Ein modernes Fahrzeug produziert mit jedem gefahrenen Meter eine Unmenge von Informationen über Geschwindigkeit, Verbrauch, Standort und weitere Faktoren. Diese gesammelten Daten liegen bislang bei den Autoherstellern häufig ungenutzt in Silos. Dabei könnten Unternehmen auf deren Basis echten Mehrwert schaffen, was jedoch ein strukturelles Umdenken erfordert. Und Veränderung funktioniert in Deutschland traditionell unter Druck deutlich schneller als ohne.
Nun kommt dieser Druck aus der EU in Form des Data Acts. Er verpflichtet Unternehmen zur Austauschbarkeit und Interoperabilität von Daten, um geschlossene Datenökosysteme zu vermeiden und herstellerunabhängige, sichere, stabile Standards zu fördern. Bis zum 12. September 2025 haben Unternehmen innerhalb der Mitgliedsstaaten noch Zeit, sich entsprechend vorzubereiten.
Da heutzutage Software ein essenzieller Bestandteil von Autos ist, müssen deren Hersteller die Prozesse und Compliance ihrer Software-Entwicklung an das neue Regelwerk anpassen. Das wird hoffentlich den längst überfälligen Anstoß für eine „saubere“ Data Governance geben, also einen unternehmensweit transparenten, standardisierten Umgang mit Daten. Und mit hochwertigen internen Daten, angereichert um Metadaten und Kontext, können Unternehmen zudem besser neue Geschäftsmodelle entwickeln.
Mehrwert durch Datenprodukte
Der Data Act mandatiert zwar dazu, Rohdaten freizugeben, doch diese haben gar nicht unbedingt den höchsten Mehrwert – weder für Unternehmen noch für Endnutzer:innen. Ein Beispiel: Ein Versicherungsunternehmen bietet einen Telematik-Tarif für Kfz an, in dem es umsichtig fahrende Kund:innen mit Prämien belohnt. Dafür benötigt es die im Auto produzierten Daten unterschiedlicher Sensoren – Geschwindigkeitsmesser, Bremsen, GPS-Signal und mehr.
Nun besagen die Rohdaten allerdings zum Beispiel nur, dass ein:e Fahrer:in zu einem bestimmten Zeitpunkt Tempo 40 gefahren ist. Ob das allerdings in einer Tempo-30- oder in einer Tempo-50-Zone war, geht aus ihnen nicht hervor. Kann ein Automobilhersteller aus diesen Daten ein standardisiertes Paket schnüren, das den entsprechenden Kontext bietet, kann er diese als Datenprodukt verkaufen. Der Versicherungsanbieter würde für diesen Mehrwert entsprechend bezahlen. Wenn diese Prozesse rund laufen, kann das auch Telematik-Tarifen einen neuen Schub verpassen – und den Datenzulieferern eine Chance zur Monetarisierung ihrer ohnehin vorhandenen Informationen bieten.
Und das ist nur ein Beispiel dafür, wie Unternehmen mit einem Umdenken hin zu Datenprodukten die ohnehin notwendige Umstellung im Zuge des Data Acts für sich nutzen können. Für sie lautet die Leitfrage: „Wie kann ich die Daten, die das Auto produziert, als Produkt denken?“ Die Möglichkeiten, die sich dadurch bieten, sind breit gefächert.
Mehrwert durch Schnittstellen und Standards
Der Data Act wird auch die Software-Entwicklung positiv beeinflussen, sind wir überzeugt. Schon in der Vergangenheit hat Regulierung dafür gesorgt, dass sich eine Standard-Lösung durchsetzt oder zumindest ein Quasi-Standard. Letztlich müssen alle Hersteller gewisse Aspekte auf die gleiche Art produzieren oder anbieten. Daher ist es für sie aus wirtschaftlichen Gründen sinnvoll, in diesem Fall auf eine bestehende erfolgreiche Lösung zurückzugreifen – oder an einer solchen mit anderen Herstellern zu zusammenzuarbeiten.
Die heute in Autos zwingend vorhandene On-Board-Diagnostics-Schnittstelle (OBD) etwa entstand aus einem kalifornischen Gesetz, das im Kampf gegen den Smog erlassen wurde. Werkstätten mussten nun die Motordaten hinsichtlich der Abgaswerte auslesen können. Heute ist diese Schnittstelle selbstverständlich und wird für Diagnostik aller Art genutzt.
Ähnlich erwarten wir für die Zukunft, dass im Auto produzierte Daten grundsätzlich über ihren reinen Informationsgehalt hinauswachsen werden. Mit zusätzlichem Kontext angereichert und über standardisierte Schnittstellen bereitgestellt ermöglichen sie es, anbieterübergreifend Wartungs- und andere Mehrwertapplikationen zu verbessern.
Der Data Act besagt, dass in einem bewegten Fahrzeug Ähnliches möglich sein soll wie in einer Werkstatt über die OBD-Schnittstelle. Die Übertragung von Telemetriedaten via LTE-/5G-Schnittstelle kann zum echten Türöffner werden. Dabei muss allerdings der Anwendungsfall im Mittelpunkt der Entwicklung stehen, immer fokussiert auf den Nutzen der Kund:innen. Und hier gilt es, Fehler in der User Experience zu vermeiden. Solche Lösungen sollten compliant mit der neuen Regulierung sein, ohne dabei die Nutzerfreundlichkeit zu stören – also beispielsweise unaufdringliche Anfragen, ob man den Standort für eine bestimmte Anwendung teilen möchte.
Schludern ist inakzeptabel
Vergleicht man Autohersteller mit dem generellen Stand der Digitalisierung in Deutschland, stehen die Autohersteller gar nicht so schlecht da. Das taugt als Referenz aber nur sehr eingeschränkt. Sinnvoller ist es, hier den Blick auf die Digital-Native-Autohersteller zu werfen – also auf die zu schauen, die mit leuchtendem Beispiel vorangehen. Diese haben einen klaren Vorteil: Sie sind ohne den Ballast von Legacy-Systemen und -Prozessen an den Start gegangen.
Traditionelle Unternehmen kostet die Transformation dagegen Kraft und Zeit. Gleichwohl haben die deutschen Autohersteller mittlerweile ein gutes Stück der Strecke zurückgelegt. Der Data Act setzt ihnen nun eine Deadline: Ein Jahr haben sie noch, um den Rest des Weges zu gehen. Das sollten sie als Chance begreifen, um intern die eigentlich längst fälligen Strukturen zu schaffen. Denn davon profitieren sie selbst, indem sie:
- dies als Anstoß sehen, ihre Data Governance und Datenqualität in den Griff bekommen können
- ihre Daten mit klaren Randbedingungen monetarisieren können
- standardisierte Schnittstellen etablieren können
- Software-Architektur auf Interoperabilität umstellen können
Unsere Hoffnung ist, dass der Data Act als Aha-Moment für Unternehmen in Deutschland und Europa wirkt. Denn Schludern ist nicht mehr akzeptabel – und hat im schlimmsten Fall auch rechtliche Konsequenzen. Welche konkreten Strafen aus Verstößen entstehen, bleibt zwar noch abzuwarten, doch darauf sollten die Autohersteller es nicht ankommen lassen. Sie sollten sich auf die Chancen des Data Acts konzentrieren und die Vorgaben im Sinne einer positiven Weiterentwicklung für sich nutzen. Denn am Ende hat die Umsetzung Vorteile für alle Beteiligten.