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Energie & Klima

Standpunkte CO2-Entnahmetechnologien müssen in den Emissionshandel

René Haas, Gründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups NeoCarbon
René Haas, Gründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups NeoCarbon Foto: René Haas, Gründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups NeoCarbon

Ohne die Entnahme von CO2 aus der Luft sind Klimaziele für viele Industrien nicht zu erreichen, argumentiert René Haas. Aber damit das noch sehr teure Verfahren wirtschaftlich werden kann, muss der Handel mit CO2-Entnahme-Zertifikaten durch Regulierung etabliert werden, fordert der Gründer des Direct-Air-Capture-Start-ups NeoCarbon.

von René Haas

veröffentlicht am 21.03.2024

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Derzeit besteht eine große Diskrepanz zwischen dem Vertrauen in und der Hoffnung auf Carbon Dioxide Removal-Technologien (CDR). Während Gesellschaft und Umweltverbände noch kritisch auf die Technologie, vor allem aber auf die anschließende geologische Speicherung des eingefangenen CO2 blicken, ist sich die Wissenschaft einig; Dekarbonisierung ohne CDR ist nicht realisierbar.

Diese Meinung vertritt auch das Bundeswirtschaftsministerium durch seine kürzlich vorgelegten Eckpunkte zur Langzeitstrategie Negativemissionen (LNe) und zur der Carbon Management Strategie (CMS), welche die Offshore-Speicherung von CO2 fest einplanen. Dies ist ein wichtiger Schritt, denn auch das von der Europäischen Kommission vorgeschlagene Zwischenziel, die Treibhausgasemissionen um mindestens 90 Prozent bis 2040 zu reduzieren, wird ohne CDR nicht erreicht werden.

Die hochgesteckten Klimaziele sind also auf CDR-Technologien, wie beispielsweise Direct Air Capture (DAC), angewiesen. Problematisch ist allerdings, dass nach aktuellem Stand der Technik effektiv kaum CO2 aus der Luft gezogen wird.

Dank regulatorischen Rückenwindes boomt der Markt trotzdem, Entnahmezertifikate für über 5,5 Millionen Tonnen CO2 (davon DAC: 1,4 Mt) mit einem Wert von rund 2,2 Milliarden US-Dollar wurden bereits an Großkunden wie Microsoft, Airbus oder Amazon verkauft. Da ein Zertifikat aber nicht mit tatsächlicher CO2-Entnahme gleichzusetzen ist, führten bislang und laut aktueller Datenlage nur 5,3 Prozent der verkauften Zertifikate auch zur tatsächlichen CO2-Entnahme. Natürlich werden die Zertifikate als „Futures“ verkauft, weshalb sich der Erfolg des Carbon Management schwer quantifizieren lässt. Dennoch zeigen die Zahlen, dass ein harmonisierter und regulierter Zertifikatehandel unerlässlich ist.

Kritik an der atmosphärischen CO2-Entnahme

Die Abscheidung an Punktquellen von Abgasströmen von fossilem CO2 (fossiles CCU/S) ist bereits ein etablierter Ansatz zur Vermeidung von CO2-Emissionen und eine wichtige Option, um die Dekarbonisierungsziele vieler Schlüsselindustrien wie Zement oder Müllverbrennung zu erreichen. Unvermeidbare Restemissionen lassen sich durch den Einsatz von fossilem CCU/S jedoch nicht umgehen. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um Emissionen, die übrig bleiben, wenn alle anderen Maßnahmen ergriffen wurden. Diese Emissionen können nur durch die atmosphärische CO2-Entnahme (also CDR) ausgeglichen werden.

Allerdings gibt es Kritik an CDR-Technologien wie DAC, denn diese könnten Unternehmen veranlassen, an ihren klimaschädlichen Geschäftsmodellen festzuhalten und zumindest öffentlich eine neutrale CO2-Bilanz vorzuweisen. Trotzdem dürfen potenzielle Fehlanwendungen, zum Beispiel zum Ausgleich vermeidbarer Emissionen, kein Ausschlusskriterium für den Einsatz von CDR-Technologien sein. Denn trotz bisher fehlenden universellen Regelwerks ist CDR für die Dekarbonisierung vieler systemrelevanter Industrien wie Chemie, Stahl oder Zement, unersetzbar.

Die EU versucht daher einen Rechtsrahmen zu schaffen, der CDR unter Einhaltung der „QU.A.L.ITY Kriterien“ (Zusätzlichkeit, Ausgangswerte, Langfristige Speicherung und Nachhaltigkeit) ein besseres Image verleiht. Denn gerade die Dekarbonisierung von Industrien wie Zement, Stahl und Chemie ist nur durch ein rasantes Hochfahren der Technologien möglich. Kurzfristig kann eine Vielzahl an Technologien einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung der Klimaziele leisten, langfristig bedarf es allerdings CDR, um eine vollständige Dekarbonisierung zu ermöglichen.

Die Idee der CO2-Entnahme durch DAC ist in der Theorie denkbar einfach, wenn auch in der Praxis technisch anspruchsvoll. Luft wird über Ventilatoren in eine Maschine gesaugt und das enthaltene CO2 durch ein Filtermaterial gebunden. In einem zweiten Arbeitsschritt wird das CO2 vom Filtermaterial abgelöst und anschließend geologisch oder in Werkstoffen wie etwa Zement gespeichert.

Zwar steht DAC bereits bei einem technologischen Reifegrad (TRL) von 5 bis 6, also der erfolgreichen Pilotierung und Demonstration, doch ist die Wirtschaftlichkeit derzeit noch nicht gegeben. Die Entnahmekosten für eine Tonne CO2 liegen je nach Anbieter zwischen 500 und 1000 Euro. Zum Vergleich: Unternehmen müssen derzeit nur 56 Euro pro emittierte Tonne CO2 im Europäischen Emissionshandel (EU ETS) zahlen (Stand 12. Februar 2024). Im letzten Jahr überschritt der ETS-Preis zum ersten Mal die historische Marke von 100 Euro pro Tonne, befindet sich seither allerdings auf Talfahrt.

Zwar sind Negativemissionstechnologien wie DAC noch nicht im ETS anrechenbar, doch soll die Aufnahme in den Emissionshandel geprüft werden. Dies wäre zwar ein wichtiger Schritt für den CDR-Sektor, doch zeigt der Kostenvergleich, dass der Ausstoß von CO2 weiterhin die wirtschaftlichere Option für Unternehmen bleiben würde. Daher bedarf es separater Zielmarken für CDR im EU ETS, um folgerichtig weder mit kostengünstigeren fossilen CCS noch mit anderen Dekarbonisierungsmaßnahmen zu konkurrieren.

Die hohen Kosten von DAC beruhen auf dem frühen Entwicklungsstadium und der hohen Energieintensität. Daher benötigt es DAC-Technologien, die durch einen effizienten Umgang mit vorhandener Energie die Betriebskosten nach unten treiben. Diesen Ansatz verfolgt NeoCarbon, indem unsere DAC-Anlagen die Abwärme von Industrieanlagen nutzen. Diese Abwärme wird im Normalfall durch Kühltürme „vernichtet“, was dem Prinzip der effizienten Nutzung der vorhandenen Energie widerspricht. Dieser Grundsatz ist unter anderem im deutschen Energieeffizienzgesetz verankert, welches Unternehmen zur Vermeidung oder Nutzung von Abwärme auffordert.

Warum neue Regulierungen unerlässlich sind

Der derzeitige, marktgetriebene Prozess des CDR-Hochlaufes muss in Zukunft regulatorisch gezielt unterstützt werden. Insbesondere muss der CDR-Zertifikatehandel weiter legitimiert werden, um die nachhaltige und anwendungsgerechte Nutzung von CDR zu gewährleisten. Auch die kürzlich vorgestellten Maßnahmen in den Eckpunkten der LNe oder CMS sind wichtige Grundsteine, damit Deutschland seiner zukünftigen Rolle als europäischer Dreh- und Angelpunkt für CO2 gerecht werden kann. Auch wenn es vereinzelt politischen, aber wissenschaftlich nicht begründbaren Widerstand gegen die Offshore-Speicherung von CO2 gibt, müssen sich regulatorische Vorgaben weiterhin am wissenschaftlichen Konsens orientieren.

Die angekündigten Maßnahmen werden dazu beitragen, die Akzeptanz für und Nachfrage nach CDR entscheidend zu erhöhen. Besonders die vorgesehenen Zielwerte für technische Senken für die Jahre 2035, 2040 und 2045 werden eine rechtzeitige und bedarfsgerechte Entwicklung und Skalierung der Technologien ermöglichen. Dabei sollten natürliche Methoden nicht in Konkurrenz zu technischen Optionen stehen, da diese durch ihre Synergieeffekte für den natürlichen Klimaschutz unerlässlich sind. Vielmehr müssen die variierenden Potenziale, Kosten, und Nachhaltigkeitskriterien von CDR-Technologien ausgearbeitet werden, um den idealen Dekarbonisierungspfad für Deutschland zu finden. Ebenso wie bei natürlichen Methoden müssen Synergieeffekte mit anderen klimapolitischen Zielsetzungen gehoben werden, um eine effektive, effiziente und nachhaltige CO2-Entnahme zu gewährleisten.

Zusätzlich bedarf es auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wichtiger Aufklärungsarbeit, denn es mangelt an Grundwissen über verschiedene Technologieoptionen sowie deren Potenziale für die Energiewende. Wichtig ist, dass CDR nicht als Werkzeug für die fossile Branche verstanden, sondern als Hebel zur Beseitigung der unvermeidbaren Restemissionen anerkannt wird.

René Haas ist Gründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups NeoCarbon. Das Unternehmen entwickelt Verfahren zur Entnahme von Kohlendioxid aus der Luft (Direct Air Capture) unter Nutzung von Industrieabwärme mittels einer patentierten Reaktortechnologie.

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