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Energie & Klima

Standpunkte Quanten fürs Klima - keine Zeit verlieren!

Udo Littke, Europachef von Atos
Udo Littke, Europachef von Atos Foto: Atos

Quantencomputer können helfen, den Klimawandel einzudämmen, meint Udo Littke, Europachef von Atos. Dafür dürften sie aber nicht länger im Labor versteckt werden. Es gebe bereits vielversprechende Ansätze, die dringend in die Praxis gebracht werden müssten.

von Udo Littke

veröffentlicht am 08.07.2021

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Die Bundesregierung stellt zwei Milliarden Euro Fördermittel zur Verfügung, um bis zum Jahr 2030 die ersten deutschen Quantenrechner vorstellen zu können. In der Ausschreibung ist die Rede von einem „wettbewerbsfähigen deutschen Quantencomputer mit mindestens 100 individuell ansteuerbaren Qubits“. Hier sei jedoch angemerkt, dass es sich dabei um sogenannte NISQ-Maschinen handelt – mehr dazu später.

Die Rechner sollen unter anderem die Folgen des Klimawandels abmildern. Es ist ein ambitioniertes Ziel, aber es kommt spät: Das Kinsey Global Institute prognostiziert zum Beispiel für die Zeit bis 2030 eine Zunahme von Ernteausfällen in wichtigen Produktionsgebieten für Reis, Weizen, Mais und Soja. Besonders betroffen sind Menschen in sozial schwachen Regionen. Gerade sie werden mit den Klimafolgen am meisten zu kämpfen haben und beispielsweise Schwierigkeiten haben, sich zu ernähren.

Den Fokus auf das Hier und Jetzt legen

Ein Quantenrechner im Jahr 2030 wird nicht mehr verhindern können, was bis dahin Realität geworden ist – daran ändern auch die Bemühungen der Technologiebranche nichts. Die Fördermittel der Regierung sind wichtig, aber ebenso wichtig ist es, den Fokus auf das Hier und Jetzt und die kommenden Jahre zu legen und die Vorteile des Quanten-Computing zu nutzen, sobald dies mit Einschränkungen bereits jetzt möglich ist. Techniken wie Quanten-Accelerators oder NISQ-Geräte erhalten dabei derzeit zu wenig Aufmerksamkeit.

Die großen US-Technologiefirmen propagieren den Quantencomputer als Mainframe-System, das bisherige Superrechner in den Schatten stellen soll. Es kann in der Tat komplexe Probleme lösen, zum Beispiel ließen sich neue Verfahren zur Herstellung von Düngemittel realisieren. Dünger-Produzenten nutzen heute hauptsächlich das Harber-Bosch-Verfahren, wobei sie Wasserstoff und Stickstoff zur Synthese von Ammoniak einsetzen. Dabei benötigen sie chemische Katalysatoren, die erst bei Temperaturen von etwa 400 bis 500 Grad Celsius ihre Funktion erfüllen. Sie verbrauchen drei bis fünf Prozent des weltweiten Erdgases und sind für zwei Prozent der jährlichen CO2-Emissionen verantwortlich.

Die Chemikalien ließen sich theoretisch ersetzen – aber dafür müssten entsprechende Moleküle modelliert werden, wofür heutige Superrechner eine Rechenzeit von Tausenden von Jahren bräuchten. Einem Quantencomputer, der Informationen in Qubits verarbeitet, gelänge dies mitunter innerhalb von Stunden.

Quantentechnologie nicht in den Labors verstecken

Allerdings benötigen die Quantenrechner mehrere Millionen Qubits, um solche praktischen Probleme anzugehen. Die Maschinen sind empfindlich und fehleranfällig. Sie produzieren „Rauschen“, und dabei gehen Informationen verloren. Der größte Teil der Qubits wird daher nur für die Korrektur dieser Fehler gebraucht. Das bedeutet letzten Endes, dass selbst im Jahr 2030 nur ein Anfang gemacht ist. Der praktische Nutzen hängt dann stark davon ab, ob zugleich in die Ausbildung von Experten und die Entwicklung von Algorithmen investiert wurde. Letztere benötigen wiederum Quantencomputer-Simulatoren, die laufend weiterentwickelt werden.

Der Physiker John Preskill prägte für die jetzige frühe Phase der Technik den Begriff „Noisy Intermediate-Scale Quantum“ (NISQ). Wir haben zu wenig Qubits für Fehlerkorrekturen, aber genug, um Superrechner zu übertreffen oder zu erweitern. Die Annahme, dass dies nur für Grundlagenforschung und Theorie geeignet ist, ist falsch. Die Quantentechnologie darf in der kommenden Dekade deshalb nicht in den Forschungslabors bleiben – das wäre eine immense Verschwendung.

Anwendungsfälle in der grünen Chemie

Das EU-Projekt NEASQC (NExt ApplicationS of Quantum Computing) bringt zum Beispiel akademische Experten und industrielle Endanwender zusammen, um Applikationen zu erforschen, welche die Vorteile von NISQ-Systemen nutzen. NEASQC zielt demnach darauf ab, zu demonstrieren, dass es für die NISQ-Geräte schon in naher Zukunft praktische Anwendungsfälle gibt. Ein Beispiel ist das NEASQC-Projekt „CO2-Recapture”. Es geht darum, effiziente Wege zur Berechnung der Wechselwirkungen zwischen CO2 und einem adsorptiven System zu finden – und somit Treibhausgase zu reduzieren.

Generell ist die Chemie eine der Branchen, die für Anwendungen von NISQ-Systemen besonders geeignet ist. NISQ-Geräte könnten zum Beispiel die Entwicklung neuer Katalysatoren für die Spaltung von Wassermolekülen beschleunigen, teures Platin ersetzen und die Effizienz der derzeitigen Umwandlungsprozesse erhöhen, was wiederum eine Senkung der Produktionskosten für grünen Wasserstoff mit sich brächte.

Es sind nicht die einzigen Ansätze: Quanten-Beschleuniger dürften bereits 2023 auf dem Markt sein. Das australisch-deutsche Startup Quantum Brilliance entwickelt eine Nitrogen-Vacancy (NV) Diamanttechnologie, um Qubits zu erzeugen. Bei dieser Methode werden Stickstoffatome mit benachbarten Leerstellen in Kohlenstoff-Diamantgitter eingebaut. Durch Licht- und Mikrowellensignale können Spin-ups, Spin-downs oder eine Überlagerung beider Zustände erzwungen werden – so lassen sich Qubits kontrollieren. Der Vorteil der Technik ist, dass sie bei Raumtemperatur arbeitet, in eine Hand passt und sie weniger von Umgebungsrauschen beeinflusst sein soll. Parallelisierte Quantenbeschleuniger würden die Simulation der Molekulardynamik über die heutigen Superrechner hinauswachsen lassen.

Die Ideen sind vielversprechend. Quanten-Computing könnte somit dem Klimawandel schon bald etwas entgegensetzen. Wenn wir allerdings versäumen, diese frühen Möglichkeiten der Technik vollends auszuschöpfen, laufen wir Gefahr, die Menschen im Stich zu lassen, die womöglich bald um ihr Überleben kämpfen müssen.

Udo Littke ist als Head of Atos Central Europe und Atos Germany der Leiter der Region Zentraleuropa für Atos. Als europäischer Marktführer für Cybersecurity sowie Cloud und High Performance Computing ist Atos Gründungsmitglied bei der Gaia-X Initiative. 

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