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Energie & Klima

Standpunkte Zeit für einen Neustart der EU-Handelspolitik

Ludwig Essig, Referent für Handelspolitik beim Umweltinstitut München
Ludwig Essig, Referent für Handelspolitik beim Umweltinstitut München Foto: Umweltinstitut München

Ursula von der Leyens Wiederwahl als Präsidentin der Europäischen Kommission verspricht Kontinuität, doch besonders in der Handelspolitik ist ein grundlegender Kurswechsel dringend notwendig. Ludwig Essig vom Umweltinstitut kritisiert, dass die EU wirtschaftliche Interessen über Umwelt- und Menschenrechte stellt und fordert eine nachhaltige und gerechte Neuausrichtung der Handelspolitik.

von Ludwig Essig

veröffentlicht am 24.09.2024

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Am 18. Juli wurde Ursula von der Leyen mit bequemer Mehrheit erneut zur Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. Doch das starke Wahlergebnis darf nicht als Freibrief für ein „Weiter so“ stehen. Insbesondere in der Handelspolitik sind Reformen dringend notwendig. Geheime und orientierungslose Verhandlungen haben in den letzten Jahren zu einer Handelspolitik geführt, die keinem Anspruch gerecht wurde – weder dem der Industrie noch dem der Gewerkschaften und bestimmt nicht dem von Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen.

Handelspolitik im Schatten der Energiewende

Ursula von der Leyen stellte in ihrer ersten Amtszeit den „Europäischen Green Deal“ in den Mittelpunkt. Für ihre zweite Amtszeit bewarb sie sich mit dem Leitsatz „Wirtschaft, die für die Menschen arbeitet“. Doch die Herausforderungen, vor denen die EU steht, sind nicht nur technischer, sondern auch geopolitischer Natur. Der Zugang zu Rohstoffen wie Lithium, Kobalt und Seltenen Erden, die für Elektrofahrzeuge, Batterien und Windkraftanlagen benötigt werden, stellt die EU vor große Herausforderungen.

„Der Zugang zu Rohstoffen ist entscheidend für den Erfolg unserer Transformation hin zu einer nachhaltigen und digitalen Wirtschaft“, betonte von der Leyen bereits 2022. Doch die Förderung dieser Rohstoffe ist oft mit erheblichen Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen verbunden. Die EU verfolgt ehrgeizige Klimaziele, vernachlässigt dabei aber häufig, welche Folgen der Rohstoffabbau für Mensch und Umwelt in den Partnerländern hat.

Ein Blick in die Vertragstexte der Handelsabkommen zeigt, dass wirtschaftliche Interessen Vorrang vor Menschenrechten und Umweltschutz haben. So sichert das kürzlich mit Chile abgeschlossene Abkommen europäischen Unternehmen uneingeschränkten Zugang zu Rohstoffen, während chilenische Firmen im eigenen Land durch Preiskontrollen eingeschränkt werden. Ein solches Ungleichgewicht schwächt lokale Industrien und Arbeitsplätze und schafft kaum Anreize für nachhaltige Produktion.

Handel ohne Rücksicht auf Verluste

EU-Handelsabkommen folgen einem klaren Muster: Während wirtschaftliche Vereinbarungen mit Sanktionen versehen sind, werden Abschnitte zu Menschenrechten und Umweltschutz meist als bloße Absichtserklärungen behandelt. Das EU-Mercosur-Abkommen, das seit über 25 Jahren verhandelt wird, zeigt eindrucksvoll, wie der Rohstoffhandel zwischen Europa und den lateinamerikanischen Mercorsur-Staaten abläuft: Die Mercosur-Staaten liefern der EU Rohstoffe wie Eisenerz, Lithium und Erdöl, wobei die EU bestrebt ist, Exportbeschränkungen zu verhindern und Zölle abzuschaffen, die den Ländern des Mercosur bisher dazu dienten, die heimische Industrie im Land zu halten und die Staatseinnahmen zu konsolidieren.

Deutschland ist besonders abhängig von brasilianischen Rohstoffen. Etwa 45 Prozent des nach Deutschland importierten Eisenerzes stammen aus Brasilien, ebenso große Anteile von Roheisen und Rohstahl. Die Folgen sind verheerend: Für den Eisenerzabbau in Brasilien werden riesige Mengen Tropenholz vernichtet, und Tagebaue wie die Carajás-Mine tragen massiv zur Abholzung des Amazonas-Regenwaldes bei. Ein besonders tragisches Beispiel ist die Mine Córrego do Feijão in Brumadinho, wo 2019 nach einem Dammbruch eine toxische Schlammlawine 272 Menschen tötete. Doch das EU-Mercosur-Abkommen sieht keine wirksamen Mechanismen vor, um Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen.

Mit einem Taschenspielertrick aus der Sackgasse?

Diese Form der Handelspolitik hat in den letzten Jahrzehnten nicht nur in den Partnerländern, sondern auch innerhalb der EU zu massiven Protesten geführt. Landwirte, Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherschützer wehren sich gegen Dumpingpreise, das Ignorieren von Arbeitsschutzstandards und die Bedrohung ökologischer Standards. Zugleich haben jahrzehntelange intransparente Verhandlungen die Betroffenen von der Mitsprache ausgeschlossen. Das führt in vielen Mitgliedstaaten zu Unmut und langwierigen Ratifizierungsprozessen.

Um diese für sie unangenehmen Blockaden zu überwinden, will die EU-Kommission bei zahlreichen Abkommen nun den politischen Teil und den Handelsteil voneinander trennen (über das so genannte „Splitting”). Das erlaubt es, den Handelsteil schnell und ohne Zustimmung der nationalen Parlamente in Kraft zu setzen, während der politische Teil mit Vertragsklauseln zu Menschenrechten, Zusammenarbeit und Umweltschutz auf der Strecke bleibt.

Von der Leyens Plan, per „Splitting” die politischen von den wirtschaftlichen Teilen der Handelsabkommen zu trennen, um den Abschluss der Abkommen zu beschleunigen, ist ein gefährlicher Taschenspielertrick. Das Ausschließen der nationalen Parlamente stellt eine Verletzung demokratischer Prinzipien dar. Der Versuch, den nationalen Institutionen die politische Kontrolle zu entziehen, schwächt das Vertrauen in die EU und ist damit vollkommen unverantwortlich.

Ein Neustart ist notwendig

Die Handelspolitik der EU steckt in einer Sackgasse. Das multilaterale Handelssystem der WTO ist blockiert und bilaterale Abkommen verharren in endlosen Verhandlungen. Die jahrzehntelang verhandelten EU-Abkommen verschärfen soziale und ökologische Krisen, statt Lösungen zu bieten. Es ist an der Zeit, die Handelspolitik neu zu denken und sie als integralen Bestandteil globaler Herausforderungen zu begreifen.

Das EU-Parlament und die Zivilgesellschaft müssen in die Verhandlungen eingebunden sein. Verhandlungsmandate und Zwischenergebnisse sollten veröffentlicht werden, um Transparenz und demokratische Kontrolle zu gewährleisten. Nachhaltigkeit darf dabei nicht geopfert werden.

Korruption bekämpfen, Standards setzen

Ein weiteres zentrales Element muss die Bekämpfung von Korruption sein. Ein öffentliches Register soll Fälle erfassen, in denen europäische Unternehmen oder Staaten in Korruptionsfälle verwickelt sind. Investitionen müssen durch rechtsstaatliche Mittel geschützt werden, nicht durch private Schiedsgerichte wie im ISDS (investor-state dispute settlement)-System, die es Konzernen erlauben, Staaten auf entgangene Gewinne zu verklagen, wenn diese beispielsweise neue Umweltschutzregulierungen einführen.

Handelsabkommen müssen zudem klare Umwelt- und Menschenrechtsstandards setzen. Der Handel mit fossilen Brennstoffen und Produkten aus der Massentierhaltung sollte eingeschränkt werden, während klimafreundliche Produkte gefördert werden. Verstöße gegen Umwelt- und Sozialstandards müssen automatisch Sanktionen nach sich ziehen.

Auch der digitale Handel darf den Datenschutz nicht untergraben. Datensouveränität muss gewahrt und Rohstoffe nachhaltig genutzt werden. Recycling und Kreislaufwirtschaft sind entscheidend, um Abhängigkeiten zu reduzieren und die Umwelt zu schützen.

Appell an die EU: Eine zukunftsfähige EU-Handelspolitik gestalten

Die Bedeutung der Handelspolitik für soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklungen ist enorm. In ihr steckt die Verantwortung, Handel nicht als Selbstzweck zu betrachten, sondern als Instrument, eine nachhaltige Zukunft zu gestalten. Die EU muss ihre Handelspolitik neu denken. Es braucht klare Ziele, in denen Ökologie, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Interessen vereint werden. Dafür müssen mutige, aber notwendige Entscheidungen getroffen werden. Daran wird sich Ursula von der Leyen messen lassen müssen. Die Handelspolitik darf nicht weiter auf Kosten von Menschen und Umwelt stattfinden, sondern muss Teil der Lösung für die globalen Herausforderungen unserer Zeit werden.

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