Europa reguliert, doch es fehlen eigene digitale Champions. Trotz Digital Markets Act (DMA), Digital Services Act (DSA) und AI Act bleibt die digitale Souveränität eine Illusion. In Europa dominieren nordamerikanische Tech-Unternehmen, während China seine eigene Internetwirtschaft entwickelt hat. Interessant ist, dass chinesische Unternehmen die gesamte digitale Wertschöpfungskette wesentlich integrierter entwickeln, während die nordamerikanischen deutlich segmentierter aufgestellt sind. Die gängige Suchmaschine, Social Media, Online-Handel und Software bilden jeweils den Ursprung für unterschiedliche US-Techkonzerne. Bei Cloud und AI sind die USA und China nun alle im Wettbewerb zueinander.
Europa braucht einen „Airbus-Moment“
Europas Telekommunikationsmarkt ist fragmentiert, Cloud- und generative KI-Lösungen bleiben hinter den Erwartungen zurück. Während Frankreichs Mistral im LLM-Bereich mithalten kann, ist es um das deutsche KI-Start-up Aleph Alpha still geworden. Deutschland hat mit SAP und der Deutschen Telekom zwei globale Player. Die Schwarz Gruppe und Google kooperieren bei Cloud-Lösungen und Cybersicherheit. Das deutsche KI-Start-up Black Forest Lab, das KI-Generierung von fotorealistischen Bildern entwickelt, hat seinen Firmensitz in die USA verlagert. Ich vermute mal, dass dort leichter Risikokapital generiert werden kann und auch die KI-Regulatorik gegenüber Europa mehr Freiraum für die Entwicklung eines Start-ups bietet. Nimmt man noch die gerade hohen Energiekosten in Deutschland, dann bekommt man ein Verständnis, mit welchen Herausforderungen die Digitalwirtschaft bei uns zu kämpfen hat.
Ich bin der Überzeugung, dass wir einen „Airbus-Moment“ brauchen. So wie 1969/1970 Airbus von Frankreich und Deutschland gegründet wurde, um im Flugzeugbau eigene europäische Fähigkeiten zu schaffen, könnten Frankreich und Deutschland im Zusammenspiel von Regierungen und Wirtschaft bei KI vorangehen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat mit seinem KI-Gipfel den Weg gewiesen.
Handel zwischen Plattformdominanz und Regulierung
Jüngst hatte Albrecht von Sonntag, Geschäftsführer der Preisvergleichsplattform Idealo, im Tagesspiegel Background die Befürchtung formuliert, dass es auf Grund der Übermacht der nordamerikanischen Tech-Unternehmen bald keine europäischen Unternehmen mehr geben werde. Diese Sorge ist aus Sicht des Handelsverbandes Deutschland (HDE) übertrieben.
Die fünf größten deutschen Online-Händler heißen Amazon, Otto, Zalando und Mediamarkt. 60 Prozent des deutschen Online-Handels wickelt Amazon über seine Plattform ab. Ein Drittel ist Eigengeschäft und zwei Drittel des Umsatzes entfallen auf den Marktplatz, über den auch viele tausende von mittelständischen Handelsunternehmen Online-Handel betreiben. Dennoch stellen asiatische Plattformen wie Temu und bald auch Tiktok Shop eine wachsende Konkurrenz dar.
4,8 Milliarden Pakete mit einem Warenwert unterhalb der Zollfreigrenze wurden 2024 in die EU geliefert. Die EU-Kommission geht davon aus, dass bei zwei Dritteln der Sendungen der Warenwert falsch deklariert und europäische Produktsicherheitsvorschriften missachtet werden. Der TikTok Shop steht „ante portas“ und wird demnächst auch in Deutschland Social Commerce anbieten. Es ist die schiere Masse, die einen Vollzug der Gesetze den Behörden unmöglich macht. Hier gilt es, den Zoll zu ertüchtigen und zu digitalisieren sowie den DSA nachzuschärfen, um Unternehmen, die direkt in die EU verkaufen, effektiver auf die Einhaltung der gültigen Gesetze zu kontrollieren.
Fairer Wettbewerb statt neuer Gatekeeper
Albrecht von Sonntag kritisiert die Anzeige von Suchergebnissen bei Google. Man muss wissen, dass Preisvergleichsplattformen seit Längerem bei der EU-Kommission darauf drängen, dass Google auf Basis des DMA verpflichtet wird, das Zustandekommen des Rankings beim Anzeigen von Suchergebnissen transparenter zu machen. In dem Zusammenhang verlangen Preisvergleichsplattformen auch, dass Google ihnen exklusiv mehr Platz einräumt.
Privilegierter Anzeigenraum für Preisvergleichsplattformen würde aber die Sichtbarkeit des Handels einschränken und die Kosten für die Unternehmen steigern. Direkte Online-Verkaufskanäle sind für Einzelhändler aller Größenordnungen und auch für viele Verbraucher unverzichtbar. Will der Handel seine Sichtbarkeit auf dem gleichen Niveau halten, müsste er zusätzlich Werbeplätze bei den Preisvergleichsplattformen buchen. Spätestens hier dürfte deutlich werden, das Albrecht von Sonntag seine eigenen unternehmerischen Interessen verfolgt, wenn er auf eine angeblich zu lasche Vorgehensweise der EU-Kommission bei der Durchsetzung des DMA schimpft.
Die Durchsetzung des DMA muss sicherstellen, dass weder bestehende noch neue Gatekeeper entstehen. Der Handel benötigt eine ausgewogene Lösung für Produktanzeigen, um eine faire Online-Sichtbarkeit und um gleichzeitig die Fortschritte zu bewahren, die bei den organischen Ergebnissen erzielt wurden, um die direkte Sichtbarkeit der Händler zu gewährleisten. Um sicherzustellen, dass der DMA anfängliche Versprechen einhält, sollte die Kommission die Diskussion auf eine Lösung lenken, die nicht zum Verlust der Sichtbarkeit für Händler und zur Schaffung neuer Abhängigkeiten von zusätzlichen Vermittlungsebenen führt.
Die nunmehr bekannt gewordene Einschätzung der EU-Kommission, dass Google gegen den DMA verstößt und die Ermittlungen vorangetrieben werden, zeigt auch, dass die EU-Kommission sich nicht von der geopolitischen Situation davon abbringen lässt, DMA, DSA und andere digitale Gesetze durchzusetzen. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Ich stimme der Monopolkommission zu, dass man den 2022 in Kraft getretenen DMA erst einmal wirken und die von der EU-Kommission betriebenen Verfahren zum Abschluss bringen muss. Ergänzende nationale Maßnahmen, etwa eine Stärkung der Befugnisse des Bundeskartellamts, könnten die Rechtsdurchsetzung unterstützen.
Regulierung muss strategisch wirken
Ein Kernproblem bleibt die mangelnde Durchsetzbarkeit europäischer Normen gegenüber außerhalb der EU ansässigen Unternehmen. Es gibt weder mit den USA noch mit China ein einziges hoheitliches Kooperationsabkommen, welches die Durchsetzung der europäischen Normen in deren Rechtsräumen ermöglicht. Im DSA, der ursprünglich mit dem Fokus auf der Kontrolle von Social Media Plattformen erdacht wurde, bin ich der Meinung, dass man die Verschmelzung von Social Media und Online-Handel adaptieren muss. Artikel 13 DSA zum gesetzlichen Vertreter ist im Hinblick auf die Anforderungen nicht hinreichend konkret. Eine Erweiterung der Begriffsdefinition „Wirtschaftsakteur“ ist hier nötig, um die Plattformen selbst als Wirtschaftsakteur einzubeziehen.
Europa braucht keine neuen Gatekeeper, sondern eine konsequente Durchsetzung bestehender Regeln und gezielte Förderung eigener Digitalunternehmen. Wettbewerbsfähigkeit entsteht nicht allein durch Regulierung, sondern durch bessere Standortbedingungen, Risikokapital und eine strategische Industriepolitik. Nur so kann digitale Souveränität mehr sein als ein Schlagwort.
Stephan Tromp ist Digitalexperte und stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland (HDE).