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Standpunkte CO2 im Griff: Warum der Rechtsrahmen für CCS schnell kommen muss

Alexandra Decker und Anne-Mette Cheese
Alexandra Decker und Anne-Mette Cheese, Carbon Management Allianz Foto: credits: Roland Horn

Ohne den Einsatz fortschrittlicher Carbon-Management-Technologien kann die ambitionierte Vision einer klimaneutralen Industrie bis 2045 nicht realisiert werden, betonen Alexandra Decker und Anne-Mette Cheese für die Carbon Management Allianz. Sie unterstreichen, dass CCS sowohl machbar als auch sicher ist.

von Alexandra Decker und Anne-Mette Cheese

veröffentlicht am 24.04.2025

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Grundstoffe wie Zement, Kalk oder Stahl und viele Produkte des alltäglichen Lebens werden industriell hergestellt. Dabei entstehen signifikante CO2-Emissionen, die bis 2045 auf null reduziert werden sollen. Mit Effizienzsteigerungen, der Vermeidung von Emissionen und der Umstellung auf erneuerbare Energien wurden zwischen 1990 und 2023 die Industrieemissionen bereits um 44 Prozent reduziert.

Die Erreichung der Klimaneutralität ist dennoch für eine Industrienation wie Deutschland nur durch den Einsatz von Carbon Management Technologien möglich. Unvermeidbare Restemissionen dürfen nicht in die Atmosphäre gelangen, müssen abgeschieden und dauerhaft eingespeichert werden.

Natürliche Kohlenstoffsenken (Wälder, Ozeane, Böden usw.) sind bei der Aufnahme von CO2 aus der Atmosphäre zentral, allerdings sind die Kapazitäten dieser Senken natürlich begrenzt. Die Gesamtkapazität beträgt etwa 39 bis 55 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Zum Vergleich: der CO2-Gehalt in der Atmosphäre betrug entsprechend der aktuellsten Zahlen im Jahr 2023 3.275 Gigatonnen CO2 und zeigt damit deutlich, dass es auch technische Lösungen zur CO2-Reduktion braucht.

CCU und CCS: Technologie für die Nettonull bis 2045

Zusätzlich werden daher unvermeidbare CO2-Emissionen mittels moderner Technologien einzufangen sein, bevor diese in die Atmosphäre gelangen: Carbon Management Technologien, die darauf abzielen, CO2 aus industriellen Prozessen einzufangen und dieses entweder in Produkte umzuwandeln (Carbon Capture and Utilization, CCU) oder dauerhaft geologisch zu speichern (Carbon Capture and Storage, CCS), bekommen damit eine Schlüsselrolle für das Erreichen der Klimaziele, die durch natürliche Senken allein nicht gelingen kann. Technische CO2-Senken sind eine unserer wichtigsten Lösungsoptionen, wenn es um die Nettonull bis 2045 geht. Unternehmen setzen schon aus Kostengründen, gemäß des Prinzips reduce before capture weiter massiv auf Vermeidungstechnologien, um die Abscheidung nur für nicht vermeidbare Emissionen einzusetzen.

Dass Projekte zur Speicherung von CO2 funktionieren, wird international bereits seit Jahren unter Beweis gestellt. Die Projekte Sleipner (seit 1996) und Snøhvit (seit 2008) in Norwegen sind Vorreiter bei der Anwendung von CCS. Seit Projektbeginn wurden mit Sleipner über 20 Millionen Tonnen CO2 sicher gespeichert und mit Snøhvit jährlich etwa 700.000 Tonnen CO2. Durch die konsequente Überwachung und Umsetzung umfangreicher gesetzlich vorgeschriebener Sicherungsmechanismen werden hier Risiken erfolgreich kontrolliert und minimiert.

Welche rasanten Weiterentwicklungen und damit verbundenen Potenziale die Technologie birgt, zeigt das Projekt CarbFix aus Island. Hier wird eine innovative Technik eingesetzt, bei der CO2 in festen Stein verwandelt, indem es Kohlendioxid sicher in Basaltgestein einschließt. Diese Technologie ist nicht nur sehr schnell und effektiv, sondern auch kosteneffizient, da sie über 95 Prozent des CO2 innerhalb von zwei Jahren bindet.

Die europäischen Vorgaben des EU-ETS geben der deutschen Industrie klare Ziele zur Dekarbonisierung. Nach 2039, wenn keine Emissionszertifikate mehr zu erwerben sind, müssen Unternehmen vollständig CO2-neutral produzieren. Es wird dabei immer eine Kombination von Maßnahmen brauchen und dennoch ist CCS nach heutiger Gesetzeslage für viele Sektoren die einzige Möglichkeit die politischen Vorgaben umzusetzen und die Ziele zu erreichen. Entsprechend weit fortgeschritten sind die Vorbereitungen vieler Unternehmen in konkreten Projekten.

Zwei Beispielprojekte in Deutschland, die für den EU-Innovationsfonds ausgewählt wurden, sind die CCS-Projekte Everest und CO2LLECT. CO2LLECT hat das Ziel, am Zementwerk Rüdersdorf von Cemex in Brandenburg jährlich 1,3 Millionen Tonnen CO2 aus den Produktionsabläufen zu erfassen und strebt bis 2030 eine vollständige Dekarbonisierung an. Lhoist setzt die Innovationsfördermittel ein, um bestehende und neue Öfen mit speziellen CO2-Abscheidungssystemen umzurüsten, wodurch jährlich bis zu 1,4 Millionen Tonnen CO2 erfasst werden sollen.

Ein wackliges Gesetzesfundament für Klimaschutz in der Industrie

Trotz der Positivbeispiele: Schon jetzt erschweren Verzögerungen bei der rechtlichen Umsetzung angeschobene Projekte. Der Grund: fehlende politische Rahmenbedingungen und fehlende Infrastruktur. So liegen zwar Eckpunkte einer Carbon Management Strategie der Bundesregierung vor, doch die vollständige Strategie lässt weiterhin auf sich warten.

Ein großer Hebel zur Planungs- und Investitionssicherheit wäre das Kohlendioxid-Speicherungs- und -Transportgesetz (KSpTG). Der fertige Entwurf des KSpTG ist ein verlässlicher Kompromiss und bildet die entscheidende Grundlage, mit dem die Industrie Klimaschutz wirtschaftlich umsetzen kann. Doch durch die vorgezogenen Bundestagwahlen und die dazugehörigen politischen Auseinandersetzungen ist die Verabschiedung des KSpTG auf der Strecke geblieben. Das Gesetz muss noch in 2025 beschlossen werden. Nur so lassen sich der Investitionsstau aufbrechen und die Unklarheiten bei der Förderung von Projekten im Rahmen der Klimaschutzverträge auflösen.

Diese Forderungen einen die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen aus Abfallwirtschaft, Zement-, Kalk-, Energie- und Transportunternehmen. Sektoren- und branchenübergreifend wirkt Carbon Management als Pull-Faktor für Verhandlungen und einen Austausch mit dem Ziel, Lösungswege zu identifizieren und zu gehen. Gemeinsam wird für den Aufbau einer europaweiten CO2-Infrastruktur gekämpft, denn nicht alle Industrien haben andere Optionen zur Dekarbonisierung. Allerdings haben alle Unternehmen ein klares Bewusstsein, dass CCS nur eine von vielen in einem Portfolio von Methoden zur Erreichung der Klimaziele ist.

Die Augen zu verschließen ist nicht der richtige Weg. Klimaneutralität kann für eine Industrienation wie Deutschland nur durch das Zusammenspiel von Effizienzsteigerungen, Umstieg auf erneuerbare Energien und Carbon Management gelingen. Technische CO2-Senken, die Weiterverwendung und Speicherung von CO2, müssen gesetzlich verankert und mit wenig bürokratischem Aufwand im Einklang mit der Umwelt ermöglicht werden. Doch dazu braucht es die Zusammenarbeit aller Akteure und vor allem eines: Kompromissbereitschaft.

Alexandra Decker ist Vorständin beim Baustoffhersteller Cemex und der Carbon Management Allianz. Anne-Mette Cheese ist Senior Manager Germany des staatlichen norwegischen Öl- und Gaskonzern Equinor und Vorsitzende des Sachverständigenrates der Carbon Management Allianz.

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