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Standpunkte Ein Koalitionsvertrag mit erkennbarem Reformwillen

Raffael Kalvelage
Raffael Kalvelage, Referent für Mobilität und Logistik beim Bundesverband der Deutschen Industrie Foto: BDI

Der Maßnahmenkatalog des neuen Koalitionsvertrags zur Planungsbeschleunigung verspricht viele Verbesserungen. Er wird jedoch nur sein volles Potenzial entfalten, wenn wir uns gleichzeitig von einigen etablierten Denkmustern und Verfahrensabläufen verabschieden: digitalisierte Verfahren und Ermöglichungskultur statt Verhinderungsdenken.

von Raffael Kalvelage

veröffentlicht am 22.05.2025

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Mit dem Sondervermögen hat die Bundesregierung ein klares Aufbruchsignal aus der Infrastrukturkrise gesendet. Doch klar ist auch: Ohne systematischen Bürokratieabbau sowie die Beschleunigung und Digitalisierung der Verfahren wird das Sondervermögen weit weniger Wirkung entfalten als erhofft. Denn derzeit scheitert die effiziente Umsetzung von Sanierungs- und Ausbauprojekten neben mangelnder finanzieller Planungssicherheit vor allem an langwierigen Prozessen.

Die letzte Bundesregierung hatte sich unter dem Schlagwort „Deutschlandtempo“ vorgenommen, die Zeiten für Planungs- und Genehmigungsverfahren zu halbieren. Diese Zielmarke ist noch immer in weiter Ferne. Als Industrienation muss unser Anspruch an den Rechtsrahmen sein, Planungen bundeseinheitlich, rechtssicher und zügig mit angemessenem Aufwand abschließen zu können. Derzeit existieren jedoch zahlreiche gesetzlich verankerte Beschleunigungsmaßnahmen mit teils unterschiedlicher sektorenübergreifender Ausprägung, die einheitlich für alle Verfahren in Deutschland gelten sollten.

Zwischen Planungsversprechen und Verfahrenswirklichkeit

Der Maßnahmenkatalog des neuen Koalitionsvertrags zur Planungsbeschleunigung im Verkehrssektor verspricht in dieser Hinsicht zahlreiche Verbesserungen. Viele der geplanten Vorhaben lesen sich wie ein längst überfälliges Wunschkonzert: Stichtagsregelungen, eine vereinfachte Raumordnung, fakultative Erörterungstermine, ein bundeseinheitlicher Populationsansatz im Arten- und Naturschutz, Zustimmungsfiktionen sowie die Möglichkeit eines vorzeitigen Maßnahmenbeginns – all das kann echten Fortschritt bringen, wenn es konsequent umgesetzt wird.

Auch die vorgesehene Reduktion von Verfahrensstufen mitsamt eines einheitlichen Verfahrensrahmens („one-for-many“) würde die Realisierung von Bauprojekten erheblich erleichtern – denn Einheitlichkeit schafft Transparenz und spart Zeit.

Neujustierung des Verbandsklagerechts mit Augenmaß

Auch die im Koalitionsvertrag angedachte Reform des Verbandsklagerechts – mit einer Straffung und Ausrichtung auf tatsächliche Betroffenheit sowie einer Rückführung auf das europarechtlich erforderliche Mindestmaß – kann angesichts der in der Vergangenheit ausgeweiteten Klagerechte bei gleichzeitigem Abbau von Mitwirkungspflichten (Stichwort: materielle Präklusion) als notwendiger und richtiger Kurswechsel verstanden werden.

Auch wenn diese Maßnahmen insbesondere bei Natur- und Umweltschutzverbänden nicht unumstritten sein dürften, kann deren kluge Ausgestaltung sowohl ein dringend erforderlicher Impuls für die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts als auch ein Katalysator für den Klimaschutz sein. Die Bundesregierung muss bei der Umsetzung eine gute Balance zwischen Beteiligung und Beschleunigung finden, um die Modernisierung unseres Landes mit breiter gesellschaftlicher Akzeptanz zu ermöglichen.

EU-Recht als Chance, nicht als Ausrede

Die Fortsetzung des nationalen Pakts für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung („Deutschland-Pakt“) durch eine europäische Initiative zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung zu flankieren, ist ebenfalls goldrichtig. Denn oft liegen die Ursachen für Verzögerungen nicht im prozeduralen Verfahrensrecht, sondern in den hohen materiellen Anforderungen – etwa im Artenschutz- oder Umweltrecht.

Hier darf sich die Bundesregierung nicht länger hinter dem supranationalen Regelwerk verstecken, sondern muss sich in ihrer Rolle als intergouvernementaler Impulsgeber und Verhandler entschlossener für eine Überarbeitung des Rechtsrahmens einsetzen – schließlich sind diese Anforderungen nicht vom Himmel gefallen. Gleichzeitig müssen, wie im Koalitionsvertrag bereits angelegt, die schon vorhandenen Spielräume für Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) im Rahmen des EU-Rechts genutzt und Verfahren vereinfacht werden.

Schneller sanieren, einfacher ersetzen

Für identische, erweiterte und vollseitige Ersatzneubauten – etwa bei maroden und überlasteten Brücken – ist der im Koalitionsvertrag geplante Verzicht auf langwierige Planfeststellungsverfahren zugunsten der vereinfachten Plangenehmigung als Regelfall ein weiterer großer Fortschritt. Schließlich sind die infrastrukturellen Herausforderungen angesichts wachsender individueller Mobilitätsbedarfe, steigender Transportvolumina und -gewichte sowie sicherheitspolitischer Anforderungen in den vergangenen Jahren weiter gewachsen.

Ein Koalitionsvertrag – viele Geschwindigkeiten?

Entscheidend ist, dass alle Verkehrsträger flächendeckend in den Genuss der durchaus ambitionierten Beschleunigungsmaßnahmen kommen. Andernfalls entstehen – wie in der Vergangenheit häufiger zu beobachten – innersektorale Sonderlösungen, die einer ohnehin unübersichtlichen Rechtslage weiter Vorschub leisten und eine bewusste Bevorzugung bestimmter Infrastrukturelemente suggerieren.

Unter Berücksichtigung des gesamten Koalitionsvertrags wird leider bereits sichtbar, dass die sehr explizit und ausführlich angedachten Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung im Verkehrssektor im sektorübergreifenden Vergleich (beispielsweise im Vergleich mit dem Energiesektor) weniger stark ausgeprägt zu sein scheinen – oder gar nicht berücksichtigt wurden.

Anstelle eines Mosaiks aus Einzelgesetzgebungen benötigen Industrie und Verwaltung jedoch stärker denn je sektorübergreifende Lösungen, die in einer grundsätzlichen Neukonzeption der Verfahren münden. Andernfalls drohen die versprochenen Reformen reines Stückwerk zu bleiben.

Sondervermögen braucht Sondertempo

Das Sondervermögen Infrastruktur ist eine historische Chance, das Land zu modernisieren. Es wird jedoch nur sein volles Potenzial entfalten, wenn wir uns gleichzeitig von einigen etablierten Denkmustern und Verfahrensabläufen verabschieden. Massive Investitionen müssen von einem systematischen Bürokratieabbau, digitalisierten Verfahren und nicht zuletzt auch einer neuen Haltung begleitet werden: weg vom Verhinderungsdenken, hin zu einer Ermöglichungskultur. Die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren ist hierbei kein technisches Detail. Sie ist der Hebel, damit Infrastruktur endlich wieder funktioniert – und die Zukunft überhaupt geplant werden kann.

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