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Standpunkte Überbordende Bürokratie bändigen, Klimaziele erreichen

Axel Haas
Axel Haas, Geschäftsführer, DIvB Foto: DIvB

Deutschland gilt als sicher im Brandschutz, doch komplexe Bauvorschriften und zusätzliche Auflagen erschweren Bau- und Sanierungsprojekte. Axel Haas vom Deutschen Institut für vorbeugenden Brandschutz (DIvB) plädiert für einen Abbau bürokratischer Hürden im Rahmen der Umsetzung der EU-Gebäudeeffizienzrichtlinie in nationales Recht.

von Axel Haas

veröffentlicht am 30.04.2025

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Die Sicherheitsstandards in Deutschland sind nach einhelliger Expertenmeinung so hoch, dass brennende Hochhäuser (wie in Großbritannien) oder Hotels (wie kürzlich in der Türkei) hierzulande kaum vorstellbar sind. Doch die Medaille hat eine Kehrseite: Regelmäßig verkomplizieren zusätzliche Anforderungen nachgeordneter Behörden die Baugenehmigungsverfahren in Deutschland.

Viele Bauherren verzichten auf energetische Sanierungen oder Erweiterungen, da sie hohe Kosten für zusätzliche Auflagen fürchten. Anforderungen wie Außentreppen, Brandmeldeanlagen oder Rettungswege stoppen oft Bauprojekte. Zudem steigen Auflagen für Umwelt-, Denkmal- und Lärmschutz sowie Barrierefreiheit, was Bau und Sanierung massiv erschwert. Laut einer IFO-Umfrage bewerten 53,6 Prozent der Bauunternehmer die Auftragslage im Wohnungsbau als angespannt, politische Neubauziele werden regelmäßig verfehlt.

Keine Frage: Um die Klimaziele zu erreichen und die energetische Sanierung und Neubau zu beschleunigen, muss die neue Bundesregierung das kleinteilige, föderal zerstückelte Baurecht entschlacken. Die nächste Legislatur ist entscheidend: Die EU-Mitgliedstaaten noch bis Mitte 2026 Zeit, die überarbeitete EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) in nationales Recht zu überführen und konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Klimaziele zu entwickeln. Die Vorgaben sind ambitioniert. Der Primärenergieverbrauch des Wohngebäudebestands muss bis 2030 um 16 Prozent und bis 2035 um bis zu 22 Prozent sinken. Dabei müssen sich die Mitgliedsstaaten vor allem auf die Gebäude mit der schlechtesten Energieeffizienz konzentrieren: Diese sollen 55 Prozent der erzielten Senkung beisteuern.

Die Umsetzung ist wird ein Kraftakt: Millionen in die Jahre gekommenen Häuser in Deutschland sind notorische Klimasünder: Der Gebäudesektor verantwortet ein Drittel der bundesweiten CO2-Emissionen. Zugleich eröffnet die reformierte EPBD auch eine Chance, den Bürokratiedschungel im Baurecht zu lichten. Ohne konsequenten Bürokratieabbau bleiben die Bau- und Klimaziele unerreichbar.

Verheerender Brand von 1996 rückt Prävention in den Fokus

Der Brandschutz ist ein aussagekräftiges Beispiel, um zu illustrieren, dass das deutsche Baurecht zu kompliziert geworden ist. Seit dem Brand am Düsseldorfer Flughafen 1996, bei dem 17 Menschen starben, wurden die Brandschutzauflagen in vielen Einzelschritten massiv verschärft. Die Zahl der Brandtoten ist seither deutlich nach unten gegangen: Die Zahl der Toten durch Rauch und Feuer in Deutschland sank zwischen dem Jahr 2000 und 2023 um 40 Prozent auf 283 Menschen. Deutschland hat den Brandschutz im Griff: Fast die Hälfte aller Schäden in der Wohngebäudeversicherung der letzten 20 Jahre ist auf Leitungswasser zurückzuführen. Mit einem Anteil von 49 Prozent bleibt es die mit Abstand kostspieligste Schadensursache. Sturm und Hagel folgen mit 22 Prozent, während Feuer mit 18 Prozent an dritter Stelle steht. Präventiver Brandschutz rettet Leben.

Immer neue Auflagen verbessern Brandschutz nicht mehr

Aber: Wie die Daten der Feuerwehren bundesweit zeigen, liegt die Zahl der durch Großbrände ums Leben gekommenen Personen seit Jahren konstant unter 350 Todesopfern. Auch die Zahl der durch Feuer verursachten Schadenssummen ist über die vergangenen zwei Jahrzehnte hinweg konstant geblieben. Das zeigen Zahlen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Beide Statistiken belegen: Immer neue Auflagen und zusätzliche Kosten verbessern das Brandschutzniveau in Deutschland nicht mehr.

Baubürokratie erstickt den Wohnungsbau

Die ausufernde Baubürokratie – und der Brandschutz ist nur ein Beispiel dafür – ist angesichts der Wohnungsbaukrise fatal. 400.000 neue Wohnungen sollten nach den Plänen der Regierung pro Jahr gebaut werden. Doch die Realität sieht anders aus: Von Januar bis September 2024 wurden gerade mal 157.200 Wohnungen genehmigt. Das sind 19,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Genehmigungszahlen stagnieren nicht nur, sie sinken sogar.

Hohe Kosten und lange Verzögerungen

Das Problem für Bauherren: Sanieren und Bauen kostet viel Geld. In Deutschland macht der Staat das Bauen besonders teuer. Laut Zentralem Immobilienausschuss (ZIA) liegt der Anteil der staatlich bedingten Kosten beim Wohnungsbau bei bis zu 37 Prozent. Zum Vergleich: In Österreich sind es nur sieben Prozent. Der größte Kostenblock: die Beachtung immer komplizierterer Auflagen und Vorschriften.

Zwei Beispiele aus unserer Verbandstätigkeit: Einer Kirchengemeinde in Niedersachsen werden nach eineinhalb Jahren Abstimmung mit dem Bauamt bei einem Immobilienprojekt fragwürdige Zusatzauflagen in Höhe von 500.000 Euro auferlegt. Ein Altenheim (ebenfalls in Niedersachen) erleidet Hochwasserschäden. Für die Sanierung verhängt das Bauamt 119 Auflagen, allein 50 zusätzliche Anforderungen der Brandschutzprüferin. Die Folge: 1,5 Millionen Euro an Mehrkosten. Und die Senioren mussten ein Jahr länger als geplant auf die Rückkehr in ihre Wohnungen warten.

Was kann, was muss die neue Bundesregierung tun, um den dringend benötigten Schub bei Bau und energetischer Sanierung in Deutschland endlich flott zu bekommen? Zwei wirksame Hebel:

Den Missbrauch der „Rücknahmefiktion“ stoppen

Ein besonders gravierendes Problem ist § 69 Abs. 2 der Musterbauordnung (MBO), die sogenannte Rücknahmefiktion. Ist ein Bauantrag vermeintlich unvollständig, oder fehlen angeblich Nachweise, kann die Bauaufsicht ihn als „zurückgenommen“ werten. Und das ohne Bescheid, ohne Widerspruchsmöglichkeit, ohne gerichtliche Klärung.

Das Deutsche Institut für vorbeugenden Brandschutz (DIvB) kritisiert diesen Missstand seit langem, unter anderem gegenüber der Bauministerkonferenz. Bauherren stehen im Bauantragsverfahren oft vor einem schier unüberwindbaren Hürdenlauf: Anträge werden an nachrangige Stellen verwiesen. Diese stellen zusätzliche Anforderungen, die weit über das Baurecht hinausgehen. Oft bewegen sich die Nachforderungen auf Sonderbau-Niveau, selbst bei einem Standardgebäude. Die Folge: Verzögerungen, steigende Kosten, gescheiterte Bau- und Sanierungsprojekte.

Es wird für Bauherren noch herausfordernder: Beantragen sie die Erweiterung eines Bestandsgebäudes, fordern die Behörden strenge Auflagen nicht nur für den Anbau, sondern gleich das gesamte Gebäudeensemble. Enorme Zusatzkosten sind die Folge. Für viele Projekte bedeutet dies das Aus. Das DIvB fordert daher eine Reform: Die Rücknahmefiktion muss wieder auf ihre ursprüngliche Bestimmung zurechtgestutzt werden, die Feststellung formeller Mängel. Diese lassen sich leicht nachprüfen. Der Bauherr kann in diesen Ausnahmefällen nach entsprechendem Hinweis den Bauantrag vervollständigen und neu einreichen.

Das deutsche Baurecht harmonisieren

Das deutsche Baurecht ist ein zunehmend komplexer föderaler Flickenteppich – jedes Bundesland hat seine eigene Landesbauordnung. In Zeiten der Wohnungsnot stellt das Politik, Planer und Bauherren vor große Probleme. Modularer Wohnungsbau wird oft als Lösung gepriesen, doch damit er funktioniert, müsste dasselbe Gebäude in Bayern wie in Niedersachsen gebaut werden können. Unterschiedliche Landesbauordnungen mit kleinteiligen Bestimmungen verhindern das. Sie sollten sich stärker an der Musterbauordnung des Bundes orientieren. Regionale Besonderheiten bleiben wichtig, doch die Entschlackung des komplizierten deutschen Baurechts ist dringend nötig, um den Wohnungsbau anzukurbeln.

Sicherheit mit Augenmaß statt Überregulierung

Die nationale Umsetzung der Europäischen Gebäuderichtlinie ist von zentraler Bedeutung, um den Weg der Dekarbonisierung weiterzugehen und die CO2-Emissionen zu verringern. Weniger Vorschriften, eine Entschärfung der Rücknahmefiktion und ein deutschlandweit harmonisiertes Baurecht würden helfen, Wohnungsbau und energetische Sanierung anzukurbeln und wieder bezahlbar zu machen. Klare Regelungen mit hohem Schutzniveau ja, überbordende Baubürokratie nein.

Axel Haas ist seit 2024 als Geschäftsführer beim Deutschen Institut für vorbeugenden Brandschutz e.V. (DIvB) tätig. Der Fokus seiner Tätigkeit liegt auf dem Bürokratieabbau im Rahmen von Bauantragsverfahren, insbesondere bei der Komponente Brandschutz.

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