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Energie & Klima

Standpunkte Den Markt den Erneuerbaren anpassen und Arbitrage beenden

Klaus Mindrup, Umweltexperte der SPD im Bundestag
Klaus Mindrup, Umweltexperte der SPD im Bundestag Foto: Thomas Imo

Die derzeitige Konstellation des Strommarkts benachteiligt die erneuerbaren Energien und schafft für fossile Kraftwerksbetreiber weitgehend risikolose Möglichkeiten zu Arbitrage-Gewinnen, meint Klaus Mindrup, SPD-Umweltexperte im Bundestag. Er plädiert in seinem Standpunkt für Reformen, die Flexibilität, Eigenverbrauch und Speicherung belohnen.

von Klaus Mindrup

veröffentlicht am 23.04.2021

aktualisiert am 25.04.2021

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Seit Jahren höre ich immer wieder die These, die erneuerbaren Energien müssten sich den Märkten anpassen. So pauschal ist dieser These nicht zu widersprechen, aber sie verkennt, dass die Marktregeln dann auch für alle fair sein müssen. Dies ist schon seit Jahren nicht mehr der Fall.

Die Grundidee des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) – vor allem von Hermann Scheer und von Hans Josef Fell als Parlamentsgesetz auf den Weg gebracht – hat sich absolut bewährt. Die feste, aber jährlich sinkende Einspeisevergütung hat die Akteursvielfalt der Energieerzeuger deutlich erhöht und zugleich eine weltweite Innovationswelle auf den Weg gebracht.

Was vor über 20 Jahren mit einer Festvergütung von zwei Mark pro Kilowattstunde (kWh) in Aachen begann, setzt sich heute mit Ausschreibungsergebnissen von knapp über 1,1 Cent fort, wie bei der Ausschreibung in Portugal im letzten Jahr zu beobachten war.

Weltweit ist diese Entwicklung nicht zu stoppen, vor allem weil die Speichertechnologien jetzt als Zwilling der Erneuerbaren Energien weltweit erforscht und in die Praxis umgesetzt werden. Mit der Automobilindustrie gibt es hier einen finanzstarken wichtigen Treiber, weshalb ähnlich deutliche Kostenreduzierungen wie im Bereich der Erneuerbaren Energien zu erwarten sind.

Die Eigenerzeugung wird verunglimpft und diskreditiert

Im Bereich der Photovoltaik war vor zwanzig Jahren das Ziel, dass die Kosten für die Eigenstromerzeugung zu denselben Kosten wie der Strombezug aus dem Netz erfolgen kann („grid parity“). Dieses Ziel ist in Deutschland seit langem erreicht. Die Gegenbewegung aus dem Bereich der alten Energiewelt erfolgte umso härter. Die Eigenerzeugung von Strom wurde als „Entsolidarisierung und De-Industrialisierungverunglimpft, obwohl alle nutzbaren Potenziale zur Gewinnung von PV Strom für den Klimaschutz genutzt werden müssen und in der Folge der eigenerzeugte Strom bis auf wenige Ausnahmen mit einer Umlage belastet. Aus Klimaschutzgründen muss diese Fehlentwicklung dringend korrigiert werden.

Die Diskriminierung der dezentralen Eigenerzeugung steht in klarem Widerspruch zu EU-Recht, das den Prosumer-Ansatz fordert. Um den Debatten über die angebliche Entsolidarisierung die Grundlage zu entziehen, ist es notwendig, die Kosten für die Strom-Verteilnetze zukünftig anders zu finanzieren, unabhängig vom Strombezug. Dazu gibt es bereits seit langem Vorschläge aus den Verbänden. 

Ähnlich dramatisch wie die Fehlregulierung im Bereich der Prosumer ist die Entwicklung im Bereich der Vermarktung des Stroms aus erneuerbaren Energien. Wir erleben heute, dass man mit den Regeln der Vergangenheit die Märkte der Zukunft regeln will. Das kann nicht gelingen. Die Coronakrise wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger. Die Kosten für Wind und Photovoltaik sinken seit Jahren, trotzdem steigen die Kosten für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die nicht von der EEG-Umlage befreiten Betriebe. Allein diese Korrelation zeigt, dass etwas im System nicht stimmt.

Seitdem der erneuerbare Strom nahezu komplett am Spotmarkt verkauft werden muss, sinken dort die Strompreise. Nach einem Maximum von fast sieben Cent je kWh im Jahr 2009 wird der Börsenwert des Stroms zur Differenzkostenermittlung 2021 laut Prognose der Übertragungsnetzbetreiber auf unter vier Cent je kWh sinken.

Die zunehmende Einspeisung von Photovoltaik- und Windstrom senkt somit die Börsenpreise, doch je mehr Erneuerbare installiert werden, umso teurer erscheint nach dieser Methode die Kilowattstunde Erneuerbare-Strom in der Förderung. Und das obwohl die Zahlungen an die Anlagenbetreiber für neue Anlagen pro Kilowattstunde deutlich gesunken sind und weiter sinken werden.

Bei deutlich sinkenden Endenergieverbräuchen wird sich der Stromverbrauch in Deutschland aufgrund der Sektorenkopplung stark erhöhen müssen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen und den Industriestandort zu sichern. Spätestens dann wird das System offen kollabieren.

Das hängt vor allem mit dem unfairen Marktregime zusammen. Strom aus den konventionellen Kraftwerken wird Jahre im Voraus entweder über die Strombörse oder im freien Handel verkauft. Am kurzfristigen Spotmarkt, an dem die erneuerbaren Energiemengen gehandelt werden, treffen somit Überschüsse aus hoher Erneuerbaren-Einspeisung auf einen teilweise bereits gesättigten Markt. Diese werden durch die deutschen Regeln sogar noch ihrer „Grünstrom-Eigenschaft“ beraubt und verlieren damit weiter an Wert.

Arbitragegeschäfte gegen die Erneuerbaren

In Zeiten hoher Einspeisung kommt es zu extremen Stromüberschüssen. In dieser Situation können risikoarm nur Stromhändler, die auch eigene Kraftwerke im Portfolio haben, reagieren. Sie können je nach Preis an der Börse entweder Strom selbst produzieren und verkaufen („produce and sell“) oder sie kaufen und verkaufen („buy and sell“).

Durch die Zwangsvermarktung des Stroms aus EEG-Anlagen ist an vielen Tagen ausreichend günstiger Strom zum Ankauf vorhanden, um Arbitragegeschäfte zu realisieren. Weht der Wind mal nicht oder scheint die Sonne nicht, wird der eigene Kraftwerkspark mit Gewinn hochgefahren.

Alle Betreiber, die am Jahresende durch Zukauf erneuerbaren Stroms die prognostizierte Stromerzeugung in fossilen Kraftwerken reduziert haben, können die dann überschüssigen C02-Zertifkate aus dem europäischen Emissionshandel zusätzlich an der Börse verkaufen. Wir haben es also mit einem absolut sicheren Geschäftsmodell zu tun, das die Verbraucherinnen und Verbraucher und die nicht von der EEG-Umlage befreiten Mittelständler bezahlen.

Um dies zu überwinden, brauchen wir mehr Flexibilität am Markt. Erstens müssen die Betreiber konventioneller Kraftwerke im Falle von Stromüberschüssen verpflichtet werden, nicht zwingend benötigte konventionelle Einspeisung abzuschalten, sodass mehr Raum für Erneuerbare Einspeisung entsteht und negativen Strompreise in ihrer Höhe und Anzahl begrenzt werden. Zweitens muss die künstliche Verknappung am Markt durch Behinderung der Sektorenkopplung beendet werden. Hierfür ist eine schnelle Abschaffung der EEG-Umlage der beste Weg. Wärmenetze mit Speichern sind aufgrund ihrer Trägheit eine ideale Ergänzung zur volatilen Stromerzeugung.

Notwendige Reformen machen Strom für alle günstiger

Außerdem ist es notwendig, Speicher und Wandler nicht länger durch Abgaben, Umlagen und Bürokratie zu belasten, denn sie sind die notwendigen Zwillinge des Ausbaus erneuerbarer Energien.  Diese werden so planbar und verlässlich.

Im zukünftigen Stromsystem kann es nicht gelingen, den Verbrauch und die Erzeugung ohne Speicher und Wandler in der Balance zu halten. Dies ist überhaupt nicht kritisch, da zum Beispiel die zukünftige Elektro-Autoflotte mit ihren Batterien wichtige Speicherleistungen zur Verfügung stellen kann.

Zusätzlich ist es erforderlich, dass der erneuerbare Strom klar als solcher klassifiziert wird, schließlich ist diese Eigenschaft ein wertvoller Qualitätsnachweis und auch für Unternehmen interessant.

Die dann sinkenden Differenzkosten könnten in den nächsten Jahren anteilig aus den Einnahmen der CO2-Bepreisung bezahlt werden. Damit wird es am Ende für fast alle kostengünstiger. Eine Erhöhung des Börsenstrompreises auf das Niveau von 2009 würde die Differenzkosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher um etwa 6,9 Milliarden Euro absenken. Zusätzlich werden wirtschaftliche Risiken beim Betrieb von erneuerbaren Anlagen gesenkt und ermöglichen auch den Betrieb von Anlagen außerhalb einer Förderung, was zusätzlich zu einem freien und dringend benötigten erneuerbaren Ausbauvolumen führt. Weiterhin können wir endlich ein stabiles System der Sektorenkopplung in Deutschland aufbauen, das kostengünstig und effizient funktioniert.

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