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Energie & Klima

Standpunkte Die Klimakrise zwingt Schwarz-Rot zum Paradigmenwechsel im Naturschutz

Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR)
Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR)

Mit dem US-Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen verschärft sich die globale Klimakrise. Angesichts der neuen geopolitischen Weltlage braucht es einen Paradigmenwechsel bei Naturschutz und Klimaanpassung, findet Kai Niebert. Schwarz-Rot muss mit mutigen Investitionen in eine starke grüne Infrastruktur Lebens- und Wohlstandsgrundlagen sichern, fordert der Präsident des DNR.

von Kai Niebert

veröffentlicht am 20.03.2025

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Die Entscheidung Donald Trumps aus dem Pariser Klimaschutzabkommen auszusteigen, ist eine Katastrophe fürs Klima und für die Menschheit. Damit wird das 1,5-Grad-Limit kaum zu halten sein – auch die Zwei-Grad-Grenze wirkt nun sehr ambitioniert. Die neue Bundesregierung muss deshalb nun nicht nur besseren Klimaschutz betreiben, sondern sich auch auf schneller eintretende, härtere Klimafolgen einstellen. Das betrifft Energie-, Verkehrs- und Agrarpolitik – und ganz besonders den Naturschutz.

Denn: Die bisherige Naturschutzpolitik beruht auf dem Prinzip des Bewahrens des Bestehenden: Den europäischen Rahmen für die Naturschutzpolitik bietet die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, die zu erhaltende Arten- und Lebensraumtypen beschreibt. Das kürzlich verabschiedete Nature Restoration Law will eine einstige Natur wiederherstellen. Und die im Bundesnaturschutzgesetz festgeschriebene Eingriffsregelung legt fest, dass der Bau von Infrastruktur nicht zu einer Verschlechterung des Zustands der Natur führen darf.

Alle drei Regelungen waren wichtige Erfolge zum Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen – und sie sind scharfe Schwerter, um unsere grünen Lungen und blauen Adern vor immer neuen Logistikzentren und Autobahnen zu schützen.

Von statischem zu dynamischem Naturschutz

Und doch: Der Klimakrise steht ein bewahrender, konservierender Naturschutz hilflos gegenüber. Denn dieser beruht auf der Annahme, dass seine Rahmenbedingungen stabil bleiben. Doch diese Logik funktioniert nicht länger – vielleicht hat sie das auch noch nie. Die Klimakrise verschiebt ganze Ökosysteme nach Norden und in die Höhe, sie lässt neue Lebensräume entstehen, Arten abwandern und neue auftauchen. Wenn wir auf das Festschreiben von Status-Quo-Zuständen setzen, werden wir zwangsläufig der Realität hinterherlaufen.

Klimagerechter Naturschutz heißt daher: Natur nicht statisch, sondern dynamisch denken; Natur nicht als Museum, sondern als sich immer neu entwickelnden Lebensraum denken. Wir müssen den Mut haben, Landschaften zu gestalten, damit sie Ökosystemleistungen ermöglichen, die uns vor den schlimmsten Krisenfolgen schützen: Moore sind riesige CO2-Speicher und können – wiederbelebt und wiedervernässt – nicht nur Emissionen senken, sondern auch den Hochwasserschutz verbessern.

Grenzen schließen im Naturschutz?

Besonders die Klimakrise führt dazu, dass die Natur zu wandern beginnt. In einem konservierenden Naturschutz jedoch werden heute hunderte Millionen Euro ausgegeben, um die Grenzen für migrierende Arten dicht zu machen. Die Unterscheidung zwischen heimischen und fremden Arten ist jedoch oft arbiträr und historisch bedingt.

Statt wie Sisyphos gegen das Unvermeidliche anzukämpfen, müssen wir dynamischer werden und anerkennen, dass viele früher „fremde” Arten erfolgreich in Ökosysteme integriert sind und dabei wichtige ökologische Rollen erfüllen. Heimischsein ist kein Zeichen für evolutionäre Fitness. Die Einteilung von Lebewesen nach kulturellen Maßstäben von Zugehörigkeit, Fairness und Moral bringt weder unser Verständnis noch den Nutzen von Naturschutz voran.

Grüne Infrastruktur klimaresilient machen

Ein zentrales Problem des Naturschutz ist seine Zersplitterung: Zwar gibt es Nationalparke, Naturschutzgebiete und Ausgleichsflächen. Doch diese sind zersplittert verteilt und häufig dort entstanden, wo sie am wenigsten stören und am billigsten zu haben waren. Ein klimaresilienter Naturschutz jedoch braucht vernetzte und funktionsfähige Ökosysteme, um Tieren und Pflanzen Wandermöglichkeiten zu bieten. Schwarz-Rot muss deshalb einen länderübergreifenden Biotopverbund als grünes und blaues Netz schaffen, um die Stabilität von Ökosystemen zu stärken.

Auch wenn Naturschutz aus föderaler Sicht Ländersache ist, braucht es von Bundesebene einen verbindlichen Rahmen, ein Bundesprogramm für die grüne Infrastruktur. Moore, Auen, naturnahe Wälder und Feuchtgebiete sind dabei zentrale Elemente, denn sie speichern CO2, puffern Extremwetter ab und stabilisieren lokale Klimaverhältnisse.

Vom Flickenteppich zum Gesamtplan

Das Problem: Damit sich diese Ansätze nicht im Klein-Klein verlieren, braucht es Koordination. Wenn jede Gemeinde allein versucht, Ausgleichsflächen zu schaffen oder Moorflächen zu renaturieren, werden wertvolle Potenziale ungenutzt bleiben und Maßnahmen sich weiter lokal blockieren. Die Klimakrise erfordert großräumiges Denken: Mit einem Natur-Flächen-Bedarfsgesetz sollten Bund und Länder festlegen, wo prioritäre Biotopverbünde verlaufen, welche Flächen sich besonders für Moor- oder Auenrenaturierung eignen – und wie ein Naturschutz mit Landnutzern statt gegen sie stattfinden kann.

Auch der Waldumbau ist hier eine entscheidende Baustelle. Jahrzehntelang standen wirtschaftliche Erträge im Vordergrund, was zu Monokulturen mit anfälligen Fichten und Kiefern geführt hat. Stürme, Dürre und Borkenkäfer haben gezeigt, wie schnell solche Forste kollabieren. Mischwälder und naturnahe Wälder sind deutlich stabiler gegen Schädlinge und trotzen Extremwettern besser. Hier braucht es klare Rahmenbedingungen, um den Wald klimaresilient zu machen.

Investitionen in unsere Zukunft

Es ist richtig, dass Schwarz-Rot in die Infrastruktur investiert. Denn sie ist das Rückgrat unseres Wohlstands. So wie die grüne Infrastruktur das Rückgrat unserer Lebensgrundlagen ist. Doch auch die braucht Investitionen – wenn auch in der Regel deutlich weniger, als wenn die gleichen Leistungen von technischer Infrastruktur erbracht werden sollen. Natürliche Ökosysteme arbeiten als Klimaanlagen und Wasserspeicher; intakte Moore, Auen und Wälder sind effektiverer Hochwasser- und Hitzeschutz als viele technische Großbauten.

Deshalb sollte das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz als Teil der grünen Infrastruktur ausgebaut werden. Wer heute in Wiedervernässung oder Waldumbau investiert, spart morgen hohe Schäden durch Dürren und Überschwemmungen.

Um die grüne Infrastruktur dabei nicht an Zuständigkeiten scheitern zu lassen, braucht es eine Gemeinschaftsaufgabe Klimaanpassung und Naturschutz. Diese im Grundgesetz zu verankernde Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern könnte analog wie die Gemeinschaftsaufgabe für Agrarstruktur und Küstenschutz aufgebaut sein, um Länder und Kommunen nicht allein zu lassen, sondern Klimaanpassung gemeinsam zu finanzieren.

Was es für all das braucht? Eine Bundesregierung, die die Bewahrung der Schöpfung mit Respekt für Mensch und Natur verknüpft uns so einen klimaresilienten Naturschutz schafft, in dem die Natur in die Lage versetzt wird, uns und unseren Wohlstand zu schützen.

Kai Niebert ist Präsident des Deutschen Naturschutzrings. Der Nachhaltigkeitsexperte forscht und lehrt zudem an der Universität Zürich. Niebert begleitet die Koalitionsverhandlungen im Bereich Umwelt und Landwirtschaft.

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