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Energie & Klima

Standpunkte Netze werden vorausschauend geplant und ausgebaut

Barbie Haller und Klaus Müller, Bundesnetzagentur
Barbie Haller und Klaus Müller, Bundesnetzagentur Foto: Bundesnetzagentur

Manche Netzbetreiber beklagen, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen einen vorausschauenden Ausbau der Stromverteilernetze nicht zulassen. Barbie Haller und Klaus Müller, Vizepräsidentin und Präsident der Bundesnetzagentur, widersprechen in ihrem Standpunkt.

von Klaus Müller und Barbie Haller

veröffentlicht am 27.06.2023

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Die öffentliche und politische Diskussion befasst sich seit vielen Jahren sehr intensiv mit dem Ausbau der Übertragungsnetze. Gleichzeitig steigen die Herausforderungen auch in den Stromverteilernetzen. Sie müssen ausgebaut werden, damit sie zukünftig mehr Strom aus Wind und Sonne aufnehmen und den steigenden Verbrauch durch E-Autos und Wärmepumpen bewältigen können. Hier stehen erhebliche Investitionen an. Und diese Investitionen müssen vorausschauend erfolgen. Vorausschauend bedeutet, das Netz bereits heute fit zu machen für den erwarteten Zubau an Windrädern und Solaranlagen und für die zukünftig stark zunehmende Installation von Ladestationen und Wärmepumpen.

Manche Netzbetreiber beklagen, dass die Regulierung durch die Bundesnetzagentur – insbesondere die Anreizregulierung und der Effizienzvergleich – einen solchen vorausschauenden Netzausbau behindere oder gar gänzlich verhindere. Gelegentlich wird sogar behauptet, es gäbe eine Regel, die einen vorausschauenden Netzausbau verbiete. Die Bundesnetzagentur brauche daher konkrete Anweisungen des Gesetzgebers, wie sie einen vorausschauenden Netzausbau zu fördern habe.

Wir können diese Kritik nicht nachvollziehen: Der Netzausbau findet längst vorausschauend statt. Netzbetreiber sind gesetzlich verpflichtet, ein sicheres, zuverlässiges und leistungsfähiges Netz zu betreiben, zu warten und bedarfsgerecht zu optimieren, zu verstärken und auszubauen. Dazu gehört natürlich auch eine vorausschauende Netzplanung. Anders wären die im Gesetz genannten Verpflichtungen gar nicht einzuhalten.

Vorausschauender Ausbau ist schon gelebte Praxis

Konkret: Netzbetreiber dürfen mit einem Ausbau ihrer Netze nicht erst beginnen, wenn das Netz den Bedarf nicht mehr gerecht wird. Mit „bedarfsgerecht“ ist und war schon immer gemeint, dass der zukünftige Bedarf antizipiert und prognostiziert wird, damit die Anpassung der Netze dann rechtzeitig geplant und umgesetzt werden kann. Die Zahlen, die wir regelmäßig bei den Verteilernetzbetreibern abfragen, bestätigen, dass ein vorausschauender Ausbau bei vielen Verteilernetzbetreibern selbstverständlich die gelebte Praxis ist. Die Betreiber melden uns, dass sie die Mehrheit der Maßnahmen im Zusammenhang mit einem künftigen, prognostizierten Engpass planen. Mithin vorrauschauend.

Auch die speziellen Vorgaben, die durch das Osterpaket 2022 eingeführt wurden, beinhalten eine vorausschauende und integrierte Netzplanung. Erstmals erstellen die Verteilernetzbetreiber in sechs Planungsregionen jeweils ein Regionalszenario als gemeinsame Grundlage für die vorausschauende Netzausbauplanung. Der rechtliche Rahmen sieht nun vor, neben wahrscheinlichen Entwicklungen der nächsten fünf bis zehn Jahre explizit das Zieljahr 2045 zu berücksichtigen. Bedacht werden müssen dabei alle relevanten zukünftigen Entwicklungen, ausdrücklich auch aus anderen Sektoren, wie zum Beispiel Gebäude und Verkehr.

Regulierung ermöglicht schon jetzt sofortige Refinanzierung

Auch die Entgeltregulierung ermöglicht einen vorausschauenden Netzausbau. So können die Netzbetreiber die zusätzlichen Kapitalkosten aus neuen Investitionen mit dem Kapitalkostenabgleich direkt und ohne Zeitverzug in die Erlösobergrenze einbuchen. Die Netzbetreiber bekommen die notwendigen Investitionen damit sofort refinanziert. In der Vergangenheit konnten diese Kosten erst verzögert in die Netzentgelte einfließen.

Des Weiteren wird teils gefordert, dass ein separater Vergleichsparameter im Effizienzvergleich implementiert werden müsse, der explizit den vorausschauenden Netzausbau betrachtet. Der vorausschauende Netzausbau ist allerdings auch im Effizienzvergleich bereits abgebildet. Der Hintergrund dazu ist, dass für die Stromverteilernetzbetreiber die Modelle zum Effizienzvergleich bislang immer aus neun bis elf Vergleichsparametern bestanden, unter anderem der Jahreshöchstlast.

Manche Netzbetreiber befürchten, dass sie durch einen vorausschauenden Netzausbau zwar erhöhte Kosten haben, diese Kosten jedoch erst in der Zukunft über gestiegene Jahreshöchstlasten abgebildet werden. Damit würden sie im Effizienzvergleich gegenüber Netzbetreibern benachteiligt, die diesen vorausschauenden Netzausbau nicht oder nicht in gleichem Maße vorantreiben. Tatsächlich ist es aber so, dass die Versorgungsaufgabe der Netzbetreiber eben nicht allein durch die Jahreshöchstlast abgebildet wird, sondern durch die Kombination aller im Modell verwendeten Parameter. Ein vorausschauender Netzausbau wird dabei durch die Verwendung weiterer Größen berücksichtigt, zum Beispiel der installierten dezentralen Erzeugungsleistung oder der Leitungslängen.

Netzbetreiber werden durch die Installation von dezentralen Erzeugungsanlagen im Effizienzvergleich sogar eher begünstigt. Denn die Kosten für eventuelle Abregelung angeschlossener Anlagen – auch wegen noch nicht erfolgtem Netzausbau – werden aus dem Effizienzvergleich ausgeklammert. Kosten der Abregelung unterliegen damit zu Gunsten der Netzbetreiber keinem Effizienzdruck. Angesichts dieser regulatorischen Begünstigung ist es durchaus angemessen, von den Netzbetreibern zu fordern, dass sie bei der Netzintegration der Anlagen jetzt auch „liefern“.

Die Anwürfe überzeugen sachlich nicht

Es gehört zum Selbstverständnis der Bundesnetzagentur, dass Investitionen in die Stromnetze sichergestellt sind. Wir sind uns dieser Verantwortung für das Gelingen der Energiewende sehr bewusst. Wir wissen auch, dass diese Verantwortung mit der Umsetzung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde gestiegen ist. Deswegen kann sich die Branche darauf verlassen, dass wir Sachargumenten gegenüber immer aufgeschlossen sind.

Wir können auf geänderte energiewirtschaftliche Rahmenbedingungen zukünftig eigenständig reagieren und Anpassungen am Regulierungsrahmen anstoßen, sobald dies erforderlich ist. Unsere Ankündigung, dass wir die Regelungen zu den Eigen- und Fremdkapitalkosten für neue Investitionen im Kapitalkostenaufschlag anpassen wollen, sind dafür aktuelle Beispiele. Voraussetzung für eine Diskussion in der Sache ist aber, dass Argumente aus der Sache heraus überzeugen. Das ist bei den Anwürfen, dass ein vorausschauender Netzausbau nicht möglich sei, nicht der Fall.

Klaus Müller ist seit März 2022 Präsident der Bundesnetzagentur. Vizepräsidentin ist seit dem Juni 2022 Barbie Kornelia Haller.

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