze über Strompreise, genauer gesagt über zeitvariable Netzentgelte, die je nach Situation sinken oder steigen.
In Zukunft wird das E-Auto sogar zum rollenden Stromspeicher. Dabei lädt das E-Auto, wenn gerade viel Strom produziert wird, und gibt ihn wieder ab, wenn er knapp und teuer ist. Das Potenzial ist enorm: Eine Million E-Autos bieten rund 40 Gigawattstunden Speicherkapazität – in etwa so viel wie alle deutschen Pumpspeicherkraftwerke zusammen. Das E-Auto wird so zum flexiblen Verbraucher, mit dem der Kunde die Energiewende vorantreibt und sogar Geld verdienen kann.
Noch ist dies eine Vision. Es bräuchte dafür unter anderem eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für E-Autos, digitalisierte Verteilnetze und Wissen über Knappheiten im Netz. All das sucht man in Deutschland bislang vergebens. Während Amazon unser Kaufverhalten immer besser voraussagen kann und sogar seine Lager danach bestückt, ist der Stromkunde nach wie vor eine Black Box. Immerhin: Mit dem „Recht auf Wallbox“ in Miets- und Mehrfamilienhäusern wird sich der Aufbau der privaten Ladeinfrastruktur deutlich beschleunigen. Das sind erste positive Signale.
Paragraph 14a EnWG: Die falsche Weichenstellung
Mit dem Vorschlag der Bundesregierung zu Paragraph 14a EnWG droht nun allerdings ein herber Rückschlag. Worum geht es? Im Zentrum steht die Frage, was passiert, wenn auf Basis günstiger Preise mehr Strom nachgefragt wird als die Netze durchleiten können. Naheliegend wäre, die Knappheit im Netz über den Strompreis zu regulieren. Von intelligenten Preisanreizen zur Stabilisierung der Netze ist im aktuellen Entwurf aber keine Rede. Stattdessen setzt die Bundesregierung ausschließlich auf den unangekündigten und jederzeit möglichen Abbruch von Ladevorgängen bei E-Autos.
Ein derart antiquiertes Instrument ist in vielerlei Hinsicht problematisch. Erstens sorgt es bei E-Auto-Fahrern für erhebliche Unsicherheit. Zwei Stunden pro Tag ohne Strom sind alles andere als ein „äußerst zurückhaltender“ Eingriff. Würden wir das bei Wasser oder Telekommunikation akzeptieren? Sicher nicht! Eine derart weitgehende Einschränkung wäre also ein Bärendienst für den Durchbruch der E-Mobilität und den Klimaschutz.
Zweitens verbaut dieser Ansatz den Raum für zukunftsweisende Lade- und Energiekonzepte. Die oben skizzierte Vision des Smart Grid wäre auf Jahre hinaus blockiert.
Und drittens schadet es den Verbrauchern, wie die Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) kürzlich in einem Gutachten gezeigt hat. Sie zahlen bei diesem Modell unter dem Strich nämlich drauf. Auch die deutsche Automobilindustrie ist sich in der Ablehnung des Modells der Spitzenglättung einig, wie ein aktuelles Papier des VDA zeigt.
Der vom BMWi angedachte Vorschlag zu Ausgestaltung von Paragraph 14a ist also schon jetzt veraltet. Er ist kein Einstieg in die Flexibilisierung, wie Stefan Richter vom Energiekonzern Eon vor kurzem an dieser Stelle argumentiert hat, sondern eine weitere Hürde für die notwendige Verkehrs- und Energiewende. Und auch der angebliche Zeitdruck für eine Neuregelung ist nicht erkennbar: Aktuell liegt der E-Auto-Anteil bei unter einem Prozent, die Netze vertragen aber schon jetzt 20 bis 50 Prozent. Das sieht übrigens sogar der Branchenverband BDEW, dem Eon ja angehört, so. Dort sagt man ganz klar, dass die Netze fit für 13 Millionen E-Autos sind. Es gibt demzufolge keinen akuten Handlungsbedarf wie es von einigen Netzbetreibern und dem BMWi suggeriert wird. Man sollte sich lieber die Zeit nehmen ein für Verbraucher*innen und die Verkehrswende sinnvolles Instrument zu etablieren, anstatt mit dem Instrument der Spitzenglättung regulatorisches Stückwerk zu produzieren.
Drei Anforderungen an eine zukunftsweisende Reform des EnWG
Wir wollen mit der E-Mobilität einen Beitrag zur Energiewende leisten. Das wird nur gelingen, wenn die Politik jetzt die Tür für innovative Ladekonzepte öffnet. Netzbetreiber müssen die Chance bekommen, mit innovativen Preisgestaltungen das Ladeverhalten zu steuern und die Netze optimal auszunutzen. Letztlich muss die Entscheidung zum Zeitpunkt des Ladens bei den Verbraucher*innen liegen. Die Abschaltung von Ladevorgängen darf nur die allerletzte Maßnahme und eine absolute Ausnahme sein.
Für die anstehende Ausgestaltung von Paragraph 14a EnWG gibt es deshalb drei Anforderungen.
1. Lieber gründlich als schnell
Die Bundesregierung sollte jetzt nichts überstürzen, sondern den vorliegenden Entwurf nochmal gründlich und unter Einbeziehung aller Akteure überarbeiten. Die Zeit dafür ist da.
2. Das große Ganze in den Blick nehmen
Jede Neuregelung muss im Gesamtkontext bewertet werden. Es darf nicht sein, dass ein kaum beachteter Paragraph im EnWG die gesamte Modernisierung des Mobilitäts- und Energiesystems in Mitleidenschaft zieht.
3. Vorrang für innovative Konzepte
Jede Neuregelung muss einen Beitrag zur Digitalisierung und Modernisierung der Infrastruktur leisten. Konkret: Paragraph 14a EnWG muss den Einstieg in die flexible Preisgestaltung ermöglichen. Dass das möglich ist, beweisen unsere Nachbarn: Dänemark hat gerade einen flexiblen Strompreis eingeführt, um die Netze zu bestimmten Zeiten zu entlasten. Variable Strompreise haben zudem den Vorteil das bei einem lokalen Überschuss Erneuerbarer Energien der Strom in die E-Autos geladen werden kann, anstatt diesen über lange Distanzen zu transportieren oder gar wegzuwerfen, wie das heute häufig der Fall ist. Auch die VZBV als Stimme der Verbraucher*innen spricht sich für die variablen Strompreise aus.
Chance für den Industriestandort Deutschland
Mit der Verkehrs- und Energiewende bieten sich dem
Standort Deutschland ganz neue Chancen. Weltweit stehen alle großen
Volkswirtschaften vor der Aufgabe, ihre Infrastrukturen zu erneuern und ein
zukunftsfähiges Mobilitäts- und Energiesystem aufzubauen. Die deutsche
Industrie ist weltweit führend bei der Entwicklung von komplexen und
anspruchsvollen Systemen. Sie ist also geradezu prädestiniert, hier eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Ein
intelligentes, effizientes und sicheres Gesamtsystem, das vollständig auf
regenerativen Energien aufbaut, wäre ein weltweites Vorzeigeprojekt für den
Industriestandort Deutschland und eine langfristig
ergiebige Goldgrube für unser Land.