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Digitalisierung & KI

Standpunkte Ist der DSA der goldene Weg zu einem sicheren Netz für User?

Philipp Graf Montgelas ist CEO bei der Online-Plattform Gutefrage.net
Philipp Graf Montgelas ist CEO bei der Online-Plattform Gutefrage.net Foto: Magnus Glans

Das Ziel neuer EU-Gesetze zur Plattformregulierung, allen voran des Digital Services Act, das Internet zu einem sichereren Raum mit mehr Wettbewerb zu machen, unterstützt Philipp Graf Montgelas. Doch sieht der CEO von Gutefrage.net bei der konkreten Ausgestaltung einige Probleme, unter anderem zu viel Bürokratie und Vorteile für große Anbieter. Welche Verbesserungen er vorschlägt, erläutert er im Standpunkt.

von Philipp Graf Montgelas

veröffentlicht am 03.04.2024

aktualisiert am 04.04.2024

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Der Digital Services Act (DSA) gilt zusammen mit dem Digital Markets Act (DMA) als eines der wichtigsten digitalpolitischen Regelwerke in Europa – eine Art Grundgesetz für das Internet, das für weniger Hass und Hetze im Netz sorgen und die Marktmacht großer Plattformen begrenzen soll. Das Ziel ist, klare und einheitliche Regeln für digitale Plattformen und Dienstleister auf EU-Ebene festzulegen, um die Sicherheit und Verantwortlichkeit im digitalen Raum zu stärken – und das ist gut so. Bereits seit August 2023 müssen besonders große Plattformen und Suchmaschinen mit mehr als 45 Millionen Nutzern erste Vorgaben, wie neue Transparenzregeln und Beschwerdemöglichkeiten, umsetzen. Seit Februar 2024 gelten ähnliche Regeln auch für kleinere Unternehmen.

Nun wird das EU-Gesetz im Rahmen des Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) in nationales Recht überführt. Das DDG legt die konkreten rechtlichen Rahmenbedingungen fest, die für digitale Dienste und Plattformen in Deutschland gelten sollen. An dieser Stelle ist zu beachten, dass das DDG als nationales Gesetz die Bestimmungen des DSA zwar berücksichtigt, jedoch auch spezifische nationale Anpassungen ermöglicht. Es dient somit als Brücke zwischen den europäischen und nationalen Vorgaben.

Stärkung von Content-Moderation und Community-Management

Deutschland hinkt mit der Einführung des DDG allerdings deutlich hinterher, was sowohl für Verbraucher als auch für Plattformen frustrierend ist. Während der DSA bereits auf EU-Ebene in Kraft getreten ist, muss das DDG noch vom Bundesrat bestätigt werden. Es bleibt zu hoffen, dass die nationale Umsetzung möglichst schnell über die Bühne geht und sowohl Nutzer als auch Plattformen Ansprechpartner erhalten, an die sie sich wenden können. Rein handwerklich gesehen ist das DDG gut gemacht und beruht auf einer soliden Ausarbeitung. Wie die praktische Umsetzung vonstattengehen soll, ist allerdings fraglich. Sinnvoll ist aus unserer Sicht eine Übergangsfrist für Unternehmen, bis letzte Fragen von Seiten der Politik final geklärt sind.

Unsere Erwartungen sind hoch: Der DSA soll dazu führen, dass Plattformen, die bisher wenig in Content-Moderation und Community-Management investiert haben, diese Bereiche nun stärken. Durch staatliche Richtlinien können potenzielle „schwarze Schafe“ identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden, falls sie sich nicht an die Regeln halten. Dies ist insbesondere für die Nutzer von Vorteil, da eine verbesserte Moderation und ein optimiertes Community-Management zu einer sichereren und angenehmeren User Experience führt und das Vertrauen in die Plattformen stärkt.

Überbürokratisierung und mögliches Plattformsterben

Jedoch birgt der DSA auch einige Nachteile. Ein Hauptkritikpunkt ist die drohende Überbürokratisierung. Die neuen Regulierungen führen dazu, dass Plattformen mit einer Vielzahl von bürokratischen Anforderungen konfrontiert werden, was ihre Flexibilität und Innovationsfähigkeit enorm beeinträchtigt.

Regeln sind notwendig, wenn gegen gesellschaftliche Standards verstoßen wird. Die Zusammenarbeit von Unternehmen wie X (und teilweise auch anderen Größen im digitalen Geschäft) mit den Behörden zeigt deutlich den Bedarf an einem Regelwerk. Allerdings gilt dieses Regelwerk auch für kleinere und mittlere Unternehmen, die einen Großteil der Vorschriften umsetzen müssen – unabhängig vom Content der Plattform. Es betrifft also sowohl die Koch-Community als auch das Schallplattenforum, sofern sie eine gewisse Anzahl von Mitarbeitern haben. Hier fehlt es an Fingerspitzengefühl.

Die Zahlen sprechen für sich: Über drei Quartale haben Gutefrage-Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen an der konzeptionellen und technischen Umsetzung des DSA, der Schulung der Moderatoren und der Kommunikation mit den Nutzern gearbeitet – insgesamt 3.500 bis 4.000 Stunden. Einige Regelungen sind aus unserer Sicht übermäßig bürokratisch, wie beispielsweise der jährliche Transparenzbericht, der unverhältnismäßig viel Zeit in Anspruch nimmt und für den sich wahrscheinlich nur eine Handvoll Nutzer interessiert. Außerdem ist anzumerken, dass einige Plattformen, die großen Wert auf gute Moderation und modernes Community Management legen, einen Großteil der geforderten Aspekte bereits seit Jahren umsetzen.

Wie reagieren Nutzer auf die Änderungen?

Der DSA schreibt vor, dass illegale oder unangemessene Inhalte leichter online zu melden sein müssen. Obwohl viele Plattformen bereits zuvor diese Funktion unbürokratisch anboten, lag es weitgehend im Ermessen der Unternehmen, wie sie mit den Meldungen umgingen. Der DSA zielt darauf ab, klare Regeln festzulegen und verlangt eine sorgfältige Prüfung der Meldungen durch die jeweilige Plattform. Dies mag theoretisch ein gutes Konzept sein, doch die Praxis sieht anders aus: Der Meldeprozess ist deutlich bürokratischer geworden.

Bei strafrechtlich relevanten Meldungen muss nun der genaue Paragraf angegeben werden, statt wie früher ein einfacher Klick beim Melden auf den Richtlinienpunkt „rechtlicher Grund“. Unsere Nutzer finden das umständlich und mühsam. Zudem wird das transparente Informieren über jede Meldung und Moderation zwar begrüßt, aber von vielen Nutzern auch als störend empfunden. Der Wunsch, die Benachrichtigungen abzustellen, wurde häufig geäußert. Zudem ist das Verständnis dafür, etablierte und funktionierende Prozesse auf langjährig bestehenden Plattformen zu ändern, naturgemäß gering.

Wird der DSA seinen elementaren Zweck tatsächlich erfüllen?

Das primäre Ziel des DSA, des DDG und des DMA besteht darin, digitale Dienstleister zu mehr Schutz und Transparenz für Verbraucher zu verpflichten und Hass sowie Hetze im Netz entschieden einzudämmen. Dies ist zweifellos ein wichtiges Anliegen, und grundsätzlich begrüßen wir den rechtlichen Vorstoß. Dennoch erscheint es unwahrscheinlich, dass durch die neuen Vorschriften weniger Hate Speech verbreitet wird. Der DSA schreckt Hetzer nicht ab, da bereits vor dem DSA Straftaten von Plattformen und Nutzern zur Anzeige gebracht wurden.

Stattdessen schwebt er wie ein Damoklesschwert über den Plattformen, die bei Nichteinhaltung der Regularien mit empfindlichen Strafen rechnen müssen. Diese Strafen stellen insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen eine erhebliche Belastung dar, was dazu führen könnte, dass nationale und europäische Anbieter aus dem Netz verschwinden und der DSA letztlich den großen Playern dabei hilft, ihre Marktmacht weiter auszubauen, sicherlich ein ebenso ungewollter wie dramatischer (Neben)effekt. Zudem dürften die komplexen Meldeprozesse zu einer Verringerung der Meldungen führen, was dem ursprünglichen Ziel der EU zuwiderläuft.

Dauerhafte Round Tables und Bußgelder als Ultima Ratio

Was wir uns wünschen, ist ein dauerhafter Round Table, an dem der Digital Services Coordinator (DSC) sowie Vertreter kleinerer und mittlerer Plattformen teilnehmen. Es ist wichtig, dass auch Experten aus den Bereichen Moderation und Community Management bei solchen regelmäßigen Treffen vertreten sind, da ihr Fachwissen und ihre Erfahrungen äußerst wertvoll für die Arbeit des DSC sind. Zudem sollte es einen direkten Ansprechpartner für kleinere und mittlere Plattformen geben, um einen unmittelbaren Austausch mit dem DSC zu ermöglichen. Dabei sollte stets der Kontext einer Moderationsentscheidung berücksichtigt werden, beispielsweise das Vorhandensein versteckter Anspielungen oder frühere Interaktionen mit dem betreffenden Nutzer.

Die Verhängung von Bußgeldern sollte das letzte Mittel sein, da dieser Schritt kleine Plattformen in ihrer Existenz bedroht. Wir hoffen zudem, dass auch die Stimmen der Nutzer und Communities in den sozialen Medien gehört werden, da die digitalen Räume letztlich für sie geschaffen werden.

Philipp Graf Montgelas ist CEO bei Gutefrage.net und „highfivve“. Er verfügt über langjährige, europaweite Erfahrung in den Bereichen Growth, Business Development, Marketing und Vertrieb in Digitalunternehmen.

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