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Standpunkte Jeder hat sein ESG-Päckchen zu tragen

 Jennifer Brasnic, Head of Customer Excellence im Geschäftsbereich Banking, Sopra Steria
Jennifer Brasnic, Head of Customer Excellence im Geschäftsbereich Banking, Sopra Steria Foto: Sopra Steria

Viele Banken und Sparkassen mühen sich, beim Thema Nachhaltigkeit die Erwartungen der Kundinnen und Kunden zu erfüllen und die gesteckten Ziele zu erreichen. Jennifer Brasnic, Head of Customer Excellence im Geschäftsbereich Banking bei dem auf digitale Transformation spezialisierten Beratungs- und Softwarehaus Sopra Steria, sieht Hürden für den Wandel – und erklärt, welche Schritte notwendig sind, um Nachhaltigkeit strategisch zu nutzen.

von Jennifer Brasnic

veröffentlicht am 08.06.2023

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Als Finanzierer ist die Bankenbranche einer der wesentlichen Akteure für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen – sei es bei der Vermittlung von Krediten, durch die Entwicklung und Bereitstellung von Investitionsvehikeln oder beim Schaffen von Transparenz. Wegen der „doppelten Wesentlichkeit“ – also dem Messen und Beurteilen nicht nur von Nachhaltigkeitsrisiken auf die Banken selbst, sondern auch der Wirkung, die ihre Finanzentscheidungen haben – sind Banken zudem selbst gefordert, nachhaltig zu agieren.

Erst kürzlich berichtete Tagesspiegel Background allerdings, für wie schwierig die Sparkassen die Rolle offenbar halten. Mit dieser Bewertung stehen sie nicht allein. Tatsächlich haben auch viele Kundinnen und Kunden so ihre Zweifel am grünen und nachhaltigen Daumen der Finanzwirtschaft.

Im Digital Banking Experience Report, einer von Sopra Steria in Zusammenarbeit mit Ipsos erstellen Studie, bezweifelte zuletzt gut die Hälfte (51 Prozent) der befragten Kundinnen und Kunden in Deutschland, dass Banken Kriterien zu Umwelt, Sozialem und guter Unternehmensführung (Environment, Social, Governance – ESG) konsequent berücksichtigen. Das sind deutlich weniger als beispielsweise in Schweden (66 Prozent) oder Luxemburg (67 Prozent). Nur zwölf Prozent der Befragten in Deutschland gingen davon aus, dass sie durch die Banken Zugang zu ESG-konformen Produkten erhalten. Im Durchschnitt aller 14 untersuchten Länder hinweg sind es 26 Prozent, also mehr als doppelt so viele.

Komplexität und Verharrung

Dass die Nachhaltigkeitstransformation des Finanzsektors bislang hierzulande stockt und nicht entsprechend den internen und externen Erwartungen vorankommt, liegt vor allem an der Komplexität und an Verharrungskräften. Die noch laufende Digitalisierung der Banken und Sparkassen kommt erschwerend hinzu. Die Folge sind gut gemeinte Einzelmaßnahmen statt einer ganzheitlichen Strategie. ESG-Kriterien, die synonym für einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsbegriff stehen, sind aber nicht ausschließlich Sache einer oder mehrerer Abteilungen. Sie betreffen die gesamte Organisation. Alle sind gefordert.

Es braucht somit ein Top-Management, dass Nachhaltigkeit als wesentliches Element der Strategie ansieht und jedes Team in diese Strategie einbezieht. Denn es geht darum, Transparenz über die gesamte Prozesskette zu gewinnen: vom Vertrieb über das Onboarding (Know-Your-Customer-Prozesse) und das Risikomanagement bis zum Jahresabschluss. Für diese Transparenz ist eine Vielzahl von Daten nötig. Erfassung und Auswertung erfordern wiederum ein Datenmanagement, das zur Strategie der ganzheitlichen Verantwortung für das Thema Nachhaltigkeit passt. Ein dezentrale Data-Mesh-Architektur zum Beispiel legt dafür die Verwaltung der Daten in die Hand der jeweiligen Fachbereiche. Jeder Fachbereich muss damit ein ESG-Päckchen tragen – beim „Wie“ der Umsetzung bleiben allerdings Spielräume.

Gesamte Prozesskette betrachten

Konsequentes Nachhaltigkeitsmanagement erfordert somit ein organisatorisches Umdenken. Ob ein Institut die Rolle des Chief Sustainability Officer (CSO) schafft, hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Fest steht: Sie oder er kann die Bank nicht im Alleingang auf Nachhaltigkeit trimmen, jedoch kann die Person die ganzheitliche Steuerung des Themas übernehmen und Prioritäten setzen. Mit einem Lastenheft in der Hand kann ein CSO einen klaren Fahrplan für die Bank entlang der Anforderungen formulieren, die sich aus der Regulatorik oder Fragen der Reputation ergeben. Dabei ist bereits die Liste der verschiedensten ESG-relevanten Gesetze und Vorgaben der vergangenen Jahre erheblich: von der EU-Taxonomie über CSRD und CRR III, den Supply-Chain-Act bis hin zum Klimastresstest der Europäischen Zentralbank und Mifid.

Für eine ganzheitliche Monitoring- und Reporting-Strategie gehören zudem sämtliche Prozesse einer Bank oder einer Sparkasse ins Blickfeld des Nachhaltigkeitsmanagements. Jeder Fachbereich sollte beantworten, welche Anforderungen sich beispielsweise aus der EU-Taxonomie ergeben. Der Vertrieb muss wissen, welche Informationen von den Kunden abgefragt werden müssen. Die Marktfolge und das Risikomanagement müssen sich wiederum Gedanken machen, wie sich Nachhaltigkeitsrisiken erkennen und steuern lassen.

Digitale Prozesse und Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Process Mining sind in diesem Zusammenhang wichtige Helfer der Institute. Durch sie können Banken die enorm komplexe Datenbeschaffung und Datenanalyse in einem wirtschaftlichen Rahmen meistern. Denn die Zahl der Datentypen und Datenquellen wird steigen. In das Risikomanagement fließen nun auch Klima- und Umweltdaten ein. Sie geben beispielsweise Aufschluss darüber, welche Immobilie oder auch welches Wertpapier künftig infolge des Klimawandels an Wert verliert – weil Meeresspiegel steigen oder womöglich transitorische Risiken drohen. Daher braucht es den Schulterschluss von Management (mit oder ohne CSO), den Fachbereichen und dem CIO. Bereits heute zeichnet sich ab, dass die ESG-Kriterien damit für viele Banken zu einem weiteren Treiber der Digitalisierung werden. Das, was die Institute nun in neue Prozesse und Datenmanagement aufgrund gesetzlicher Vorschriften investieren, wird sich mittelfristig auch im Kundenmanagement und bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle auswirken.

Veränderungen beginnen im Kopf

Durch Digitalisierung allein werden Banken allerdings nicht nachhaltiger. Die große Transformationsnuss, die sie knacken müssen, ist die Veränderung bewährter und eingefahrener Denk- und Arbeitsweisen. Wertpapierberater wissen bereits durch Mifid, dass sie Kunden IT-unterstützt eine ganze Reihe von Fragen stellen müssen, um Risikoklassen und die Risikobereitschaft zu ermitteln. Für viele Kreditvermittler ist das neu. Sie beraten häufig noch analog und nur vereinzelt standardisiert.

An diesen Hebel müssen die Institute ansetzen, wenn sie etwas ändern wollen. Nur wenn alle Beschäftigten einer Bank die Prozesse verstehen – und welchem Zweck sie dienen –, lässt sich nachhaltiger Wandel erfolgreich in der Organisation implementieren. Solange Beschäftigte in einzelnen Abteilungen sich nicht mitgenommen fühlen, sind selbst die besten digitalisierten Prozesse hinfällig, da sie umgangen oder als Gängelei der IT empfunden werden. Daher sind ein konsequentes Change-Management und das Grundverständnis dafür nötig. dass ESG mehr ist als eine regulatorische Pflicht. Vielmehr spiegelt sich Nachhaltigkeit auch im Risikoprofil und langfristig in der Ertragskraft der Bank wider.

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