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Energie & Klima

Standpunkte Die Zeit drängt für einen US-EU-Club für grünen Stahl

Charlotte Unger, Politikwissenschaftlerin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS Potsdam)
Charlotte Unger, Politikwissenschaftlerin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS Potsdam) Foto: RIFS

Die EU und die USA tun sich schwer mit ihrem „Club für grünen Stahl“. Es hakt an unterschiedlichen Vorstellungen zum Design, an den ungleichen Ausgangslagen und nicht zuletzt an einer drohenden Wiederwahl Donald Trumps. Aber schon ein Minimalkonsens würde zeigen , dass zwei führende Handelsmächte es ernst meinen mit dem Klimaschutz in der Stahlindustrie, ist Charlotte Unger vom RIFS überzeugt.

von Charlotte Unger

veröffentlicht am 23.05.2024

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Stahl ist Kernbestandteil vieler für die Energiewende zentraler Industrien, gleichzeitig verursacht der Sektor aber auch etwa sieben Prozent der globalen CO2-Emissionen. Sein ökologischer Fußabdruck hat sich in den letzten Jahren kaum verbessert. Somit steigt der Druck, Stahl „grün“ zu produzieren. Der Sektor unterliegt vielen geopolitischen Spannungen, etwa solchen, die durch günstige Preise, Konditionen und Überproduktion in China entstehen. Viele Länder fürchten deshalb die Verlagerung emissionsintensiver Industrien und greifen zu protektionistischen Maßnahmen, um ihre grünen Stahl-Investitionen zu schützen. Die Produktion von grünem Stahl ist noch relativ teuer und hat es schwer, mit dem billigen, aber kohlenstoffintensiv produzierten Stahl zu konkurrieren.

In einer solchen Situation liegt die Suche nach traditionellen Bündnissen nahe, das haben auch die USA und die EU erkannt. Am 31. Oktober 2021 nahmen sie Verhandlungen über einen Club für nachhaltigen Stahl und Aluminium (GASSA – „Global Arrangement for Sustainable Steel and Aluminum“) auf.

Der angekündigte Deal ist clever: Er versucht, Klimaschutzbemühungen mit den oft priorisierten Handelsthemen zu verknüpfen. Er soll außerdem für die USA und die EU einen Konflikt lösen, der 2018 als Folge der vom damaligen Präsidenten Donald Trump verhängten heftigen Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium entbrannte und auf den die EU mit Gegenmaßnahmen wie Strafzöllen auf Whiskey und Harley-Davidson-Motorräder antwortete. Präsident Joe Biden und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen legten die Zölle auf Eis und versprachen, mit GASSA eine permanente Lösung zu finden.

Standard für „sauberen“ Stahl

GASSA verspricht einerseits, mit starken handelspolitischen Maßnahmen den Marktzugang zu den USA und der EU für „schmutzigen“ Stahl einzuschränken. Konkret steht zur Debatte, einen Standard oder eine Taxonomie für sauberen“ Stahl zu erstellen: Das heißt, ab einem bestimmten Kohlenstoffintensitätswert (Kohlenstoffausstoß je produzierte Tonne Stahl) müssten Länder, die nicht dem Club angehören und schmutziger produzieren, einen gestaffelten Zoll bezahlen. Wie diese Taxonomie genau ausgestaltet werden soll, ist jedoch ein Streitpunkt. Die USA wollen für den Intensitätswert ihren schmutzigsten“ Produzenten als Ausgangspunkt nehmen. Die EU hingegen sähe gerne eine Anknüpfung an ihre bestehenden Klimaschutzinstrumente, vor allem das CO2-Grenzausgleichssystem.

Die Verhandlungen stagnieren zurzeit, weil die Vorstellungen über das Design des Arrangements zu weit auseinanderliegen und in beiden Regionen anstehende Wahlen die Prioritäten verschieben. Besonders die US-Präsidentschaftswahl hat den Entscheidungsspielraum des aktuellen Präsidenten Biden stark eingeschränkt. Wichtige internationale Entscheidungen wie im Fall von GASSA werden hinausgezögert, aus Angst davor, dass sie Wählerstimmen im Rust Belt“ vergraulen könnten. Eine Wahl Trumps zum Präsidenten könnte zu einer Eskalation führen: Der 2018 entbrannte Handelskonflikt könnte wieder auflodern, nämlich dann, wenn Trump die damaligen US-Einfuhrzölle für Stahl und Aluminium einfach wieder aufleben ließe. Gleichzeitig sehen die USA in GASSA die Chance, gegen Chinas Dominanz vorzugehen. Die EU hingegen fürchtet sich vor neuen Schwierigkeiten mit der WTO.

Aber auch die Ausgangspositionen in den USA und der EU sind sehr unterschiedlich und erschweren die Verhandlungen. Die Stahlproduktion ist in den USA größtenteils elektrifiziert und hat dadurch einen deutlich niedrigeren Kohlenstoff-Fußabdruck. In Europa und besonders in Deutschland wird vor allem so genannter Primärstahl in mit Koks befeuerten Hochöfen produziert. Im Vergleich dazu stößt die in den USA gängigere Lichtbogenofen-Stahlproduktion nur rund ein Drittel der Emissionen der Produktion in Hochöfen aus. Zwar stehen neben der Elektrifizierung – und hierbei der Nutzung von recyceltem Stahl und erneuerbaren Energien – auch Energieträger und Technologien wie Wasserstoff und Carbon Capture and Storage (CCS) zur Debatte, diese kommen aber derzeit nur projektbasiert und nicht großflächig zum Einsatz.

Beide Seiten fürchten, benachteiligt zu werden

Letztendlich stehen hinter den technischen Dimensionen jedoch Sorgen um eine ungerechte Ausgestaltung des Abkommens. Ein wie von den USA vorgeschlagener technologieunabhängiger Standard könnte etwa die hochofenbasierten Produktionsstätten benachteiligen, weil sie schlichtweg schmutziger sind. Wie etwa die kürzlichen Ankündigungen von Thyssenkrupp Steel, Produktionskapazitäten und damit auch Arbeitsplätze abzubauen, zeigen (Tagesspiegel Background vom 29.4.2024), geht es um viel: Wie werden sich Deutschland und Europa in Anbetracht geopolitischer Spannungen und wachsenden Dekarbonisierungs-Drucks verhalten? Und schlussendlich: Welche Produktionsstandorte können wie und zu welchen Konditionen zukünftig erhalten bleiben?

Eine Einigung auf einen Minimalkonsens für GASSA wäre nicht nur wegen der drohenden Wiederkehr von Trumps Zöllen wichtig. GASSA könnte die Initialzündung für einen Markt für grünen Stahl sein, ihm einen finanziellen Vorteil verschaffen und würde gleichzeitig signalisieren, dass zwei führende Handelsmächte es ernst meinen mit dem Klimaschutz in der Industrie. Ein solcher Stahl-Club könnte mit einer Definition von grünem Stahl starten, auf die technische Diskussionen und weitere Instrumente folgen – nicht nur ein Zoll, sondern zum Beispiel auch Abstimmungen im öffentlichen Beschaffungswesen.

Außerdem braucht es, um von einem bilateralen Abkommen zu einem Club zu kommen, mehr Partner. Gegenüber China ist ein nuancierter Ansatz notwendig, um sowohl dem Überangebot zu begegnen als auch die Dekarbonisierung zu unterstützen. Aber auch die anderen wachsenden Wirtschaften des globalen Südens – hier werden zukünftig die meisten Emissionen entstehen – müssen frühzeitig in die Verhandlungen einbezogen werden.

Ein Hoffnungsschimmer sind das wachsende Wissen über die Emissionsmessung und -bilanzierung im Stahlsektor sowie Informationen zu Wasserstoff, CCS und der Menge an recycelbarem Stahl. Solche Erkenntnisse führen oft dazu, dass weitere gemeinsame Interessen deutlich werden: Zum Beispiel wird sowohl in der EU als auch in den USA die Menge an recyceltem Stahl nicht den Gesamt-Stahlbedarf decken können. So tun beide gut daran, mit GASSA einen Mechanismus aufzubauen, der die Dekarbonisierung beider Produktionsweisen fördert, also etwa die wasserstoffbasierte Herstellung von Primärstahl und die Produktion von recyclingbasiertem Lichtbogenofen-Sekundärstahl.

Charlotte Unger ist Politikwissenschaftlerin am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS Potsdam) und beschäftigt sich mit der globalen Klima-Governance. Im Frühjahr 2023 verbrachte sie einige Monate an der Johns-Hopkins-Universität in Washington und erforschte die transatlantischen Stahl-Beziehungen.

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