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Energie & Klima

Standpunkte Zu vorausschauendem Netzausbau gehört Vertrauen auf gegebene Zusagen

Christoph Müller. Vorsitzender der Geschäftsführung, Netze BW
Christoph Müller. Vorsitzender der Geschäftsführung, Netze BW Foto: Netze BW / Andreas Martin

Der vorausschauende Netzausbau ist laut Bundesnetzagentur ohne Abstriche möglich. Christoph Müller, Chef des Verteilnetzbetreibers Netze BW, widerspricht in seinem Standpunkt. Zum einen fänden Prognosedaten nur indirekt Eingang in den Effizienzvergleich. Zum anderen sei das Vertrauen in eine faire Vergütung nicht ungebrochen.

von Christoph Müller

veröffentlicht am 06.07.2023

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Schafft der aktuelle Regulierungsrahmen die Voraussetzungen für einen vorausschauenden Netzausbau? In der Branche wird das zum Teil angezweifelt. Vor wenigen Tagen äußerten sich Klaus Müller und Barbie Haller, Präsident und Vizepräsidentin der Bundesnetzagentur, an dieser Stelle in einem Standpunkt-Artikel. Sie halten den vorausschauenden Netzausbau für regulatorisch gut verankert.

Zunächst: Was ist „vorausschauend“? Aus der gesetzlichen Pflicht zu einem versorgungssicheren Netz kann man, wie Herr Müller und Frau Haller es machen, wohl auch die Pflicht zum vorausschauenden Netzausbau ableiten. Aber nur weil die Pflicht zur Vorhersage aus dem Gesetz abgeleitet werden kann, können Netzbetreiber die Zukunft nicht sicher vorhersagen. Viele machen es sich mit Blick auf die aktuelle Lage recht einfach, wenn sie meinen, dass immer klar war, wie sich die Welt entwickeln wird. Leise angemerkt sei, dass allein die Fortschreibung der Netzentwicklungspläne der Übertragungsnetzbetreiber zeigt, dass es ganz so einfach wohl nicht ist.

So weit gehen Herr Müller und Frau Haller nicht, aber ihr Heranziehen des Effizienzvergleichs in diesem Zusammenhang überrascht. Denn der Effizienzvergleich berücksichtigt in der Tat viele Faktoren und bildet damit die komplexe Verteilnetzsituation im Benchmark auch in komplexer Form ab. Aber es sind immer die aktuellen Daten, die Eingang in den Effizienzvergleich finden. Nirgendwo im Benchmark werden Prognosedaten verwendet, insbesondere auch nicht für dezentrale Erzeugungsanlagen. Der Effizienzbenchmark erscheint mir insofern kein gutes Argument für einen ermöglichten vorausschauenden Netzausbau.

Bei der Frage des vorausschauenden Netzausbaus geht es insbesondere um die Finanzierung. Wie auch in dem Standpunkt-Artikel hat die Bundesnetzagentur über die letzten Wochen mehrfach betont, dass sie mit der angekündigten neuen EK-Zins-Regelung für Neuinvestitionen die Refinanzierung der Netze als gegeben ansieht. Jedoch: Eine (Re-)Finanzierung gibt es (allgemein) bei einer Investition nur für die Fremdkapitalseite – hier wird ein Kreditvertrag geschlossen, der fixe Laufzeiten, Zinssätze und Zahlungsmodalitäten hat. Für die Eigenkapitalseite gibt es nichts Vergleichbares – nicht umsonst wird bei der Eigenkapitalverzinsung nach den Opportunitätskosten gefragt. Eigenkapital ist flüchtiger. Es muss erhalten und gegebenenfalls nachgeschossen werden und es kann – anders als vertraglich gebundenes Fremdkapital – auch ausgeschüttet oder abgezogen werden.

Keine Anpassung der Berechnungsmethode der Eigenkapitalverzinsung

Nun würde auch ich das kommunale Eigenkapital in einem Stadtwerk nicht als das Flüchtigste ansehen, aber auch dieses Eigenkapital braucht eine Perspektive auf eine marktgerechte Verzinsung. Die hat der damalige Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, mit seinem Versprechen anlässlich der Festlegung des Eigenkapitalzinssatzes im Oktober 2021 gegeben: Investoren in die Verteilnetze können auch für den Fall einer Zinswende darauf vertrauen, eine marktfähige Verzinsung zu bekommen. Die Zinswende ist nun da, der Leitzins der EZB ist um vier Prozentpunkte gestiegen, aber für die Investitionen im Verteilnetz, insbesondere auch die, die nach Oktober 2021 im Vertrauen auf dieses Versprechen getätigt wurden, gibt es keine Anpassung des Eigenkapitalzinssatzes.

Immerhin: Ein neuer marktfähiger Eigenkapitalzinssatz für Neuanlagen wurde ausgelobt. Also sieht auch die Bundesnetzagentur beim Eigenkapitalzinssatz Handlungsbedarf. Insofern ist es überraschend, dass sie keine Perspektive für eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit schafft. Denn auch Neuanlagen sollen den höheren Eigenkapitalzins für maximal fünf der üblicherweise 40 Jahre Nutzungsdauer bekommen. Für die meiste Zeit gilt also der herkömmliche, anerkanntermaßen zu niedrige Eigenkapitalzinssatz.

Das Vorgehen beim Eigenkapitalzins streut Zweifel

 Aber diesen will die Bundesnetzagentur gerade nicht anpassen, sodass sich Netzbetreiber jetzt schon ausrechnen können, dass es spätestens ab dem sechsten Jahr der Laufzeit einer „Neuinvestition“ keinen marktfähigen Eigenkapitalzinssatz mehr gibt – investitionsfreundliche Perspektiven und Anreize für einen vorausschauenden Netzausbau sehen anders aus. Und die neue konzeptionelle Unterscheidung zwischen Bestandsinvestitionen, die „gefangen“ sind und die man daher anders (härter?) regulieren kann als für die Energiewende notwendige Neuinvestitionen, wird die Netzbetreiber hier auch nicht beruhigen. Vertrauen auf Zusagen der Bundesnetzagentur ist bei dem, was in der Energiewende vor uns liegt, essenziell. Die Zweifel, die das Vorgehen zum Eigenkapitalzins jetzt streut, sind daher nicht gut.

Natürlich ist die zitierte Kritik, die Regulierung verbiete den vorausschauenden Netzausbau, falsch. Die Bundesnetzagentur arbeitet für den vorausschauenden Netzausbau und die Umsetzung der Energiewende auch im Verteilnetz! Aber die Einschätzung der Behörde, dass die Regulierung nahezu perfekt aufgesetzt ist, trifft nicht unsere Lebenswelt im Verteilnetz.

Ein Beispiel: Unsere aktuellen Netzentgelte beruhen im Kern auf den Netzkosten von 2016. Damals hatten wir bei der Netze BW GmbH 600 Netzanschlussanfragen für erneuerbare Erzeugung im Monat. 2021 waren es im Durchschnitt 2000 pro Monat. Im März 2023 waren es 7000! Das ist ein Problem – operativ, aber auch für einen zu diesem Wachstum passenden Regulierungsrahmen.

Und vergleichbare Sachverhalte haben wir an vielen Stellen, denn das Wachstum zieht sich durch alle Prozesse. Ich weiß nicht, was die richtigen Antworten für den Regulierungsrahmen sind – eine OPEX-Marge, also ein zugestandener Gewinnaufschlag für die operativen Kosten, überzeugt mich ebenso wenig wie kürzere Regulierungsperioden. Aber ich weiß, wie diese Antworten zu finden sind: Nur in der gemeinsamen Diskussion von Bundesnetzagentur und Netzbetreibern. Eine Sichtweise, dass in der Regulierung alles in bester Ordnung sei, ist für diese Diskussion kein guter Einstieg.

Die Regulierungsdebatte muss geführt werden

Netzbetreiber beobachten seit Jahren, dass Festlegungsentwürfe in der Regel nahezu eins zu eins so beschlossen werden, wie sie konsultiert werden. In dem Standpunkt-Artikel der BNetzA wird der Kapitalkostenabgleich als wichtiges (und positives) Element für die Investitionsfähigkeit der Netzbetreiber angeführt. Das ist richtig. Aber die, die in der Diskussion rund um die Einführung des Kapitalkostenabgleichs dabei waren, erinnern sich, dass die Bundesnetzagentur lange, eigentlich bis zum Schluss, gegen den Kapitalkostenabgleich argumentiert hat. Und so fragt man sich, wo ist denn nach der kommenden EnWG-Novelle, die der BNetzA mehr autonome Befugnisse verschafft, die Institution, die am Ende aller Debatten wie damals das Bundeswirtschaftsministerium sagen würde „Das hat mich überzeugt, wir führen den Kapitalkostenabgleich ein!“?

Herr Müller und Frau Haller haben in ihrem Standpunkt betont, dass die Debatte und das Sachargument zählen. Darüber habe ich mich sehr gefreut – denn nur das ist der Weg nach vorne, um einen für die Herausforderungen in der Energiewende passenden Regulierungsrahmen zu setzen. Die laufenden Festlegungsverfahren zur Kapitalverzinsung bieten zeitnah die Chance, dieses Selbstverständnis auch durch praktisches Handeln zu unterstreichen.

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