An vielen Stellen wird zurzeit über die Neufassung des Paragraphen 14a des Energiewirtschaftsgesetzes diskutiert. Hier im Tagesspiegel Background haben sich Vertreter von Energieunternehmen, zum Beispiel Stefan Richter von Eon, und von Automobilunternehmen (Thorsten Nicklass, CEO der Volkswagen-Tochter Elli) dazu geäußert. Es ist mir daher ein Anliegen, bei dieser Debatte auch einmal die Sicht der Netzbetreiber einzubringen.
Den Hintergrund der zukünftigen Energiewelt hat Thorsten Nicklass sehr zutreffend beschrieben: Wetterbedingt kommt es zu einem Überangebot an erneuerbarem Strom, der durch eine Beladung von Elektroautos oder durch das Heizen mit Wärmepumpen einem sinnvollen Verbrauch zugeführt werden kann. Die rollenden Stromspeicher der Elektroautos können in Zeiten einer „Dunkelflaute“ auch Strom liefern und so das System stabilisieren.
Gefordert wird deshalb, dass die Struktur der Netzentgelte diese Optimierung des energiewirtschaftlichen Gesamtsystems unterstützen muss – durch zeitvariable Netzentgelte, die sich an der Einspeisung des Windstroms orientieren. Dass das ein zunehmendes Nutzbarmachen von nachfrageseitigen Flexibilitäten durch die weitergehende Digitalisierung ermöglicht und die energiewirtschaftliche Zukunft prägen wird, erscheint mir selbstverständlich. Doch wie sieht das in der Gegenwart aus?
VDA-Vorschlag klingt wie aus der Monopolsteinzeit
Betrachtet man nämlich das Positionspapier des Automobilverbandes VDA, dann werden dort überhaupt keine zeitvariablen Netzentgelte gefordert, sondern lediglich statische Netzentgelte für vorgegebene und vorab bestimmte Zeitfenster. Dies ist jetzt aber alles andere als ein neuer (oder zukunftsgerichteter) Vorschlag für die Netzentgelte, sondern klingt eher wie ein Vorschlag aus der Monopolsteinzeit. Die Energieversorger setzen HT/NT-Tarife für Hochlast- und Schwachlastzeitfenster schon seit Jahren ein, um die Stromnachfrage zeitlich zu verlagern. Ob sich Wind und Sonnenschein aber an vorab definierte Zeitfenster halten, wage ich dann doch zu bezweifeln.
Aber zurück in die Gegenwart beziehungsweise die nähere Zukunft, in der es darum geht, wie Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen – die energiewendebedingten „neuen“ Lasten – in das Verteilnetz integriert werden können. Sofern durch diese neuen Verbrauchseinrichtungen der Platz im Niederspannungsnetz bereits knapp wird, würde eine Orientierung des Verbrauchsverhaltens an der Einspeisung von Erneuerbaren diese Knappheit noch verstärken. Denn wenn viel „Windstrom“ im System ist, sind die Strompreise (sehr) niedrig und alle flexiblen Verbraucher – Batterien in Elektroautos und Hauskellern, Wärmepumpen, Kühlhäuser… – schalten sich ein, um sich am Markt gegen diesen günstigen Strompreis zu optimieren.
Auf der Höchstspannungsebene kann dies helfen – Strom, der aufgrund zusätzlicher Last in Norddeutschland verbraucht wird, muss nicht mehr nach Süddeutschland transportiert werden. Aber: Im Verteilnetz löst dieses gleichgerichtete Verhalten dann Engpässe aus, wenn nicht alle Wallboxen und Wärmepumpen eines Straßenzugs gleichzeitig bedient werden können. Der Verteilnetzbetreiber muss eingreifen – er schränkt den Verbrauch (von flexiblen Verbrauchseinrichtungen) ein, um einen Stromausfall im Straßenzug zu verhindern.
Wir unterstützen ausdrücklich das Vorhaben des BMWi
Genau hier setzt die von den Netzbetreibern geforderte Reform des 14a an. Es geht darum, den Netzbetreibern die Möglichkeit zu geben, Platz im Verteilnetz zu schaffen, um mehr Elektrofahrzeuge schnell anschließen zu können. Konkret sollen die Verteilnetzbetreiber die Möglichkeit erhalten, den Leistungsbezug der flexiblen Lasten um bis zu zwei Stunden pro Tag zeitlich zu verschieben oder die Leistung zu drosseln. Daher unterstützen wir ausdrücklich das Vorhaben des BMWi, sehen aber Möglichkeiten, das dort diskutierte Modell deutlich zu vereinfachen (das haben wir hier vertieft).
Aus unseren Praxiserfahrungen in den „Netzlaboren“ in Ostfildern und jetzt in Tamm mit in Summe über 50 teilnehmenden Kunden wissen wir, dass ein Zeitfenster von zwei Stunden pro Eingriff von den Kunden kaum bis gar nicht wahrgenommen wird. Diese Möglichkeit zur zeitlichen Glättung schafft nicht nur Raum für mehr Elektrofahrzeuge, sondern auch Zeit für die notwendige intelligente Modernisierung und vor allem den notwendigen, aber nach wie vor analogen Ausbau des Verteilnetzes.
Dass der Netzausbau nach wie vor das Mittel der Wahl sein wird, ergibt sich für mich auch daraus, dass die nachfrageseitige Flexibilität sehr viel werthaltiger im Markt als auf der Netzseite eingesetzt werden kann. Das ist ein Aspekt, welcher in den kommenden Jahren noch deutlich an Bedeutung gewinnen wird. Verteilnetzbetreiber schauen meines Erachtens immer etwas egozentriert auf die mittels Lastverschiebung einzusparenden Kosten des Netzausbaus.
Um einmal eine Größenordnung dafür aus Kundensicht zu geben: Der Halter eines Elektrofahrzeuges zahlt bei einem Jahresverbrauch von 2000 Kilowattstunden etwa 150 Euro an Netzentgelten. Nimmt man einen (wild angenommenen) 50-Prozent-Abschlag für Flexibilität auf den Arbeitspreis an, könnte er circa 60 Euro jährlich an Netzentgelten sparen – soweit die Netzsicht.
Thorsten Nicklass schreibt aber sehr richtig, dass ihm eine Optimierung gegen den Markt vorschwebt (Einsatz von Elektroautobatterien als Speicher, ausgerichtet an den Strompreisen). Im September lag die durchschnittliche maximale Strompreisdifferenz innerhalb eines Tages bei sechs Cent pro Kilowattstunde. Aus der Optimierung einer Beladung eines Tesla S P100D konnte man also sechs Euro Gewinn erzielen beziehungsweise rund zehn Prozent des jährlichen netzseitigen Flexibilitätswerts im Markt realisieren. Aus meiner Sicht ist es daher offensichtlich, dass wir Flexibilität auf der Marktseite viel werthaltiger einsetzen können als auf der Netzseite. Das sollte auch in der Gestaltung des 14a berücksichtigt werden.
Kompromiss zwischen Wahlfreiheit für Kunden und technischer Notwendigkeit
Netzbetreiber benötigen in Zeiten eines stark marktgetriebenen Ladens und zur zeitlichen Überbrückung des notwenigen Netzausbaus die Möglichkeit zu steuernden Eingriffen. Da eine marktorientierte (zweite) Optimierung dieser Eingriffe, nachdem sich die Kunden bereits am Markt optimiert haben, nicht funktionieren kann, ist ein regulatorischer Rahmen zwingend notwendig. Die Forderung des VDA nach Transparenz und Diskriminierungsfreiheit ist dabei unbedingt zu unterstützen. Genau dann aber, wenn die steuernden Eingriffe diskriminierungsfrei zu erfolgen haben, sollte auch jeder Kunde gleichermaßen dem regulatorischen Eingriff unterliegen.
In der letzten Not, also in der Anwendung des Paragraphen 13 EnWG, kann es ja auch jeden Kunden treffen – sogar ohne Entschädigung. Wer sich aus diesem Solidarverbund herausnehmen möchte, zum Beispiel, weil er sich ohne jedes Risiko von Einschränkungen vollumfänglich gegen den Markt optimieren und dort alle möglichen Gewinne mitnehmen will, soll dies auch tun können – dann aber gegen ein höheres Netzentgelt. Das ist für mich der richtige Kompromiss zwischen Wahlfreiheit für den Kunden, der technischen Notwendigkeit stabiler Netze und einer gerechten Verteilung der Kosten im Netz.