Die jüngst erlassenen EU-Sanktionen gegen den belarussischen Energie-Sektor gehen ungewöhnlich weit: Sie verbieten europäischen Firmen den Import von raffinierten Öl-Produkten, erschweren die Zahlungsabwicklung durch Banken und erhöhen das Reputations-Risiko für alle Geschäfte. Dabei könnten die Sanktionen, auch gegen Russland, bald noch strenger werden.
Internationaler Handel, insbesondere mit autoritären Staaten, wird für deutsche Unternehmen risikoreicher. Die US-Regierung unter Joe Biden sieht die Regime in Russland und China sowie deren Verbündete als Gegenspieler einer neuen Allianz der Demokratien. Vereint hinter Washington soll diese gegen Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsbrüche vorgehen.
Das Mittel der Wahl: Sanktionen gegen Individuen, Unternehmen und ganze Geschäftsfelder. Sie versprechen in der Außenpolitik mehr Wirkung als reine diplomatische Kanäle und lassen sich im Gegensatz zu militärischen Maßnahmen deutlich einfacher ergreifen. Immer häufiger geraten daher Unternehmen in das Kreuzfeuer internationaler Konflikte. Davor sind auch viele deutsche Unternehmen nicht gefeit. Der Energiesektor ist davon besonders betroffen. Wie weitreichend die Auswirkungen auf diese Branche sein können, verdeutlicht aktuell der Konflikt mit Belarus.
Die EU meint es ernst
Das belarussische Regime ist mit der Verhaftung des Regimekritikers Roman Protassewitsch durch eine erzwungene Flugzeuglandung ungewöhnlich weit gegangen. Die EU konnte daraufhin kaum anders reagieren als weitreichende Sanktionen gegen Mitglieder der regimenahen Elite und Sektoren der belarussischen Wirtschaft zu verhängen. Brüssel greift selten zu solch drastischen Mitteln, die ganze Wirtschaftszweige zum Ziel haben.
Mit den jüngsten Wirtschaftssanktionen gerät Belarus‘ größter Exportsektor, raffinierte Öl-Produkte, ins Visier der Sanktionen. Staatsfirmen wie Belneftekhim und Raffinerien wie Naftan stehen unter Druck. Mit Folgen für deutsche Unternehmen: Mehr als ein Drittel der Erdölprodukte, die Belarus exportiert, gehen nach Deutschland, 70 Prozent seiner Energieexporte in die EU. Europäische Unternehmen dürfen nunmehr weder Kaliumchlorid und Tabakerzeugnisse, noch raffinierte Öl-Produkte aus Belarus importieren.
Großen Unternehmen und Mittelständlern verweigern Banken unvorhergesehen die Zahlungsabwicklung mit belarussischen Geschäftspartnern, auch wenn die EU das betreffende Geschäft gar nicht sanktioniert. Es reicht dafür bereits, wenn die belarussischen Geschäftspartner auf einer US-Sanktionsliste stehen. Deutsche Unternehmen, die wie Siemens teils intensiv mit belarussischen Energie- und Staatsunternehmen zusammenarbeiten, kommen in Bedrängnis.
Die Bundesregierung hätte im Fall Belarus angesichts der deutschen Geschäfte durchaus Interesse daran, den Energiesektor zu verschonen. Allerdings ist er außenpolitisch der entscheidende Hebel. Erlöse durch Export von raffinierten Öl-Produkten gehören zu den Haupteinnahmequellen Minsks. Deutsche Unternehmen, die an nicht-sanktionierten Geschäften festhalten, müssen sich auf ein schwierigeres Geschäftsumfeld einstellen. Exportkreditagenturen ziehen sich zurück und entziehen mitunter Bürgschaften.
Siemens Energy bekommt dies aktuell zu spüren. Siemens will an der Lieferung im Fall von Gasturbinen an die belarussischen Staatskonzerne Brestenergo und Minskenergo festhalten. Doch die KfW und andere Finanziers wollen kein Geld mehr zur Verfügung stellen, weil Siemens die Kreditversicherung entzogen wurde. Neue Energiegeschäfte werden Banken aufgrund des politischen Risikos kaum mehr anrühren. Zudem droht ein Reputationsverlust. Wenn die Menschenrechtsverletzungen in Belarus anhalten, könnte Europa Energieprojekte in Belarus sogar insgesamt verbieten.
Viel gravierender ist für deutsche Unternehmen jedoch das Risiko weiterer Russlandsanktionen, die der Konflikt mit Belarus zur Folge haben kann. Washington wird weitere Strafmaßnahmen gegen Russland verhängen, zumindest im Hinblick auf den Fall Nawalnyi. Es ist klar, dass vor allem höherer Druck auf Belarus‘ Unterstützer in Russland den belarussischen Präsidenten Alexander Lukashenko zum Einlenken bewegen könnte.
Paradoxerweise wird dies durch die neuen Belarus-Sanktionen wahrscheinlicher: Es sind nun erst recht die russischen Notkredite, die Lukashenko an der Macht halten. In Moskau, wo sich viele durchaus einen Anschluss Belarus‘ an die Russische Föderation vorstellen könnten, ist man bereits dabei, die belarussische Schwäche auszunutzen. Dies trifft zwar auf Vorbehalte in Minsk, im Moment befindet sich Lukashenko jedoch in immenser Abhängigkeit von Russland. All das wären Gründe für Washington und sogar Brüssel, weitere Sanktionen gegen Russland in Erwägung zu ziehen.
Wie neue Russland-Sanktionen aussehen könnten
Seit geraumer Zeit gibt es Forderungen, Russlands Zugang zum Finanzdienstleister SWIFT zu kappen. Das wäre die „nukleare Option“, die den europäischen Zahlungsverkehr mit russischen Geschäftspartnern nahezu zum Erliegen brächte. Unter Joe Biden ist dieses Szenario ohne Europas Zustimmung zumindest bis zu den US-Kongresswahlen 2022 nicht wahrscheinlich. Auch drohen europäischen Unternehmen bis dahin voraussichtlich keine US-Sekundarsanktionen.
Doch will man in Washington den Druck weiter erhöhen, bleiben nur noch wenige Optionen. Die Situation für europäische Unternehmen bleibt damit weiterhin brenzlig. Die USA könnten zunächst noch russische Firmen und Individuen sanktionieren, die Lukaschenko stützen. In diesem Fall drohen auch europäischen Unternehmen Schwierigkeiten, die mit diesen russischen Firmen und Individuen Geschäfte machen. Ihre Banken werden auch ohne Sekundarsanktionen vorsichtiger agieren: Sie könnten die Finanzierung oder die Zahlungsabwicklung verweigern, auch wenn das jeweilige Geschäft nicht direkt sanktioniert ist, jedoch ein Risiko für die Bank in den USA darstellt.
Die EU selbst zielt bereits auf einen russischen Unterstützer Belarus‘, was zeigt, wie schnell die Belarus-Sanktionen zu neuen Russlandsanktionen führen können. Nach weiteren individuellen Listungen blieben Washington wohl nur noch russische Banken und Staatskonzerne als die letzten „vielversprechenden“ Ziele, so lange man den Swift-Ausschluss vermeiden will.
Konkret bedeutet dies: Russische Banken könnten gelistet werden, um weitere Zahlungskanäle zu schließen. Geschäfte mit Russland und im Energiesektor kämen dann zum Erliegen. Russische Staatskonzerne könnte man von internationalen Finanzmärkten ausschließen. Schon heute haben sie ihre Öllieferungen nach Belarus gedrosselt, um zu verhindern, dass ihnen Strafen drohen. Und auch umgekehrt könnten Energiegeschäfte politisiert werden: Moskau und Minsk haben die Möglichkeit, Europa in Bedrängnis zu bringen – schon mit der Andeutung, die 20 Prozent der russischen Ölexporte durch Belarus‘ Pipelines nach Deutschland könnten gefährdet werden.
Für Unternehmen gerade im Energiesektor bedeutet das vor allem eines: Sie müssen geopolitische Risiken bewerten, ihre Risikoexposition analysieren und verschiedene politische Szenarien prüfen. Sonst trifft es sie unvorbereitet, ob bei Weißrussland, beim Handel mit Russland oder weiteren autoritären Staaten.
Jonathan Hackenbroich ist Fachmann für Geo-Ökonomik am European Council on Foreign Relations und Fellow der Agora Strategy Group.