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Energie & Klima

Standpunkte Von der Lähmung zur Handlung

Lea Dohm, Gründerin von „Psychologists for Future“ und Autorin von „Klimagefühle“
Lea Dohm, Gründerin von „Psychologists for Future“ und Autorin von „Klimagefühle“

Die Konsequenzen des Klimawandels sind ernst und machen sich im Gesundheitssystem schon jetzt bemerkbar. Entscheider:innen und Behandelnde wissen aber oft nicht, wo sie anfangen sollen, schreiben Lea Dohm und Mareike Schulze, Autorinnen des Buchs „Klimagefühle“. Wie man aus der Verdrängung oder Überforderung herauskommt und politische Strategien entwickelt, kann man aus der Psychologie lernen.

von Lea Dohm und Mareike Schulze

veröffentlicht am 30.08.2022

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Wie empfinden Sie, wenn Sie über die Klimakrise nachdenken? Oder besser noch: nachfühlen? Ist es ein Thema, das Sie lieber verdrängen oder beiseite schieben möchten? Bei dem Sie sich hilflos oder machtlos fühlen, überfordert oder frustriert, oder voller Sorge?

Vermeidung ist verständlich

Als Psychotherapeutinnen, die wir uns in den vergangenen Jahren viel mit den emotionalen Herausforderungen der Klimakrise auseinandergesetzt haben, möchten wir Ihnen als erstes sagen: Gefühle im Kontext der Klimakrise sind gesund und normal. Es ist vollkommen angemessen und verständlich, dass uns eine so unfassbar große, existenzielle Bedrohung emotional mitnimmt, oder gar zeitweise regelrecht umwirft, und dass wir den daraus entstehenden unangenehmen Gefühlen lieber aus dem Weg gehen wollen. Wir sind als Psychotherapeutinnen vielen Menschen begegnet, die uns ganz offen, oder auch hinter verschlossenen Türen, von ihren Sorgen, ihrer Überforderung, ihrer Wut oder ihrem Frust über die Klimakrise berichtet haben.

Es ist allgemein kein Leichtes, sich in unserer regelrecht ent-emotionalisierten Gesellschaft verletzlich – oder wie es im Volksmund heißt: „schwach“ – zu zeigen. Daher gibt es in unserer heutigen Zeit wohl kaum etwas Mutigeres, als anderen von den eigenen Gefühlen zu berichten. Und obwohl die meisten von uns damit bestimmt schon das ein oder andere Mal auf die Nase gefallen sind, möchten wir für mehr Gefühl plädieren! Denn: Gerade die schmerzhaften Lebenserfahrungen sind oft die, die uns in unserem Leben vorankommen lassen und uns zu den Menschen machen, die wir heute sind. Offenheit im Umgang mit Gefühlen macht Beziehungen – und damit das Leben  leichter. Authentizität lässt Nähe und Verbundenheit entstehen, sie wirkt Einsamkeit entgegen und lässt uns sympathisch auf andere wirken.

Wut und Angst können helfen

In Bezug auf die Klimakrise fällt es vielen Menschen noch recht leicht, Gefühle zu vermeiden. Unser täglicher, oft hektischer Alltag vereinnahmt die meisten von uns bereits derart, dass er allein schon für permanente Ablenkung sorgt. Da können wir schon verstehen, dass wir als Psychotherapeutinnen das ein oder andere Mal belächelt werden, wenn wir von Innehalten, Reflexion und Fühlen sprechen. Es ist ja auch mehr als verständlich, die nicht enden wollenden Hiobsbotschaften und Krisen durch einen zumindest zeitweiligen Rückzug vom Nachrichtengeschehen umgehen zu wollen. Wobei, am Rande bemerkt, ein Großteil der Nachrichten noch immer nicht einmal klar benennt wie groß die ökologischen Krisen eigentlich sind, in denen wir uns bereits befinden.

Gefühle sind aber – ganz generell und aber auch im Zusammenhang mit der Klimakrise – ungemein nützlich und hilfreich. Als Bedürfnisanzeiger helfen sie uns zum Beispiel ins dringend erforderliche Handeln zu kommen. Wird das Gefühl verdrängt, bleibt in aller Regel auch die notwendige Aktivität und die daraus resultierende Veränderung aus. Dabei ist gerade jetzt die Zeit, in der wir noch sehr viel tun können – und müssen –, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und wichtige Weichen für die Zukunft zu stellen. Es ist also höchste Zeit, dass wir hinschauen und uns auseinandersetzen, auch und besonders emotional. Es ist dringend erforderlich, dass Gefühle endlich wieder gesellschaftsfähig werden!

Wir wissen aus unserer Praxis, dass unsere Gesellschaft, wie wir sie heute erleben, viele Menschen psychisch krank macht. Es ist oft das unhinterfragte Schneller-Höher-Weiter-Hamsterrad, in dem viele sich die Füße wund laufen, ohne jemals anzukommen. Viele von uns finden nur selten die Zeit, in sich hinein zu horchen und sich mit dem Ist-Zustand auseinander zu setzen – um möglicherweise etwas daran zu verändern.


Kritische Fragen stellen

Dann würden wir uns vielleicht mit Fragen beschäftigen wie: „Warum müssen wir als angestrengte Corona-Eltern uns Sorgen um die nächsten Gasrechnungen machen, während Europas hochklimaschädlichen Ölkonzerne aktuell wieder Rekordgewinne verbuchen?“’ oder „Warum können Konzerne, vertreten durch einige wenige Menschen, im Gesundheitswesen Gewinne einheimsen, während die Krankenpfleger:innen kurz vor der Kapitulation sind?“ oder „Warum wird das klimaschädliche Gas in der EU-Taxonomie als nachhaltig deklariert, während Europa in Flammen steht?“.

Über unsere Gefühle kommen wir in eine emotionale Aktivierung, die notwendiger ist denn je. Und seien wir doch mal ehrlich: Statt politisch zu partizipieren und Gefühle dort zu nutzen wo sie hingehören, meckern wir oft bloß im heimischen Wohnzimmer, am Gartenzaun – und einige Menschen landen unter anderem dank beharrlich abgewehrter Gefühle leider auch in der Depression.

Um dies zu ändern fordern wir nichts geringeres als eine „emotionale Revolution“. Hin zu emotionaler Ehrlichkeit sich selbst und anderen gegenüber. Hin zu Mitgefühl und Miteinander, Verständnis und Empathie: Wir sind Menschen und brauchen einander, authentischen Kontakt und mehr Miteinander. Wir machen Fehler und das ist okay. Denn unsere emotionale Berührbarkeit kann uns auch als innerlich angelegter Kompass den Weg leiten hin zu einem wertebasierten, solidarischen, sozial und ökologisch verträglichen Leben.

Hier schließt sich der Kreis mit Blick auf die Klimakrise: Wir befinden uns als Menschheit in einer planetaren Notfallsituation. Ein Notfall muss als Notfall erkannt werden, damit angemessen gehandelt wird. Dazu gehört auch eine angemessene emotionale Aktivierung, ganz ähnlich wie bei einem medizinischen Notfall. Die Wissenschaft sagt deutlich, dass gerade jetzt jede Woche, jeder Monat zählt. Wir alle können im Kleinen und Großen anfangen.

Wir laden Sie daher ein, hinzufühlen und aktiv zu werden. Sprechen Sie mit Menschen darüber, wie es ihnen mit Bildern wie etwa dem niedrigen Rhein und den Hitzetoten in diesem Sommer geht – und was sie deswegen jetzt allein oder noch besser gemeinsam tun können und wollen. Seien Sie Vorbild (das ist psychologisch auch sehr wirksam), vergessen Sie dabei nicht den Blick auf die politischen Rahmenbedingungen und großen Verschmutzer und werden Sie gemeinsam mit uns und vielen anderen zu Pionierinnen und Pionieren des Wandels.

Lea Dohm und Mareike Schulze sind Gründerinnen der Bewegung „Psychologists for Future“ und Autorinnen des Buchs „Klimagefühle. Wie wir an der Umweltkrise wachsen statt zu verzweifeln“. Der Ratgeber soll beim Umgang mit negativen Klimagefühlen geben und enthält zahlreiche Gastbeiträge.

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