Die Industrie stößt mit knapp 160 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr immer noch 24 Prozent der deutschen Klimagasemissionen aus. Die Herausforderung ist riesig, insbesondere für die energie-, emissions- und rohstoffintensiven Industrien wie die Chemie-, Bau- oder Automobilindustrie. Elektrifizierung ist eine zentrale Dekarbonisierungsstrategie, wird aber allein nicht ausreichen – zum ohnehin enormen Rohstoffbedarf käme dann ein immenser zusätzlicher Energiebedarf hinzu.
Das Ziel für einen zukunftsfähigen Industriestandort muss deshalb Ressourceneffizienz im Sinne einer zirkulären Wirtschaft sein. Denn eine funktionierende Kreislaufwirtschaft bringt gleich drei entscheidende Vorteile:
- Sie hat das Potenzial, Emissionen zu reduzieren – verschiedene Studien gehen davon aus, dass bis 2050 durch zirkuläres Wirtschaften bis zu 56 Prozent Emissionen zusätzlich eingespart werden können.
- Der Industriestandort Deutschland wird resilienter, da Abhängigkeiten von Primärrohstoffen und Energiebedarfe effektiv gemindert werden.
- Kreislaufwirtschaft kann dazu beitragen, die Industrietransformation sozial gerecht zu gestalten, wenn neue – wertschöpfungs- und arbeitsintensive – zirkuläre Industriezweige angesiedelt werden.
Mit der in einem aufwändigen Stakeholderprozess erarbeiteten und nun vom Bundeskabinett verabschiedeten Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS/Tagesspiegel Background berichtete) soll dieses Potenzial gehoben werden. Einige der vorgesehenen übergreifenden Maßnahmen und Leitziele könnten durchaus der zirkulären Industrietransformation nützen. Um aber tatsächlich als Motor für diese zu wirken, muss die NKWS in konkrete und finanziell unterlegte Maßnahmen übersetzt werden und Kreislaufwirtschaft als zentrale Säule ihrer Industriepolitik etablieren.
Der in der NKWS vorgesehene Ansatz, dafür den gesamten Lebenszyklus – von der Produktgestaltung über Konsum, Wiederverwendung und Recycling – in den Blick zu nehmen, sollte dabei umgesetzt werden. Welche Maßnahmen könnte die neue Bundesregierung als Erstes angehen, um die Industrietransformation zirkulär auszurichten, und welche guten Ansätze stecken bereits in der NKWS?
Ein politischer Rahmen für Kreislaufwirtschaft
Mit dem Leitbild, den Primärrohstoffverbrauch zu senken und sich dabei am Ziel von maximal acht Tonnen pro Kopf zu orientieren, wird der Industrie eine Perspektive gegeben, an der sie Investitionen ausrichten kann. Um tatsächlich Investitionssicherheit zu schaffen, muss dieses Ziel jedoch verbindlich werden. Etwa durch ein Ressourcenschutzgesetz, das sektorspezifisch konkretisiert wird und klare Ressortzuständigkeiten festlegt.
Es bleibt in der NKWS und auch angesichts der anstehenden Wahlen noch vollkommen unklar, ob – und falls ja, wie – die Ministerien künftig kohärent an dem Thema Kreislaufwirtschaft arbeiten werden und wer hauptverantwortlich für die Umsetzung der Strategie sein wird. Die strikte Trennung von Industriepolitik im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) und Kreislaufwirtschaft im Umweltministerium (BMUV) ist eine zentrale Barriere für eine effektive, zielgerichtete und verlässliche Politik im Bereich Kreislaufwirtschaft.
Es sind feste Strukturen auf Leitungs- und Arbeitsebene für eine koordinierte Zusammenarbeit aller relevanten Ministerien vonnöten, bestenfalls wissenschaftlich begleitet sowie mit klaren und messbaren Zielstellungen. Auf dieser Basis sollte die kommende Bundesregierung ab 2025 ihre Industriepolitik ausrichten.
Leitmärkte für eine zirkuläre Industrie
Um die Kreislaufwirtschaft auch als funktionierendes Business Model zu etablieren, braucht es Chancengleichheit für zirkuläre Geschäftsideen und Produkte. Dass Primärrohstoffe meist billiger sind als ihre im Kreislauf geführten Zwillinge, liegt an der Externalisierung von Umweltkosten und steht einer Kreislaufwirtschaft fundamental im Weg.
Leitmärkte können trotz dieser vorläufigen Mehrkosten gegenüber fossilen Primärprodukten eine Nachfrage nach zirkulären Produkten schaffen. Diese könnten durch einen Instrumentenmix aus ansteigenden Quoten für den Einsatz von Recyclingmaterial in Produkten oder Materialien und Anforderungen an die öffentliche Beschaffung entstehen.
Beides ist in der NKWS vorgesehen, jedoch mangelt es auch hier an der notwendigen Konkretisierung und Ambition. Die öffentliche Beschaffung als Leitmarkt für zirkuläre Produkte hätte in der von der Ampel-Regierung geplanten Reform des Vergabetransformationspakets etabliert werden können. Mit dem Scheitern der Koalition ist dieser wichtige Grundstein nicht gelegt worden. Die kommende Regierung sollte sich dem schnell wieder annehmen, um eine zirkuläre Beschaffung zu ermöglichen.
Was die öffentliche Hand bei ihren Beschaffungen bisher daran hindert, mehr auf Kriterien der Kreislaufwirtschaft zu achten, ist schlicht das fehlende Budget. Mehr als 60 Prozent der Ausgaben für öffentliche Beschaffungen entfallen auf die Budgets der Kommunen. Der Bund darf die Mehrkosten dieser Klimaschutzaufgabe nicht einfach auf die Kommunen abwälzen, sondern muss Wege finden, diese mit den benötigten finanziellen Ressourcen auszustatten.
Industriepolitische Instrumente nutzen
In der NKWS bleiben Schnittmengen mit bestehenden oder geplanten industriepolitischen Instrumenten meist unberührt. Ein Beispiel hierfür ist das für die Dekarbonisierung der Industrie zentrale Instrument der Klimaschutzverträge. Diese berücksichtigen in ihren Förderrichtlinien bisher nicht die Möglichkeiten der Emissionsreduktion durch Kreislaufwirtschaft, obwohl die Einsparpotenziale dort enorm und Verfahren der Kreislaufwirtschaft häufig transformativ sind. Daher muss die Kreislaufführung von Produkten und Materialien explizit in die Liste der „transformativen Produktionsverfahren“ aufgenommen werden und in den Förderlinien berücksichtigt werden, dass Emissionseinsparungen durch Kreislaufwirtschaft häufig tiefer in der Lieferkette und nicht direkt im eigenen Geschäftsbereich erfolgen. Zusätzlich sollte die neue Bundesregierung Synergien mit europapolitischen Projekten aktiv gestalten und beispielsweise darauf hinwirken, dass Kreislaufwirtschaft in den von der EU-Kommission angekündigten Clean Industry Deal und Industrial Decarbonisation Accelerator Act eine zentrale Rolle spielt.
Auf dieser Basis kann eine neue Bundesregierung mittelfristig auch die großen Hebel für eine zirkuläre Industrie umlegen – beispielsweise durch eine Reform der steuerlichen Lenkungswirkung im Sinne der Kreislaufwirtschaft. Es geht um eine angepasste Regulatorik welche Kreislaufwirtschaft begünstigt und nicht behindert sowie gezielte Förderprogramme.
Solche Programme sollten nicht erst am Ende eines Produktlebenszyklus ansetzen, sondern auch zirkuläre Strategien wie Wiederaufbereitung, Reparatur oder nachhaltiges Produktdesign in den Fokus rücken. Die Transformation zur zirkulären Wirtschaft ist im besten Sinne Industrie- und Strukturpolitik und muss entsprechend politisch gestaltet und begleitet werden. Die künftige Bundesregierung sollte die NKWS zur Grundlage nehmen, um den Motor für eine Beschleunigung der sozial gerechten Industriedekarbonisierung anzuwerfen.
Ein Policy-Papier zur NKWS von Germanwatch finden Sie hier