Am Dienstag um 5.15 Uhr meldete der Europäische Rat weißen Rauch. Nach einem der längsten EU-Gipfel der Geschichte stand die Einigung: Hilfsgelder in Höhe von 750 Milliarden Euro und der Finanzrahmen (Haushalt) für 2021 bis 2027 in Höhe von 1074 Milliarden Euro. Der Löwenanteil der Hilfsgelder – 672 Milliarden Euro – soll über eine sogenannte Aufbau- und Resilienzfazilität abgewickelt werden. Diese Einigung ist historisch, aber die Zustimmung des Europäischen Parlaments steht noch aus. In einer ersten Reaktion hat das Parlament bereits deutlich gemacht, dass seine Zustimmung kein Selbstläufer sei und von einer stärkeren Zukunftsausrichtung der EU-Ausgaben abhänge. Die Verhandlungen können hart werden. Es fehlt zudem die Umsetzung in EU-Recht und die Ratifikation des Finanzrahmens durch die 27 Mitgliedsstaaten.
Aus Sicht der Klimapolitik enthalten die Beschlüsse des Europäischen Rates einige positive Elemente. Der Rat bestätigt die Anhebung des EU-Klimaziels für 2030. Er legt fest, dass das neue 2030-Ziel bis Ende des Jahres beschlossen sein soll. EU-Ausgaben sollen dem Ziel der EU-Klimaneutralität bis 2050, dem neuen 2030-Ziel und den Zielen des Pariser Abkommens entsprechen. Sie sollen zudem mit dem „no harm“-Prinzip vereinbar sein, sprich es sollen keine Maßnahmen finanziert werden, die das Klima schädigen.
An vier Stellen muss nachgebessert werden
Trotz dieser Erfolge gibt aus Sicht der Klimapolitik Verbesserungsbedarf. Hinsichtlich der Aufbau- und Resilenzfazilität sind es vor allem vier Punkte, die im weiteren Verfahren verbessert werden sollten.
Der erste Punkt: Um EU-Hilfsgelder aus der Aufbaufazilität zu erhalten, müssen Mitgliedsstaaten sogenannte Aufbau- und Resilienzpläne vorlegen. In diesen Plänen legen die Mitgliedsstaaten ihre Reform- und Investitionsagenda für die Jahre 2021 bis 2023 fest. Die Kommission prüft die Pläne. Die Kriterien für diese Prüfung hat der Europäische Rat zum Nachteil des Klimaschutzes verändert. Im Vorschlag der Kommission von Ende Mai hieß es, die Pläne müssten insbesondere auch im Einklang mit dem „grünen und digitalen Wandel“ stehen. Der Europäischen Rat will dagegen, dass die Schaffung von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum sowie die Stärkung von wirtschaftlicher und sozialer Widerstandsfähigkeit die „höchste Punktzahl“ bei der Bewertung der Pläne erhalten. Erst dann folgt, dass ein effektiver Beitrag zum „grünen und digitalen Wandel“ auch eine Voraussetzung für eine positive Bewertung sei.
Der zweite Punkt: Geht es nach dem Europäischen Rat, müssen 70 Prozent der aus der Aufbaufazilität gewährten Zuschüsse in den Jahren 2021 und 2022 gebunden werden, die restlichen 30 Prozent bis Ende 2023. Es entspricht dem Zweck von Konjunkturpaketen, Geld schnell auszugeben. Allerdings gibt es hier ein klimapolitisches Problem: Viele Investitionen in den Klimaschutz brauchen Zeit. Planung, Vergabe und Genehmigungen können nur begrenzt beschleunigt werden. Es ist nicht leicht, gigantische Summen schnell und sinnvoll auszugeben, zumal für komplexe Klimaschutzmaßnahmen. Die Kommission hat vorgeschlagen, dass die Aufbaupläne einen Zeitrahmen von vier Jahren haben, was ein sinnvollerer Zeitraum ist.
Der dritte Punkt: Eine große Schwäche der Beschlüsse des Europäische Rates ist, dass das Europäische Parlament bei der Bewertung und Verteilung der Hilfsgelder keine eigene Rolle spielt. Dies ist ein Problem für die Demokratie in der EU: Das einzig direkt gewählte Organ der EU soll bei der Verteilung von Hunderten von Milliarden Euro und den damit verbundenen politischen Entscheidungen nicht direkt beteiligt sein.
Die fehlende Beteiligung des Parlaments ist aber auch ein Problem für den Klimaschutz. Denn das Parlament hat in den meisten klimapolitischen Diskussionen eine ambitioniertere Position als Rat oder Kommission. Hinzu kommt: Der Europäische Rat will, dass der Finanzministerrat die Kommissionsbewertung der Aufbaupläne billigt und dass der EU Wirtschafts- und Finanzausschuss zur Umsetzung der Aufbaupläne Stellung bezieht. Der EU Wirtschafts- und Finanzausschuss setzt sich aus Vertretern der Finanzministerien, der Kommission und der EZB zusammen. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Bewertung der Aufbaupläne vor allem aus Sicht der Finanz- und Wirtschaftspolitik erfolgt. Auch wenn der Gegensatz zwischen Finanz- und Wirtschaftspolitik und Klimaschutz ein alter Hut ist, fehlt in diesem System eine starke klimapolitische Stimme.
Delegierter Rechtsakt statt Durchführungsrechtsakt
Dieses Problem kann dadurch gelöst werden, dass die Kommission mit einem sogenannten delegierten Rechtsakt die Aufbaupläne der Mitgliedsstaaten bewertet, nicht mit Durchführungsrechtsakten wie vom Europäischen Rat vorgesehen. In einem System mit delegiertem Rechtsakt kann das Parlament befugt werden, ein Veto gegen die Genehmigung von Plänen der Mitgliedsstaaten einzulegen. Eine andere, aber schlechtere Variante wäre, dass das Europäische Parlament den Europäische Rat auffordern kann, Aufbaupläne einzelner Mitgliedsstaat und deren Umsetzung zu prüfen – mit der Folge, dass die Auszahlung von Hilfsgeldern bis zu einem positiven Beschluss des Rates suspendiert ist. Dieses Recht will der Europäische Rat jedem einzelnen Mitgliedsstaat einräumen. Es ist merkwürdig, dass ein Mitgliedsstaat die Auszahlung von Mitteln durch die Anrufung des Europäischen Rates suspendieren können soll, nicht aber das Parlament.
Der vierte Punkt: Der Europäische Rat hat beschlossen, dass 30 Prozent des EU-Haushalts und der EU Hilfsgelder dem Klimaschutz dienen sollen. Für Klimaschutzzahlungen aus der Aufbaufazilität wären das bis zu 93 Milliarden in Zuschüssen und 108 Milliarden Euro in Krediten. Dies ist eine positive Entwicklung, zumal die Kommission im Mai nur 25 Prozent für Klimaschutz vorgeschlagen hatte. Es ist auch positiv, dass der Europäische Rat EU-Ausgaben an das „no harm“ Prinzip knüpfen will. Trotz dieser Fortschritte bleiben diese beiden Punkte wichtige Baustellen.
Damit das Ziel für Klimaschutzausgaben wirken kann, müssen belastbare Kriterien für die Einordnung solcher Ausgaben festgelegt werden. Mit ihrer Taxonomie-Verordnung und Kriterien nach dem Just Transition Fund hat die EU bereits robuste Regeln für die klimapolitische Bewertung von Ausgaben. Diese Regeln sollten auch für die Umsetzung des Ausgabenziels für den Klimaschutz gelten. Um das „no harm“-Prinzip wirksam zu machen, sollte die EU Negativlisten festlegen. Diese Listen enthalten Maßnahmen, die künftig von einer Förderung ausgeschlossen sind: Keine Förderung für die Luftfahrt, Verbrennungsmotoren und Öl,- Gas- und Kohleinfrastruktur.