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Standpunkte Grenzen der DSA-Kodizes zu Onlinewerbung

Julian Jaursch, Projektleiter bei Interface
Julian Jaursch, Projektleiter bei Interface Foto: Sebastian Heise

Bis Mitte Februar 2025 müssen laut Digital Services Act freiwillige Verhaltenskodizes zu mehr Transparenz bei Onlinewerbung entwickelt werden. Mit ihnen könnten bereits einige Übel, die Onlinewerbemärkte plagen, angegangen werden, meint Julian Jaursch vom Thinktank Interface. Zentral dafür wäre eine Ausweitung der Vorgaben über die Transparenz einzelner Anzeigen hinaus. Bei einem Minimalkompromiss müsse infrage gestellt werden, ob DSA-Verhaltenskodizes überhaupt nützlich sind.

von Julian Jaursch

veröffentlicht am 16.12.2024

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Die Vor- und Nachteile von Onlinewerbung sind inzwischen gut dokumentiert. Sachverständige aus der Industrie selbst, aus der Forschung, den Medien und der Zivilgesellschaft weisen seit Jahren auf mögliche Schäden für Einzelne und die Gesellschaft hin. Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Ein Vergleich über 115 Millionen US-Dollar wegen Datenschutzverletzungen. Die Einstufung von Menschen als „sehr arm“ anhand der Geschwindigkeit, mit der sie ihre Rechnungen bezahlen. Unbeabsichtigte Offenlegung geheimer militärischer Informationen. 215.000 Tonnen Kohlenstoffemissionen pro Monat in nur fünf Ländern. Eine Klage wegen angeblich wettbewerbswidrigen Verhaltens des größten Marktteilnehmers.

Jeden Tag werden Milliarden Onlineanzeigen geschaltet, die durch Transaktionen zwischen Werbetreibenden, Webseiten/Apps und anderen Werbetechnologieunternehmen („Ad tech companies“), die diese miteinander verbinden, entstehen. Angesichts dieses Ausmaßes mögen ein paar Datenschutzverletzungen und Wettbewerbsklagen nicht als große Sache erscheinen. Doch solch negative Auswirkungen auf Grundrechte und auch Märkte weisen auf strukturelle Schwächen der Onlinewerbebranche hin.

Ein Flickenteppich aus Selbstregulierung und Gesetzen

Das haben auch EU-Gesetzgeber:innen erkannt. Gesetze aus Verbraucher:innen-, Daten- und Wettbewerbsschutz berühren bereits Teile der Onlinewerbeindustrie. Daneben gibt es selbstregulatorische Maßnahmen. Es fehlt jedoch ein spezialisierter, umfassender Rechtsrahmen. Vor diesem Hintergrund gibt es nun Diskussionen, ob eine bessere Durchsetzung oder sogar neue Regeln zu Onlinewerbung nötig sind. Sowohl die Europäische Kommission als auch das Parlament befassen sich mit dem Thema. Zudem könnte sich ein angekündigter Digital Fairness Actunter anderem mit Tracking, Influencer:innen-Marketing und irreführenden Designpraktiken befassen.

Was der DSA zu den Verhaltenskodizes für Onlinewerbung sagt

Neben solchen möglichen langfristigen Reformen gibt es einen kurzfristigen Anknüpfungspunkt zum Umgang mit Onlinewerbung: die freiwilligen Verhaltenskodizes, die laut Digital Services Act (DSA) entstehen sollen. Die Werbeindustrie muss diese Kodizes gemeinsam mit der Kommission und zivilgesellschaftlichen Gruppen nächstes Jahr entwickeln.

Der Schwerpunkt soll laut DSA auf Transparenz bei „Ad labels“ (also der Kennzeichnung von Werbeanzeigen), „Ad repositories“ (also Datenbanken, in denen Plattformen Onlineanzeigen sammeln) und der Monetarisierung von Daten im Onlinewerbegeschäft liegen. Dieser eher eng gefasste Ansatz zielt darauf ab, Mängel bei der Transparenz von Onlinewerbung zu beheben, und nicht auf einige der strukturellen Fragen des Datenschutzes oder des Wettbewerbs.

Chancen und Grenzen der DSA-Verhaltenskodizes

Der größte Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass die Verhaltenskodizes zu einer Ausweitung der bestehenden Regeln führen könnten: Die Kodizes könnten Ad-Tech-Unternehmen einbeziehen, die nicht in den Anwendungsbereich des DSA fallen. Diese Unternehmen – wie etwa Ad Exchanges, die eine Vermittlerrolle bei der Bereitstellung von Onlinewerbung spielen – wären jedoch nicht direkt an den DSA gebunden. Dies zeigt eine Schwäche des Ansatzes: Freiwillige Selbst-/Koregulierung ohne Sanktionsmechanismen schafft wenig Anreize zur Einhaltung der Vorschriften.

Darüber hinaus hat der Fokus auf Transparenzthemen seine Grenzen. Transparenzmaßnahmen können zwar nützlich sein, aber sie helfen Verbraucher:innen, der Forschung und den Behörden nicht immer und automatisch: Menschen könnten von einer Flut an Informationen überwältigt sein und haben oft kaum Möglichkeiten und Kapazitäten, diese Informationen auch zu nutzen, indem sie zum Beispiel einstellen, welche Daten für Werbung verwendet werden.

Trotz dieser Einschränkungen könnten die Kodizes Verbesserungen für Verbraucher:innen und Unternehmen bewirken. Dies kann jedoch nur funktionieren, wenn sich die Branche, die Kommission und die Zivilgesellschaft auf weitreichende Verpflichtungen zur „Monetarisierung von Daten“ einigen. Dieses Konzept wird ausdrücklich als Bestandteil der Kodizes erwähnt, ist aber im DSA nicht definiert. Nur wenn dieses Konzept weit ausgelegt wird, können die Werbekodizes zu Verbesserungen bei der Transparenz führen. Im Gegensatz dazu ist der potenzielle Nutzen von Kodizes für den Umgang mit Werbelabels und -datenbanken geringer. Es gibt bessere Möglichkeiten außerhalb des DSA, Schwachstellen in diesen Bereichen zu beheben, zum Beispiel im Rahmen der Verordnung zur Transparenz politischer Werbung.

Möglichkeiten, um Transparenz zu Onlinewerbemärkten mit den Kodizes zu verbessern

Bei einer weiten Auslegung von Datenmonetarisierung könnten sich die Kodizes auf die Transparenz des Onlinewerbemarkts an sich konzentrieren, anstatt nur auf die Transparenz einzelner Anzeigen. Das würde anerkennen, dass in einer heute fast standardmäßig programmatischen (also automatisierten) Werbekampagne alle beteiligten Unternehmen Daten nutzen, um Geld zu verdienen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Plattformen, Apps und Webseiten sammeln und nutzen verschiedene Arten von Daten, indem sie das Onlineverhalten von Menschen und andere Datenpunkte wie Standorte tracken, um deren Interessen abzuschätzen und sie in Profilgruppen einzuordnen. Werbetreibende verfügen über Daten zu Zielgruppen und wollen möglichst genaue Messpunkte für ihre Kampagnen. Bei Auktionen für Onlinewerbung basiert der gesamte Echtzeit-Gebotsprozess auf den von der Angebots- und Nachfrageseite bereitgestellten Daten.

Eine Ausweitung über die Transparenz einzelner Anzeigen hinaus wäre eine entscheidende Verbesserung, die DSA-Werbekodizes bieten könnten. Einige der Verpflichtungen, die die Kodizes dazu umfassen könnten, sind eine erweiterte Transparenz der Lieferkette (dazu gibt es bereits technische Ansätze aus der Industrie, die verbessert werden könnten), „know-your-business-customer“-Regeln wie sie beispielsweise aus einigen Finanzbranchen bekannt sind und, gerade für Plattformen, mehr Transparenz dazu, wie Werbeeinnahmen etwa mit „Content Creators“ geteilt werden.

Es ist unklar, ob ein recht ehrgeiziger Ansatz zur Transparenz der Datenmonetarisierung realistisch ist. Die Interessen von Verlagen, Plattformen und Werbetreibenden, die jeweils eine starke Lobby in Brüssel haben, sind oft gegensätzlich. Ein Kompromiss könnte daher schwierig zu finden sein und, was noch gravierender ist, es besteht die Gefahr, dass die Interessen der Verbraucher:innen auf der Strecke bleiben.

Die Kodizes als ein erster Schritt zu weiteren Maßnahmen

Wenn es nur eine Einigung auf Minimalkompromisse gibt, muss in Frage gestellt werden, ob DSA-Verhaltenskodizes für Onlinewerbung überhaupt nützlich sind und angestrebt werden sollten. Es ist nicht sinnvoll, Kodizes um der Kodizes willen zu entwickeln. In Anbetracht der begrenzten Ressourcen und des begrenzten Personals der Beteiligten wäre dies sogar verschwenderisch. Stattdessen könnten sich Behörden und Gesetzgeber früher darauf konzentrieren, die Durchsetzung bestehender Gesetze zu verbessern, beziehungsweise neue Gesetze in Erwägung zu ziehen.

Unter anderem die bevorstehende Evaluierung des DSA und ein mögliches Gesetz zur digitalen Fairness eröffnen Möglichkeiten, die Durchsetzung und gesetzgeberische Maßnahmen über Verhaltenskodizes hinaus in Betracht zu ziehen. So sollte beispielsweise für eine stärkere Durchsetzung des DSA (zum Beispiel hinsichtlich der Einschränkung bestimmter Datennutzungen für Onlinewerbung) und des EU-Datenschutzrechts (etwa in Bezug auf Datenminimierung und Zweckbindung oder im Vorgehen gegen Datenbroker) gesorgt werden.

Idealerweise bietet die Entwicklung von DSA-Onlinewerbekodizes einen interdisziplinären Rahmen, um darüber nachzudenken, wie Kodizes, aber eben auch eine stärkere Rechtsdurchsetzung und gegebenenfalls neue Regulierungen gemeinsam dazu beitragen könnten, einige der Übel, die Onlinewerbemärkte plagen, anzugehen.

Julian Jaursch arbeitet beim gemeinnützigen Thinktank Interface (ehemals Stiftung Neue Verantwortung) vor allem zu Plattformregulierung. Er hat zu den DSA-Verhaltenskodizes zu Onlinewerbung ein Policy-Papier verfasst, das heute erscheint.

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