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Digitalisierung & KI

Standpunkte Die Wahl von Donald Trump: Weckruf für ein neues Zeitalter europäischer Digitalsouveränität

Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht
Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht Foto: Privat

Die Wiederwahl Donald Trumps war ein Schock. Sie kann aber auch eine Chance sein, argumentiert Dennis-Kenji Kipker im Standpunkt. Europa muss jetzt gezielt in wichtigen Punkten unabhängig werden, wenn es sich nicht erpressbar machen will.

von Dennis-Kenji Kipker

veröffentlicht am 28.11.2024

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Auch ohne dass der neu gewählte US-Präsident Donald Trump einen einzigen Amtsakt durchführen musste, waren die digitalen Folgen der zweiten Trump-Präsidentschaft bereits in der Wahlnacht spürbar, als die Kryptowährung Bitcoin auf ein Allzeithoch stieg und zahllosen Investoren in wenigen Stunden Millionengewinne bescherte.

Doch dass es dabei nicht bleiben wird und am Ende nicht nur Gewinner stehen werden, dürfte klar sein, denn der künftige 47. Präsident der Vereinigten Staaten plant ein umfassendes Reformprogramm für die US-amerikanische Wirtschafts- und Steuerpolitik, das nicht nur digitale Unternehmungen sowohl in den Staaten wie auch hierzulande unmittelbar betreffen wird.

Deregulierung digitaler Schlüsselindustrien

Bei einem Blick in Trumps offizielles Wahlprogramm, der „Agenda 47“, geht es zunächst wenig um Digitalpolitik. Vor allem im dritten Kapitel, dem „Aufbau der besten Wirtschaft in der Geschichte“ wird aber deutlich, dass seine Innen- wie auch Außenpolitik einen zentralen Ansatz verfolgt: Deregulierung von landeseigenen Schlüsselindustrien bei gleichzeitigem Protektionismus gegenüber ausländischen Industrien, der sich unter anderem in den vielbefürchteten Handelsbeschränkungen äußert, die im Falle von Strafzöllen auch die exportorientierte deutsche Wirtschaft empfindlich treffen könnten.

Trump macht mit seiner „America First“-Wirtschaftsagenda somit keinen Hehl daraus, US-eigene Technologieinnovation in jedem Falle zu fördern und wo möglich alle anderen Akteure aus dem heimischen Markt auszuschließen. Als Beispiele einer solchen Innovationsförderung nennt sein Wahlprogramm neben der Entrechtlichung der Kryptowährungen vor allem auch die Aufhebung der KI-Durchführungsverordnung, die durch die Biden-Administration im Jahr 2023 ins Leben gerufen wurde und Risiken beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz adressiert. Letztlich, so Trump, sollen die USA dadurch in die Lage versetzt werden, die führende globale Rolle in Sachen Technologieentwicklung einzunehmen.

Big Tech bereit für noch stärkere Monopolstellung

Das jedoch dürfte nur eine Seite der Medaille sein, denn wo einerseits in den USA nunmehr digitale Innovationen massiv gefördert werden sollen, haben wir in der EU genauso wie in Deutschland bereits seit mehreren Jahren massiv mit den Folgen US-amerikanischer Technologiedominanz in der Wirtschaft wie auch in der Verwaltung zu kämpfen.

Kein Wunder, denn ebenjene „Schlüsseltechnologien“, die in Trumps Wahlkampfagenda so prominent Erwähnung finden, sind genau jene Themen, bei denen wir in der EU bislang zu wenig Innovation auf den Weg gebracht haben. Oder schlimmer noch: jene Innovation werden bereits bei ersten Anzeichen nachhaltigen Erfolgs von US-Konzernen übernommen, um sie auf den eigenen europäischen Märkten nunmehr unter anderen Vorzeichen auszuspielen. Deshalb ist es eben auch kein Zufall, dass sich nun nach der Wahl die großen US-Big-Tech-Konzerne um Donald Trump scharen, um einerseits landeseigenen Kartellverfahren zu entgehen, andererseits aber von der sich ankündigenden massiven US-amerikanischen globalen Technologiedominanz bestmöglich zu profitieren.

„Digitale Erpressbarkeit“ muss nicht sein

Die europäische Digitalwirtschaft, aber auch die deutsche Wirtschaft im Generellen, ist deshalb jetzt aufgefordert, neue Wege in Sachen digitaler Souveränität zu gehen. Eine vor Kurzem veröffentlichte Umfrage des Münchner Ifo-Instituts offenbarte noch das Ergebnis, dass eine überwiegende Mehrheit von 83 Prozent der deutschen Unternehmen keine Anpassungsmaßnahmen im Falle eines Trump-Wahlsiegs plant – eine nur allzu kurzsichtige Denkweise, denn manch einer schreibt nicht unberechtigt bereits über die „digitale Erpressbarkeit“ des IT-Standorts Deutschland.

Und das nicht zu Unrecht, denn wenn wir die Faktoren digitale Deregulierung in den USA, technologische Marktdominanz in der EU und „America First“ miteinander verknüpfen, ergibt sich durchaus die realistische Möglichkeit eines wirtschafts- und technologiepolitisch toxischen Risikos, das sich nicht sofort im Januar 2025, durchaus aber in den Folgemonaten realisieren könnte.

Jeder Wandel ist zugleich auch eine Chance

Was also ist jetzt zu tun? Zuvorderst sollten wir den gravierenden politischen Wandel in den USA nicht als Bürde, sondern als ernsthafte – wenngleich erzwungene – Chance betrachten, in ein neues Zeitalter europäischer Digitalsouveränität einzutreten. Und dabei geht es nicht darum, von einem Tag auf den anderen die Technologieabhängigkeiten in die Staaten zu kappen – was ohnehin unrealistisch ist – sondern ein gezieltes De-Risking zu betreiben, um unsere Abhängigkeiten und damit letztlich auch die digitale Erpressbarkeit zu reduzieren.

In Zukunft wird es deshalb darum gehen, sukzessiv unabhängiger von drittstaatlichen Einflüssen zu werden: Angefangen bei kritischen (Verwaltungs)dienstleistungen, über die Wirtschaftsbetriebe bis hin zur allgemeinen Bevölkerung. Natürlich gehört hierzu auch die Entwicklung souveräner Technologie, vor allem jedoch zunächst die zeitnahe Reduzierung der Abhängigkeiten von globalen digitalen Wertschöpfungsketten, was nur durch eine größere Kontrolle über die verarbeiteten Daten und den Aufbau einer robusten eigenen europäischen IT-Infrastruktur geschehen kann.

Auf diese Weise kann ein so verstandenes De-Risking als Maßnahme auch dazu beitragen, originäre europäische IT-Kompetenzen zu fördern und eine starke eigene digitale Industrie aufzubauen. Denn trotz allem waren die Chancen hierfür noch nie so günstig wie jetzt, denn wir Europäer haben im Gegensatz zu vielen anderen Staaten weltweit unsere gesellschaftlichen Grundwerte bereits in ein einheitliches und weitgehend harmonisiertes regulatorisches Framework übertragen – eine nicht von der Hand zu weisende gesellschaftliche und politische Errungenschaft, die in Zeiten von „Digital Trust“ wichtiger ist denn je.

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