Wir müssen das Steuer- und Abgabensystem in Deutschland neu denken. Es belastet im Übermaß den ökologisch und sozial so wichtigen Faktor Arbeit. Denn auf der menschlichen Arbeit lasten nicht die Einkommensteuer und die Sozialabgaben wie Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung. Dazu kommt dann auch die Umsatzsteuer.
Das ist zum einen nicht fair gegenüber den arbeitenden Menschen, die weniger Netto vom Brutto erhalten. Es ist aber auch nicht nachhaltig. Deswegen nicht nachhaltig, weil es den grundsätzlich umweltfreundlichen Faktor Arbeit gegenüber dem grundsätzlich erst einmal umweltbelastenden Faktor Ressourcenverbrauch verteuert.
Menschliche Arbeit hilft, Ressourcen einzusparen
Besonders augenfällig wird dies bei Reparaturleistungen. Es ist oftmals wesentlich günstiger, ein neues Bekleidungsstück oder auch ein neues Elektrogerät zu kaufen, als das alte reparieren zu lassen. Grund dafür sind unter anderem die hohen Lohn- und Lohnnebenkosten. Neukäufe anstatt Reparaturen führen dazu, dass mehr Textilfasern, Metalle und Plastik verbraucht werden und mehr Abfälle entsorgt werden müssen. Das wiederum ist mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden. Belastungen, die bei einer Reparatur nicht anfallen.
Was also tun? Es geht um zwei Komplexe:
- Entlastung des Faktors menschliche Arbeit;
- Kompensation der dadurch entstehenden Mindereinnahmen durch eine Belastung des Ressourcenverbrauchs.
Denn insgesamt sollte die Neuordnung des Steuer- und Abgabensystems aufkommensneutral sein. Das heißt, die Mehreinnahmen durch die Belastung des Ressourcenverbrauches müssen transparent eins zu eins in die Entlastung des Faktors Arbeit fließen.
Entlastungen bei Einkommensteuer nicht praktikabel
Beginnen wir mit der Entlastung des Faktors Arbeit: Hier fällt einem sofort die in Form der Lohnsteuer abgeführte Einkommensteuer ein. Entlastungen im Rahmen der Einkommensteuer haben allerdings den Nachteil, dass sie erst einmal für alle Einkunftsarten, das heißt zum Beispiel auch für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder aus einem Gewerbebetrieb, gelten. Eine steuerliche Tarifentlastung von ausschließlich der Einkunftsart aus nicht selbstständiger Tätigkeit ist im deutschen Steuersystem grundsätzlich nicht vorgesehen und ehrlicherweise auch nicht praktikabel. Dies würde nicht nur zu verfassungsrechtlichen Diskussionen führen, sondern vor allem auch einen riesigen Steuergestaltungs- und Verschiebebahnhof eröffnen.
Es hat einen guten Grund, dass die Besteuerung bis auf die umstrittene Abschlagssteuer auf Kapitaleinkünfte für alle Einkunftsarten erst einmal gleich ist. Im Übrigen würde die Niedrigsteuer auf Arbeitseinkünfte wirklich alle Beschäftigten betreffen, das heißt nicht nur die teilzeitarbeitende Alleinerziehende, sondern auch den ebenso abhängig beschäftigen Fußballmillionär.
In den unteren Einkunftsarten sind Lohn- beziehungsweise Einkommensteuer auch nicht der entscheidende Belastungsfaktor. Denn das sind die Sozialversicherungsbeiträge. Oder kurz: Steuern zahlen nicht alle, bei der Sozialversicherung sind dagegen alle dabei und gerade die unteren Lohngruppen überproportional im Verhältnis zu ihrem Einkommen.
Sozialversicherungsbeiträge deckeln
Eine Entlastung des Faktors Arbeit sollte daher primär über die Sozialversicherungsbeiträge erfolgen. Diese summieren sich, wenn man den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil zusammenrechnet, mittlerweile auf mehr als 40 Prozent des Bruttolohns. CDU/CSU schlagen daher seit Jahren vor, diesen Betrag auf 40 Prozent zu deckeln. Das ist gut und richtig. Eine darüberhinausgehende Absenkung wäre ein wirklich großer Schritt nach vorne.
Eine weitere Belastung des Faktors Arbeit entsteht dadurch, dass Arbeitsleistung, sofern sie in Form von mithilfe menschlicher Arbeit hergestellter Produkte und ganz besonders bei Dienstleistungen erbracht wird, mit einer Umsatzsteuer von in der Regel 19 Prozent belastet ist.
Bei Handwerkerleistungen und haushaltsnahen Dienstleistungen kann dieser Betrag in etwa wieder von den Einkommensteuern abgezogen werden. Das ist sicherlich gut, aber nicht ausreichend. Insofern sollte die Bundesregierung die Möglichkeiten der europäischen Mehrwertsteuerrichtlinien nutzen, den Faktor Arbeit gegenüber dem Ressourcenverbrauch zu privilegieren. Wo das nicht möglich ist, sollte sich die Regierung dafür einsetzen, die Mehrwertsteuerrichtlinie zu ändern.
Woher die Gegenfinanzierung kommen kann
All dies wird Milliardenbeträge kosten und muss gegenfinanziert werden. Eine Möglichkeit ist eine Erhöhung der Abgaben auf den Verbrauch von Ressourcen. Hier werden – im Übrigen seit Jahrzehnten – folgende Modelle diskutiert:
- Primärbaustoffsteuern, zum Beispiel für Kies oder Steine, die im Bau eingesetzt werden;
- Verfüllsteuern für die Verfüllung von Deponien für klassische Abfälle, aber auch für Bauschutt und Aushub;
- Flächenverbrauchssteuern für die Versiegelung von landwirtschaftlicher oder naturbelassener Fläche;
- Stickstoffsteuern;
- Antibiotika- oder Pestizidsteuer;
- Emissionssteuern auf Schadstoffemissionen;
- Sondersteuern auf den Wasserverbrauch;
- Paketsteuern
- und natürlich ein differenzierter, also ein höherer, Mehrwertsteuersatz auf besonders ressourcenintensive Produkte.
Eine Abgabenbelastung auf den Ressourcenverbrauch gibt es in Deutschland bereits zum Beispiel in Form der Fluggastabgabe, der Bepreisung des CO2-Ausstoßes oder im Rahmen der Energiesteuern wie der Stromsteuer. Teile der Erträge der Stromsteuer fließen im Übrigen in die Deckelung des Rentenversicherungsbeitrages. Insofern ist der Hebel Ressourcensteuern gegen Deckelung der Sozialversicherungsabgaben kein neuer Ansatz. Aber ein Ansatz, der ausgebaut werden muss.
Weit darüber hinaus gehen Konzepte wie beispielsweise zu einer Materialinputsteuer. Hier ist allerdings die Gefahr besonders groß, dass dies zur Auslagerung von Produktion in Drittländer führt. Deswegen muss bei allen Ressourcensteuern darauf geachtet werden, dass ein Grenzausgleichsmechanismus dafür sorgt, dass inländische Anbieter im Heimatmarkt, aber auch bei Exportgeschäften, eine faire Wettbewerbschance erhalten.
Es ist Zeit, das Alte infrage zu stellen
Jeder dieser Vorschläge birgt darüber hinaus argumentativen Sprengstoff: Die Primärbaustoffsteuern würden beispielsweise die eh schon sehr hohen Baukosten im schlechten Fall verteuern. Kann dies kompensiert werden durch den Einsatz recycelter Baustoffe, die dann vielleicht eine faire Preischance haben? Und wie werden sich Baukosten insgesamt entwickeln, wenn die Baustoffe teurer, die Arbeitsleistung aber günstiger wird? Ressourcensteuern haben auch immer eine Lenkungswirkung, weil der Ressourcenverbrauch sinkt – was ja auch ein Ziel der Reform ist.
Weniger besteuerter Ressourcenverbrauch senkt natürlich auch die Einnahmebasis. Ein Zielkonflikt, der seit Beginn der damals unter dem Label Ökosteuer geführten Diskussionen Ende der 1980er Jahre nicht gelöst wurde.
Also genügend Stoff für Diskussionen. Wir sollten nur damit anfangen und möglichst schnell aus den Diskussionen gute Ergebnisse entwickeln. Denn das Steuersystem wurde in seinen Grundzügen in den letzten Jahrzehnten kaum verändert.
„Zeitenwende“ und „Klimawandel“ sind eine gute Gelegenheit, auch und gerade im Steuersystem das Alte infrage zu stellen und Neues dagegen zu setzen.