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Standpunkte Wird Europa den DSA in Verhandlungen mit Trump opfern?

Lukas Seiling, Koordinator #DSA40 Data Access Collaboratory (links), Jakob Ohme, Forschungsgruppenleiter am Weizenbaum-Institut (rechts), und Claes Holger de Vreese, Professor an der Universität Amsterdam
Lukas Seiling, Koordinator #DSA40 Data Access Collaboratory (links), Jakob Ohme, Forschungsgruppenleiter am Weizenbaum-Institut (rechts), und Claes Holger de Vreese, Professor an der Universität Amsterdam Foto: Seiling: Katharina Stefes Ohme: privat

Die EU steht vor der Herausforderung, den Digital Services Act gegen den Widerstand großer Online-Plattformen durchzusetzen: Der Rechtsakt könnte zu einem heißen Thema in geopolitischen Verhandlungen werden. Um die digitale Integrität zu sichern, braucht es dringend entschiedenes Handeln.

von Jakob Ohme, LK Seiling und Claes H. de Vreese

veröffentlicht am 26.03.2025

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Stellen Sie sich Folgendes vor: Anbieter sehr großer Online-Plattformen (VLOPs) ziehen sich von den Verpflichtungen zurück, die sie zur Bekämpfung von Hassreden, Desinformation und anderen systemischen Risiken eingegangen sind, ignorieren die Anforderungen des europäischen Digital Services Act (DSA) und entziehen sich internationaler Regulierung. Dies hätte unregulierte Plattformen zur Folge, die weiter ungebremst Daten- und Meinungsmacht anhäufen und staatlichen und wirtschaftlichen Einfluss immer enger miteinander verflechten.

Europäische Gesetzgeber, die Zivilgesellschaft und Wissenschaftler:innen haben ein gutes Jahrzehnt an einem Regulierungsrahmen gearbeitet, der die Macht der Plattformen einschränkt, Risiken reduziert und das demokratische Defizit, das globale Plattformbetreiber für die Gesellschaft darstellen, versucht auszugleichen.

Der Datenzugang gemäß DSA Artikel 40 ist ein prominentes Beispiel: Dieser kann Forschern helfen, systemische Risiken für Demokratien zu erkennen, und verspricht demokratische Verhältnisse in Verbindung mit einer erfolgreichen und regulierten, fairen sowie transparenten Plattformökonomie zu gewährleisten.

Obwohl der Zugang zu öffentlichen Daten bereits für alle Plattformen gilt, werden Forscher erheblich behindert, indem die Plattformen die Vorschriften nicht oder nur bedingt einhalten. Die Europäische Kommission hat zwar bereits Verfahren gegen mehrere VLOPs eingeleitet, aber die Durchsetzung erfolgt nur langsam. Der Ausgang ist ungewiss. Der Zugang zu nicht-öffentlichen Daten gemäß Artikel 40.4 – ein noch schärferes Schwert im Kampf gegen Risiken wie Desinformation, potenziell parteiische Algorithmen und Bedrohungen des digitalen Wohlergehens – wartet aktuell noch auf einen delegierten Rechtsakt. Während sich Forscher:innen die Veröffentlichung dieses Akts herbeisehnen, steigen Hoffnungen und Befürchtungen im gleichen Maße. Besonderes Kopfzerbrechen bereitet die Sorge, dass die Regulierung nicht energisch genug durchgesetzt werden könnte, was wiederum negative Folgen für effektive Forschung haben würde.

Die meisten Teile des DSA sind bereits in Kraft: Verzeichnisse aller geschalteten Anzeigen und Datenbanken aller Moderationsentscheidungen wurden eingerichtet, Trusted Flaggers wurden benannt und die Kommission hat zehn Verfahren eingeleitet, um mögliche Verstöße gegen den DSA zu untersuchen. Allerdings gab es abgesehen von den Pflichten, zusätzliche Informationen bereitstellen zu müssen, nicht viele Ergebnisse, die sich auf US-Plattformen auswirkten. Aufbewahrungsanordnungen wurden an X und Tiktok erlassen, und Tiktok musste sein Lite-Belohnungsprogramm in der EU stoppen. Vor diesem Hintergrund muss die neue Europäische Kommission vor allem durchsetzen, durchsetzen und durchsetzen.

Das ist nicht selbstverständlich: Trotz gegenteiliger Aussagen vor wenigen Jahren, haben die US-Plattformen bereits deutlich gemacht, dass sie diese Form europäischer Regulierung ablehnen. Dabei haben sie es insbesondere auf den DSA abgesehen, die sie als Zensurversuch darstellen. Natürlich stimmt nichts davon.

Aber die Kombination aus den geopolitischen Herausforderungen und der Behauptung der Vereinigten Staaten, dass europäische Werte im Widerspruch zur Meinungsfreiheit stehen, hat die Durchsetzung des DSA für die EU zu einem heiklen Unterfangen gemacht. Mit fortgeschrittenen Verfahren zu möglichen DSA-Verstößen der X-Plattform, dessen nicht gewählter Milliardärseigentümer Elon Musk mittlerweile an der Seite des US-Präsidenten im Weißen Haus sitzt, sowie anderen Plattformen, die dem Trump-Administration öffentlichkeitswirksam die Treue geschworen haben, steht der DSA in der Gefahr, zu einem Faustpfand in geopolitischen Verhandlungen zu werden.

Es sind zwei Szenarien denkbar: Zum einen kann die Kommission die Durchsetzung der DSA-Vorschriften entschlossen vorantreiben, die Fälle gegen X, Meta und Tiktok abschließen, und falls sie Beweise für Verstöße finden, die Plattformen gegebenenfalls mit einer Geldstrafe abstrafen. Aber was ist, wenn die Plattformen sich nicht daran halten? Die EU würde Zeit in langwierigen Gerichtsverfahren verlieren, und am Ende könnten die Plattformen – wie im DSA vorgesehen – gemäß Artikel 82 (1) aus dem europäischen Markt ausgeschlossen werden. Der Widerstand in der Bevölkerung auf einen derartigen Schritt wäre jedoch enorm und könnte die EU in innenpolitische Schwierigkeiten bringen. Den europäischen Bürgern:innen Tiktok und Facebook wegzunehmen, hat das Potenzial für einen stärkeren Reputationsverlust als die Regulierung von Gurkenformen in den 1980er Jahren.

Die andere Option: Die EU setzt den DSA nicht konsequent um und überlässt den Plattformen einen unregulierten Markt. In dieser düsteren Zukunft werden Plattformen noch weiter Meinungsmacht anhäufen und zur Erosion des öffentlichen Raums beitragen, sodass Widerstand gegen autokratische Verschiebungen, wie wir sie in mehreren Ländern beobachten, zunehmend schwerer wird.

Zwischen diesen Extremen kann man sich ein drittes, nicht viel besserer Szenario vorstellen: unausgewogene Durchsetzung. Politiker:innen sowohl in den USA als auch in der EU werden nicht müde ihr Interesse an der Minderung, wenn nicht gar kompletten Beseitigung, eines bestimmten Risikos zu betonen: die Bedrohung von Minderjährigen durch digitale Plattformnutzung – insbesondere wenn sich diese als Grund für die Verletzung von Grundrechten oder zur Ausgrenzung von Menschen außerhalb der heterosexuellen Kernfamilie instrumentalisieren lässt.

Es ist denkbar, dass die Kommission die Entfernung illegaler Inhalte zugunsten einer zu engen Durchsetzung des DSAs aufgibt, die sich hauptsächlich auf den vordergründigen Schutz von Minderjährigen bezieht. Solche Schritte hätten jedoch wohl weder auf Kinder und Jugendliche noch auf die Stabilität der Europäischen Union positive Auswirkungen, wenn dies bedeuten würde, dass eine Mehrzahl der Risiken unentdeckt und unbehandelt blieben. Das Gegenteil ist der Fall: Die Demokratie ist ein verletzlicher und schutzbedürftiger Teenager. Ein effektiver Umgang mit systemischen Risiken erfordert daher einen robusten zweigleisigen Ansatz, in dem die Wissenschaft mit einem breiten Verständnis systemischer Risiken zu Wissensgewinnung nutzen kann und somit auch die Grundlage für die Arbeit von Durchsetzungsbehörden liefert.

Was also tun? Die EU muss am DSA festhalten und ihn stärken. Der DSA ist nicht perfekt und nicht sofort in der Lage, uns gegen alle Bedrohungen zu schützen, die digitale Plattformen mit sich bringen. Damit ähnelt er in gewisser Weise der Europäischen Verteidigungsallianz: Zwar gibt es aktuell nicht genügend Ressourcen, um Europa zu verteidigen. Und der Zustand der Streitkräfte ist verbesserungswürdig. Dennoch ist es das Beste, was wir derzeit haben, und wenn die EU-Länder zusammenarbeiten, kann der DSA ein stärkerer Schutzschild sein, als sich viele aktuell vorstellen können.

Die Europäische Kommission muss den Digital Services Act weiterhin durchsetzen und schneller und entschlossener vorgehen. Im Moment steht viel auf dem Spiel für die territoriale und digitale Integrität Europas. Aus der Sicht von Organisationen der Zivilgesellschaft, NGOs, Wissenschaftlern und Regierungen, die lange daran gearbeitet haben, um den DSA Wirklichkeit werden zu lassen, ist es falsch, ihn als globalen Verhandlungsgegenstand bei geopolitischen Auseinandersetzungen zu verwenden.

Obwohl wir die Zukunft nicht vorhersehen können, so bleibt der DSA ein wertvoller Trumpf auf dem Verhandlungstisch. Selbst wenn wir vielleicht die europäischen Grenzen noch nicht verteidigen müssen, so sind wir bereits jetzt dabei, den demokratischen Diskurs, sachliche Informationen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu verteidigen. Der DSA unterstützt diese Bemühungen und ist ein wichtiger Bestandteil, um die europäische Integrität zu sichern.

Jakob Ohme leitet die interdisziplinäre Forschungsgruppe Digital News Dynamics am Weizenbaum-Institut, die den Einfluss und die Verbreitung von professionellem Journalismus auf digitalen Plattformen im Vergleich zu anderen Quellen wie Influencern oder Künstlicher Intelligenz untersucht.

Lukas Seiling ist seit Mai 2024 für die Koordination des #DSA40 Data Access Collaboratory, einem Kooperationsprojket zwischen der European New School of Digital Studies (ENS) und des Weizenbaum-Instituts, verantwortlich.

Claes Holger de Vreese ist Professor an der Universität Amsterdam mit einem Schwerpunkt auf KI, Medien und Demokratie. Außerdem hat er den Lehrstuhl für politische Kommunikation an der Amsterdam School of Communication Research an der Universität inne.

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