Standpunkte Was Geschlechtergerechtigkeit mit digitaler Souveränität zu tun hat

Wenn SAP, Telekom und andere ihre Gleichstellungsinitiativen beenden, dann ist das nicht nur ein Rückschlag für gesellschaftliche Errungenschaften, findet Jutta Horstmann. Die deutschen Unternehmen machten sich aus Opportunismus gemein mit dem US-amerikanischen Unrechtsstaat. Dieser Mangel an Haltung, solle uns ein Lehrstück sein – schließlich vertrauten wir diesen Unternehmen unsere privatesten Daten, unsere digitale Infrastruktur und unsere demokratischen Prozesse an.
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Jetzt kostenfrei testen„In zwanzig Jahren werden Frauen gleichen Lohn für gleiche Arbeit erhalten und sie werden (durch die Legalisierung der Abtreibung) frei über ihren Körper verfügen können.“ Dies schrieb Susan Sontag vor über 50 Jahren. Es könnte auch ein Zitat von heute sein, denn schrecklicher Weise hat sich seitdem viel zu wenig an den beschriebenen Umständen geändert.
Und so schätzt auch der Global Gender Gap Report 2024, dass beim aktuellen Veränderungstempo Geschlechtergerechtigkeit in 134 Jahren erreicht ist. 134 Jahre!!
Man muss sich dies – wenn Mann nicht selbst betroffen ist – vor Augen führen, um zu verstehen, wie absolut inakzeptabel es ist, wenn SAP (und T-Mobile, Aldi usw.) jetzt die betrieblichen Gleichstellungs-Initiativen (DEI) beenden.
Fortschritt vieler Generationen zurückgedreht
Denn jede einzelne dieser Maßnahmen zählt, macht einen Unterschied, ist das Ergebnis des Kampfes vieler Generationen. Und sie entscheidet nicht nur über die Karriere, Teilhabe und gerechte Bezahlung, sondern auch über die körperliche Unversehrtheit – siehe #metoo – von 50 Prozent der Bevölkerung.
Die Erfahrung, dass diese so hart erkämpften Errungenschaften immer noch nicht selbstverständlich sind, sondern von einem Tag auf den anderen wieder verloren gehen können – abgeschafft, um weiterhin Geschäfte mit dem amerikanischen Unrechtsstaat machen zu können – lässt mich sprachlos zurück. Und macht Angst davor, was als nächstes kommt.
Die Trump’schen Executive Orders rollen den gesellschaftlichen Fortschritt der letzten Jahrzehnte zurück. Sie verletzen Menschenrechte und ignorieren internationale Regularien. Ihnen zu folgen, bedeutet sich gemein zu machen mit dieser Politik.
Unternehmen unterwerfen sich Unrechtsstaat
Ja, mag man einwenden, das ist nun mal Kapitalismus. SAP, Telekom und natürlich die amerikanischen Big-Tech-Unternehmen – sie folgen diesen Anweisungen, um weiterhin Geschäfte im lukrativen US-Markt zu machen. Aber Kapitalismus war auch mal Kinderarbeit, 80-Stunden-Woche und verseuchtes Grundwasser.
Wir sind als Gesellschaft heute weiter und verstehen – spätestens seit der historischen Katastrophe des deutschen Nationalsozialismus und dessen Unterstützung durch deutsche Firmen - dass Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung tragen: Corporate Social Responsibility.
Die USA unter Trump sind eine protofaschistische Kleptokratie. Wer mit diesem System Geschäfte macht, statt zu protestieren und sich zu distanzieren, macht sich damit gemein. Wer glaubt, dass es„ so schlimm schon nicht werden wird“, ist uninformiert oder geradezu sträflich naiv.
Auch wäre es vermessen, zu denken, dass die deutschen Unternehmen ihre vorauseilende Unterwürfigkeit auf ihre Niederlassungen in den USA beschränken würden.
Ohne monetäre Inzentivierung keine Geschlechtergerechtigkeit
Stattdessen beendet der deutsche Vorstand des in Deutschland ansässigen Unternehmens SAP die eine entscheidende Maßnahme, die zu echter Gleichstellung führt: Die Bindung der Vorstands-Boni an die Kennzahl “Frauen in Führungspositionen”.
Doch nur monetäre Inzentivierung führt dazu, dass ein solches Ziel von allen ernst genommen und aktiv umgesetzt wird. Fehlt sie – und sie fehlt jetzt auch in Deutschland! – dann sind alle verbleibenden Maßnahmen zahnlos und nicht mehr als Lippenbekenntnisse.
Dieses Verhalten – dieses Fehlen von Haltung! – muss uns ein Lehrstück sein. Denn wir sprechen hier von Unternehmen, denen wir unsere privatesten Daten, unsere digitale Infrastruktur und unsere demokratischen Prozesse anvertraut haben.
Ob Microsoft – siehe Sperrung des Accounts des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs – oder SAP, sie unterwerfen sich dem US-amerikanischen Unrechtsstaat. Microsofts „Commitments“ wirken vor diesem Hintergrund genauso fadenscheinig wie die Vermarktung der Delos-Cloud als „souverän“.
Und es handelt fahrlässig, wer weiterhin Technologien dieser Anbieter beschafft, nutzt, oder bestehende Verträge verlängert.
Die Weichenstellungen müssen jetzt – heute – vorgenommen werden, und nicht erst, wenn Daten nicht mehr geschützt werden können, Verwaltungsprozesse nicht mehr funktionieren und Regierungsorgane nicht mehr kommunizieren können. Wenn unsere Bildungseinrichtungen nicht mehr funktionieren, zentrales Wissen in Datenbanken nicht mehr abgefragt werden kann, Kl-Systeme Desinformation verbreiten.
Einzige Alternative liegt in offenen Standards und Formaten
Das Beispiel SAP zeigt, dass eine Lösung à la „Buy German“ oder „Buy European“ nicht ausreicht. In einer globalisierten Wirtschaft ist die Abhängigkeit vom amerikanischen Markt und dessen Regierung immer gegeben.
Daher hat eine konsequente Open-Source-Strategie heute nichts mehr zu tun mit Idealismus – vielmehr sind offene Technologien die einzige verbliebene Möglichkeit, um sich der Einflussnahme der amerikanischen Regierung zu entziehen.
Nur offener Quellcode beendet den Vendor Lock-In und ermöglicht Wechselfähigkeit zwischen Anbietern. Nur offene Standards und Formate ermöglichen den einfachen Austausch, Transport und die Weiterverarbeitbarkeit von Daten zwischen verschiedenen Systemen.
Und: Nur durch die Verwendung bereits vorhandener Open-Source-Lösungen – die für nahezu den gesamten Tech Stack vorliegen! – und durch das Heben des Potentials der internationalen Kollaboration im Open-Source-Ökosystem, um etwaige Lücken zu schliessen, werden wir die notwendige Geschwindigkeit erzielen, um uns aus den vorhandenen Abhängigkeiten zu lösen.
Die neue deutsche Bundesregierung muss daher nun so schnell wie möglich den Anspruch des Koalitionsvertrags erfüllen: „Wir sorgen für unsere digitale Souveränität. Wir definieren Ebenen übergreifend offene Schnittstellen, offene Standards und treiben Open Source mit den privaten und öffentlichen Akteuren im europäischen Ökosystem gezielt voran“.
Der Weg ist klar – nun muss er konsequent gegangen werden.
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