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Energie & Klima

Standpunkte Ohne CCS keine klimaneutrale Industrie

Katharina Schubert, NRW.Energy4Climate
Katharina Schubert, NRW.Energy4Climate Foto: NRW.Energy4Climate

Das Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft und wettbewerbsfähigen Industrie ist ohne die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) bis 2045 nicht erreichbar, schreibt Katharina Schubert von NRW.Energy4Climate. Nach Ansicht der Industrieexpertin werden in der Debatte derzeit unbegründete Ängste vor der Sicherheit von CO2-Speichern geschürt.

von Katharina Schubert

veröffentlicht am 26.02.2025

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Die Abscheidung und Speicherung von CO2 (CCS) ist umstritten. Dabei ist die Frage nach dem Für und Wider nicht pauschal zu beantworten, sondern abhängig vom Anwendungsfall. Für eine erfolgreiche klimaneutrale Transformation bis 2045 ist ein realistischer Blick auf CCS notwendiger denn je. Zusätzlich lässt sich der klimaneutrale Umgang mit Kohlenstoff, das sogenannte Carbon Management, längst nicht allein auf CCS reduzieren.

Oberstes Ziel in der Carbon-Management-Hierarchie ist, möglichst ganz auf fossilen Kohlenstoff zu verzichten. Insbesondere für Erdgas oder Erdöl als Energieträger in Industrieprozessen müssen kohlenstofffreie Alternativen gefunden werden (Dekarbonisierung). Je nach Anwendungsfall und Temperaturbedarf gibt es eine Vielzahl adäquater Lösungen, von der direkten Nutzung erneuerbarer Wärmequellen wie der Geothermie über erneuerbaren Strom bis hin zu grünem Wasserstoff oder eine Kombination dieser Varianten.

In einigen Industriebereichen ist der Kohlenstoff aus fossilen Rohstoffen aber mehr als nur Wärmelieferant: Als Basis aller chemischen Grundprodukte steckt er beispielsweise in Kunststoff, Farbe, Kosmetik oder Waschmittel und stammt heute noch zu großen Teilen aus fossilem Erdgas oder Erdöl. Ein Ersatz durch nachhaltige Kohlenstoffe ist dringend nötig und bereits möglich (Defossilisierung).

Letztlich gibt es aber auch viele Industrieprozesse, in denen die Entstehung von CO2 unvermeidbar ist. Die Zementherstellung ist vielleicht eines der bekanntesten Beispiele. Nur durch das „Austreiben“ von CO2 lässt sich das gewünschte Produkt Zementklinker erhalten, der Hauptbestandteil von Zement. In bestimmten Bereichen des Hoch- und Tiefbaus ist Zement als Baustoff auf absehbare Zeit nicht ersetzbar und die im Herstellungsprozess entstehenden CO2-Mengen bleiben vorerst unvermeidbar. Dass eine Abscheidung und Speicherung dieser Mengen erforderlich ist, um Klimaneutralität zu erreichen und das Ausmaß der Erderwärmung noch begrenzen zu können, wird von führenden Experten weltweit, unter anderem dem Weltklimarat IPCC bestätigt.

Weitverbreitete und erprobte Technologie

Um CO2 direkt bei seiner Entstehung an Industrieanlagen abzuscheiden, steht eine Bandbreite weit entwickelter und erprobter Technologien zur Verfügung. Die kürzlich in diesem Standpunkt veröffentlichte Darstellung von Greenpeace, CCS sei eine weitgehend unerprobte Risikotechnologie, bestreiten wir. Richtig ist, dass noch Optimierungen erforderlich sind, um Effizienzpotenziale auszuschöpfen und die Kosten zu senken.

Zur Speicherung gibt es verschiedene Optionen. Gerade ehemalige Öl- und Gasfelder sind attraktiv, da sie ihre Undurchlässigkeit über lange Zeiträume bewiesen haben und oftmals bereits über Monitorings und geeignete Infrastrukturen verfügen. Das bestätigt auch eine von Greenpeace selbst in Auftrag gegebene Studie..

Insgesamt sind die Risiken nach aktuellen Experteneinschätzungen bei sorgfältiger Umsetzung mit professionellem Risikomanagement an geeigneten Standorten gering. Das Leckagerisiko schätzt zum Beispiel der Weltklimarat bei Nutzung geeigneter Strukturen auf jährlich weniger als 0,001 Prozent der gespeicherten CO2-Menge. Umweltauswirkungen blieben in Untersuchungen auf einen Zehn-Meter-Radius um das Leck begrenzt. Wichtig sind eine gute Überwachung und Haftungsregelung, ebenso wie die Verträglichkeit mit dem Artenschutz. Auch sind funktionierende Speicher bereits in Betrieb, eine Übersicht bietet unter anderem das Global CCS Institute.

Insgesamt gilt es, das Risiko unterirdischer CO2-Speicherung abzuwägen gegen das Risiko, dass Millionen Tonnen an unvermeidbar entstehendem CO2 weiter in die Atmosphäre emittiert werden. Den Aufbau einer CO2-Infrastruktur und CCS für diese Mengen nicht weiter voranzutreiben, wäre hier das größere Umwelt-, Klima- und Wirtschaftsrisiko. Wichtig ist, dass die nächste Bundesregierung zeitnah die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft, damit der Hochlauf einer nachhaltigen CO2-Wirtschaft gelingt.

Lock-ins sind wirtschaftlich unattraktiv

Neben eventuellen technischen Risiken warnen Kritiker im Zusammenhang mit CCS häufig vor Lock-in-Effekten. Diese sind theoretisch denkbar, wenn beispielsweise heute mit Erdgas geheizte Industrieprozesse mit einer CO2-Abscheidung versehen würden, statt auf erneuerbare Wärmequellen umzustellen. Praktisch wäre dies aber fast ausnahmslos die dauerhaft unwirtschaftlichere Lösung. Denn Fakt ist: Die Carbon-Management-Hierarchie ist keine Ideologie, sondern mit Blick auf die CO2-Vermeidungskosten der verschiedenen Technologien auch rein ökonomisch herzuleiten.

Dies gilt vor allem für den Standort Deutschland: Zum einen ist die CO2-Abscheidung selbst höchst energieintensiv. Zum anderen muss das abgeschiedene CO2 aus Industrieregionen wie Nordrhein-Westfalen – mangels Onshore-Speichermöglichkeiten – zu geeigneten Speicherstätten im Ausland über weite Distanzen transportiert werden. Neben den Speicherungskosten selbst machen diese beiden Umstände CCS gerade für hiesige Anwender teuer. Branchen, die es können, werden sich aus wirtschaftlichen Gründen dagegen entscheiden. Hersteller von Zement und Kalk sowie Betreiber von thermischen Abfallbehandlungsanlagen und einige weitere gehören nicht dazu.

CO2-Infrastruktur nicht nur für CCS, sondern auch für CCU und CDR

Um Kohlenstoffbedarfe, zum Beispiel in der Chemieindustrie, künftig nachhaltig zu decken, kommen – neben Recycling auf werk- und oder rohstofflicher Ebene – nur zwei Optionen in Betracht: Biomasse und CO2. Die Konkurrenz um nachhaltige Biomasse ist nicht nur groß, sondern ihre Verfügbarkeit auch stark limitiert. Abgeschiedenes CO2, das nicht nur unterirdisch gespeichert, sondern auch als Rohstoff genutzt werden kann (CCU), kann und muss insofern einen wesentlichen Beitrag zur Defossilisierung kohlenstoffabhängiger Produkte leisten.

Zudem ist absehbar, dass auch nach ambitionierter Vermeidung industrieller CO2-Emissionen, Restemissionen anderer Sektoren verbleiben werden – gerade auch in der Landwirtschaft. Für diese braucht es einen Ausgleich durch sogenannte negative Emissionen (CDR). Neben natürlichen Senken sind auf CCS beruhende technische Senken dafür unverzichtbar. Auch diese Daueraufgabe benötigt eine effiziente, flächendeckende CO2-Transport- und Speicherinfrastruktur.

Je eher Regulierung, Finanzierung und Hochlauf in Deutschland geklärt sind, desto vorteilhafter ist dies für alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Dafür ist es so wichtig, die Debatte rund um CCS sachlich differenziert und ohne Polarisierung zu führen: CCS ist weder Universallösung noch Hochrisikotechnologie, sondern ein gezielt einzusetzender Baustein zum Umgang mit CO2-Mengen, deren Entstehung sich auch in einer klimaneutralen Zukunft nicht vermeiden lässt.

Dr. Katharina Schubert leitet den Bereich Industrie und Produktion der nordrhein-westfälischen Landesgesellschaft für Energie und Klimaschutz NRW.Energy4Climate.

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